Produktionslogik

Kommentar Es fehlt ein ökologischer Gesellschaftsentwurf

Eigentlich müsste jetzt heftig gestritten werden. An den so genannten Stammtischen, in den unzähligen Vereinen, am besten sogar schon in den Kindergärten, in sämtlichen Schulen und natürlich auch in allen Universitäten. Die gesamte Republik müsste in eine große Auseinandersetzung um ihre unaufschiebbare Zukunft eintreten. Demokratisch selbstverständlich, aber doch grundsätzlich. Schriftsteller, Künstler, Intellektuelle, wer schreiben, reden oder sich sonst wie ausdrücken kann, müsste das Bedürfnis haben, einzugreifen in die große Entscheidung, die zur Zeit Richtungswahl heißt. Alles das geschieht auch. Aber es geschieht nur ein bisschen.

Vielleicht hat das mit der Dramatik dieser Wahl zu tun. Die scheint nämlich merkwürdiger Weise nicht in ihrem Ausgang zu bestehen. Schließlich fehlt den Wählern ausgerechnet die Partei, die sie wirklich aus Überzeugung wählen würden. Denn es könnte die gleiche schweigsame Mehrheit sein, die es gut findet, dass die Neuwahlen nun stattfinden, und die sich zugleich sicher ist, dass diese Neuwahlen nicht viel ändern werden. Es geht also gar nicht in erster Linie um eine Richtung bei dieser Richtungswahl, wo doch fast alle Parteien in die gleiche Richtung zeigen. Kluge Köpfe lösen dieses Paradox deshalb so auf: "das Volk" habe zwar prinzipiell die Notwendigkeit von Reformen eingesehen, könne diese Wahrheit aber noch nicht richtig annehmen. In dieser Logik handelt "das Volk" also unbewusst richtig und bewusst schreckhaft. Und das ist möglicher Weise auch der Grund, warum es der christdemokratischen Volkspartei bald genau so ergehen könnte, wie es der sozialdemokratischen schon ergangen ist, wenn deren Reformen erst einmal bei "dem Volk" angekommen sind. Andere sind daher der Meinung, dass dieses Problem ein prinzipielles Problem aller großen Parteien ist, die dazu gezwungen sind, derart tiefgreifende Reformen durchzuführen. Das Problematische am Regieren wird in Zukunft womöglich "das Volk" sein, insofern die Reformen vielleicht niemals abgeschlossen sind.

Man kann daraus aber auch schließen, dass das Volk keineswegs blöd ist, sondern sich die Partei, die es wählen will, erst noch schaffen muss. Denn ob man nun an die eine oder die andere der derzeitigen großen Parteien glaubt, so weiß dieser Glaube doch sehr genau, dass beide von der gleichen Dynamik getrieben werden, der sie nur wenig entgegenzusetzen wissen. Auch nach der Liberalisierung von diesem oder jenem wird man immer noch etwas finden müssen, das man liberalisieren kann. Die Richtungswahl findet nicht zwischen den beiden großen Parteien statt. Aber selbst diejenigen, die sich aus diesem Grund vorgenommen haben, die neue Linkspartei zu wählen, tun dies nicht aus der Überzeugung heraus, dass eine sozialistische Politik die gegenwärtigen Probleme tatsächlich lösen könnte, sondern um dem neoliberalen Grundkonsens wenigstens symbolisch etwas entgegenzusetzen.

Die eigentliche Dramatik der bevorstehenden Wahl besteht daher in der Alternativlosigkeit, die durch das gegenwärtige politische Denken repräsentiert wird. In beiden großen Parteien zeigt sich die Krise der Wachstumslogik besonders deutlich. Während der Wettlauf dieser beiden Parteien daher darin besteht, so viele Elemente wie möglich aus der politischen Ökonomie des Liberalismus in das jeweilige Programm aufzunehmen, wird es in absehbarer Zukunft ganz im Gegenteil darauf ankommen, eine politische Ökologie auszuarbeiten, die sich zumindest teilweise von den Wachstumsimperativen lösen kann. Auch den Grünen ist es bislang nicht gelungen, sich über eine bloße Umweltschutzpartei hinaus zu profilieren. Ihre Gesellschaftstheorie besteht aus einer diffusen Mischung von liberalen, sozialistischen und bürgerrechtlichen Elementen. Was fehlt, ist ein ökologischer Gesellschaftsentwurf, der die viel beschworene Nachhaltigkeit als eine systematische Alternative zu den Wachstumslogiken der politischen Ökonomie entwickelt. Und zwar nicht nur im Bereich der Ressourcen, sondern in allen gesellschaftlichen Feldern. Die ökologische Krise ist keineswegs eine bloße Umweltkrise, die mittels Umweltschutz gelöst werden könnte. Vielmehr steht damit die gesamte Produktionslogik in Frage. In diesem Sinne könnten ausnahmsweise die Verlierer dieser Wahl die langfristigen Gewinner sein. Denn der Verlust der Macht würde zum Nachdenken zwingen und könnte möglicher Weise dazu führen, dass die überall anzutreffenden Pragmatiker das Feld räumen.


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