In diesen Tagen explodierte ein Waffenlager der Armee in Mosambiks Hauptstadt Maputo. Raketen fliegen in Wohnviertel. Menschen werden schwer verletzt, verlieren Gliedmaße. Gibt es wieder Krieg, fragen sich die Menschen panisch. 1992 hatten Uno-Truppen die Bürgerkriegsparteien entwaffnet. Schlagartig ist schmerzhafte Erinnerung lebendig. Ganz anders die Erinnerung der Deutsch-Mosambiker "Madjermanes": bei ihrem Blick auf die alte DDR.
"Die Zeit des Schnees war ein Ungeheuer mit sieben Köpfen" erinnert sich Judite Armando an die DDR 1980. "Im Land von Onkel Honecker" war "es so kalt, dass wir noch nicht mal sprechen konnten", so Jaime Faque Sulane. Zwölf Mosambikaner erzählen ihre Geschichte in dem Band: Mosambik-Deutschland. Hin und Zurück: Erinnerungen, Fotos und ausführliche Vorworte zum Hintergrund bietet diese erste Publikation des Deutsch-Mosambikanischen Kultur-Instituts ICMA, eine 2003 gegründete Kooperation der Deutsch-Mosambikanischen Freundschaftsgesellschaft AAMA, des Deutschen Entwicklungsdienstes ded, der deutschen Botschaft in Maputo und des Goethe-Instituts Johannesburg.
Über 20.000 schwarze Mosambikaner fanden sich in der Zeitspanne von 1980 bis zur Wende in der DDR ein: Vertragsarbeiter, Studenten und 900 elf- bis zwölfjährige Kinder. Ziel: Ausbildung und Fachwissen. An der "Schule der Freundschaft" in Staßfurt sollten die Kinder mosambikanischer Bauern zur "Elite" reifen. Grundlage der großangelegten Verschickung: ein Vertrag von 1979 zwischen Honecker und dem ersten Präsidenten Mosambiks, Samora Machel. Wirtschaftliche Projekte folgten. Damit kamen auch Tausende Experten und Entwicklungshelfer aus der DDR nach Mosambik. Solidarität unter sozialistischen Brüdern. Aufbruchsstimmung in den Zeiten der Independência, der Unabhängigkeit von den portugiesischen Kolonialherren.
In zwölf exemplarischen Geschichten haben diese "Madjermanes" zum ersten Mal selbst von ihren Erlebnissen erzählt. So werden die nach Deutschland Verschickten mal zärtlich, mal verächtlich, von ihren Landsleuten genannt, das heißt in der lokalen Bantu-Sprache Schangaan "die Deutschen". Sie waren "Stars", als sie mit ihrem Geld aus der Ferne die Binsenhütten ihrer Familien in Steinhäuschen verwandelten, und als sie mit Kühlschränken, Radios, Fernsehern und Motorrädern zurückkehrten. Aber einige irritierten, wenn sie in Maputo noch im Jahre 2005 der längst untergegangenen DDR als verlorenem Paradies nachweinten. Andere verstörten, wenn sie wöchentlich in Maputo demonstrierten, die DDR-Fahne schwenkend die Polizei herausforderten, schließlich die deutsche Botschaft besetzten. Es ging ihnen um Gehaltsanteile und Sozialabgaben, die seinerzeit von Deutschland nach Mosambik transferiert wurden. Die mosambikanische Regierung zahlte ihnen davon nur einen Bruchteil aus. Bei der Umrechnung wurde die Inflation nicht berücksichtigt und eine Verwaltungspauschale von zehn Prozent einbehalten. Unter den "Madjermanes" gab es unterschiedliche Auffassungen über die Herstellung nachträglicher Gerechtigkeit, je nachdem, wie erfolgreich man sich in der eigenen Heimat integriert hatte. Einige arbeiten in der Regierung, an Universitäten und in Betrieben, in guten Positionen. Andere konnten nicht Fuß fassen. Erst Ende 2005 wurde das Problem endlich geregelt.
Die Ankunft in der DDR war für die zwölf Erzähler eine Landung auf einem fremden Planeten, im "Schlaraffenland". Es gab Betten, reichliches, fremdartiges Essen, warme Kleidung. Daheim hatten sie in zugigen Binsenhütten hungrig auf Strohmatten geschlafen. Benedito Augusto Mualinque schreibt unter dem Titel Mein erstes deutsches Weihnachten: "Alles war wunderschön, alles war völlig neu, niemals zuvor hatte ich so etwas gesehen". Duftende Kuchen und Plätzchen. Das Beste: der engagierte Geschichtsvortrag der Gastgeber über das Dritte Reich und den sozialistischen Aufbau - "das Ergebnis von sehr viele Schweiß und Opfer". Die Ratschläge: "Ihr werdet als Pioniere Eure Kenntnisse an Eure Landsleute weitergeben, profitiert von allem, vergeudet nichts", quittiert er mit Tränen "als größtes Geschenk".
Die Rückkehr war für die meisten ein Schock. Niemand hatte sie über den Bürgerkrieg in der Heimat aufgeklärt, zwischen der sozialistischen Regierungspartei Frelimo und der konservativen Widerstandsbewegung Renamo (unterstützt von Südafrikas Apartheidregime). Der Krieg hatte die gesamte Infrastruktur zerstört. Viele konnten ihre Eltern nicht mehr finden, andere waren zu Waisen geworden. Grenzenlose Armut. Männliche Heimkehrer wurden schon im Flughafen eingezogen.
In Deutschland schwanger gewordene Frauen wurden sofort ausgeflogen. "Bei meiner Ankunft nahmen mir die Behörden sämtliche Unterlagen einschließlich des Passes ab und zahlten mir überhaupt nichts aus", berichtet Judite Amando. Zuhause war kein Platz für sie, die Mutter verstorben, der Vater neu liiert. Die zukünftigen Schwiegereltern gewährten nur vorübergehend Unterschlupf. Sie lebte in Elendsquartieren von Gelegenheitsarbeiten. Dennoch blieb das Hoffen, das habe sie in Deutschland gelernt. Judite, die Schneehasserin, war gerne dort. In Gefühle, Hoffnungen, Frustrationen erzählt sie von ihrer Erfahrung als 17-Jährige in der Montage-Abteilung des VEB Elektroglas in Ilmenau, von der Solidarität unter Arbeiterinnen, vom deutschen Tannenwald und Einkaufs-Reisen nach Halle.
1992 kommt Inocêncio Domingos Honwana aus Berlin zurück. Er hat Glück, der Bürgerkrieg ist beendet. Aber weit und breit keine bezahlte Arbeit. In Berlin: Erinnerung an ein Paradies durchstreift er noch einmal seine geliebte Stadt mit und ohne Mauer. "Es war in Deutschland, wo ich vor mehr als zwölf Jahren mit Nikes an den Füßen und Jeans wie ein amerikanischer Schwarzer die ersten Schritte in ein Paradies tat, während sich die Hölle näherte."
Die zwölf Geschichten sind in der Originalsprache Portugiesisch und in deutscher Übersetzung präsentiert, ausgewählt aus 28 Beiträgen für einem Wettbewerb des ICMA 2004. Was kostet eine Cabinet? ist die symbolträchtige Erzählung um eine letzte, nach Mosambik gerettete DDR-Zigarette. Ihr Autor Moíses Pinto Rendição hat den ersten Preis gewonnen. Mit seiner griffigen Erzählweise und der gelungenen Dramaturgie, mit der er die Erlebnisse eines Kameraden verdichtete, habe er, so die Jury, die deutsch-mosambikanische Erfahrung auf den Punkt gebracht. Die meisten Autoren waren im Schreiben eher ungeübt, viele reichten ihre Beiträge handschriftlich ein, formulierten ein wenig unbeholfen - für die Übersetzer eine Herausforderung. Manch einer schrieb sich lang verdrängte Erlebnisse von der Seele, unzensierte, lebendige Zeugnisse eines politischen Experiments.
Erotische Abenteuer wurden nicht ausgespart. Die "Küsse von Frau Schmid" im Keller sind ebenso dokumentiert wie der Kultur-Schock an einem FKK-Strand oder das Erstaunen über vorurteilslose weiße Mädchen. Schmerzhaftes kommt hoch: Wie mit deutschen Frauen Kinder gezeugt wurden, die in Deutschland bleiben mussten. Dann Eifersucht der deutschen Freunde, Beschimpfungen als "Neger", Kämpfe und Schlägereien, Skinheads. Wie ein Mosambikaner verfolgt wurde und auf der Flucht im Fluss ertrank. Gute Erfahrungen indes mit Gasteltern: ihr "gutes Benehmen", ihr bewusster Umgang mit Umweltschutz und Müll, ihre Ehrlichkeit und - für Mosambikaner ein Tabu - die Mitarbeit des Ehemanns im Haushalt!
Heute sind die Narben des blutigen Bürgerkrieges fast verblasst. Die Demokratie stabilisiert sich. Der 2004 gewählte Staatspräsident Armando Guebuza betreibt wie sein Vorgänger Chissano die Liberalisierung der Wirtschaft. Armutsbekämpfung ist höchstes Ziel. EU- und US-Hilfsorganisationen leisten im Bildungssektor und bei medizinischen Projekten Unterstützung. Mosambik ist Schwerpunktland der deutschen Entwicklungshilfe. Ideologische Programme und die patriotisch-sozialistischen Ziele der Väter sind in der Erinnerung der zwölf Chronisten kaum ein Thema, wohl aber die menschliche Begegnung. "Was ich zurück ließ", schreibt Adevaldo S.F. Banze, "ist eine zweite Heimat, die Heimat, wo mein Leben glücklich war, wo es Freundschaft, Respekt und Menschenwürde gab."
Und wo, fragt man sich, bleibt der kritische Blick? Die Verschickten kamen blutjung aus bitterster Armut in, auch für DDR-Bürger, privilegierte Lebensumstände. Sie erhielten Ausbildung, Arbeit, Unterkunft, reichlich Verpflegung, Kleider, Taschengeld oder Lohn. Sie durften in speziellen Läden einkaufen. Regimetreue Familien und Lehrer umsorgten sie. Grund genug für ein idealisiertes Bild. Ihre außergewöhnlichen Erlebnisse fielen mit ihrer Jugend zusammen. Im Bürgerkrieg der Heimat wurden derweil Kindersoldaten gezwungen, die eigenen Eltern umzubringen. Kein Wunder dass Preisträger Rendição schreibt: "Deutschland ist ein gutes, angenehmes Land, es gibt nur zwei traurige Dinge, den Winter und die Buchenwald-Gedenkstätte."
Mosambik-Deutschland, Hin und Zurück. Erlebnisse von Mosambikanern, vor, während und nach dem Aufenthalt in Deutschland. Aus dem Portugiesischen von Ulf Dieter Klemm, Johannes Kloos und Kerstin Kuschel. Hrsg. vom Koordinationskreis Mosambik, Bielefeld 2005, 10 EUR
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