Kein Klagelied

Feuilleton Die Trauergesänge der Feuilletonisten mögen uns amüsieren - verhindern aber den Blick auf die Wünsche der Leser. Schafft endlich die bornierten Klagen ab!

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Wo, wenn nicht im Feuilleton sollte das Klagelied über den Tod des Feuilletons erscheinen? Gleich Orpheus, der um die verlorene Geliebte Eurydike trauerte, verfasste Georg Seeßlen am 8. August in der taz einen melancholischen Abgesang auf das liebste Selbstverge-wisserungsmedium des Bürgertums. Das ist nicht der erste Nachruf und wird auch nicht der letzte sein, denn das Klagen über den Verfall bürgerlicher Kulturinstitutionen ist – zumindest in Deutschland – seit jeher konstituierendes Moment des bürgerlichen Subjekts. Trauern die Feuilletonisten über den Verfall des Feuilletons, ist das zumeist ein Zeichen für seine Vitalität. Man könnte also meinen, alles sei wie immer und beruhigt seine Zeitung zusammenfalten.

Das würde allerdings verkennen, dass unter der Oberfläche des kulturpessimistischen Requiems auf das Feuilleton eine Frage verborgen ist, die es mit Blick auf einen Wandel des Bürgertums und den zunehmenden Schwund jüngerer Zeitungsleser tatsächlich zu beantworten gilt: Wie kann und muss das Feuilleton verändert werden, um es aus dem bildungsbürgerlichen Hades heraufzuholen?

Orpheus gelang es durch den verhängnisvollen Blick zurück, bekannter Weise nicht, seine Eurydike zu retten. Zeitungsmacher, Kulturredakteure und Feuilletonisten sollten deshalb ihr Augenmerk auf die Sehnsüchte und Wünsche einer neuen Generation von Lesern richten und mit dem Mut zum Experiment das Feuilleton einer breiteren Leserschaft öffnen - ob sie nun bürgerlich ist oder nicht.

Was aber erwarten heutige Leser vom Feuilleton und ganz allgemein von einer Print-Zeitung?

Übersicht

Wir sind es gewohnt uns im Netz unsere Informationen und unsere Unterhaltung zusammenzusuchen. Aber Blogs sind zwangsläufig spezialisiert auf einzelne Themen oder Aspekte eines übergeordneten Themas. Nur wenn sie ein Close-up bieten, können sie in der Fülle des Angebotes auffallen. Von der Zeitung erwarten wir die Totale.
Der Blick von oben, die Einordnung kleiner Dinge in das große Ganze, ermöglicht uns eine Übersicht, die wir uns im Netz nur unter großem Zeiteinsatz erarbeiten können.

Entgrenzung

Ressorts sind historisch gewachsene thematische Einteilungen, die ihre Berechtigung hatten, aber den entscheidenden Nachteil haben, dass sie die Perspektive verengen. Wer nur liest, was ihn aufgrund von Milieuzugehörigkeit oder Geschlecht zu interessieren hat, wird denkfaul.

Weil wir uns nirgendwo mehr vollständig zugehörig fühlen, ist es uns fremd, uns über einen einzigen Themenbereich zu definieren. Wir interessieren uns grundsätzlich für alles, denn unsere Persönlichkeit besteht aus weit mehr als Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und lokaler Zugehörigkeit. Im einen Moment lesen wir mit großem Interesse einen Artikel zu Postfeminismus und Lady Gaga, im nächsten einen Bericht über die politische Lage in Rußland und im übernächsten etwas über den neuesten Chanel-Nagellack. Wir wollen uns nicht zwischen einzelnen Themenfeldern entscheiden müssen – eine gute Zeitung ist für uns wie ein Mash-up, das nebeneinander eine ganze Welt an Möglichkeiten bietet.

Haltung

Wir können uns vielleicht nicht mehr auf Themen einigen, die uns alle gleichermaßen interessieren, aber auf eine ästhetische Haltung zur Welt. Diese bestimmt heute weit mehr unsere Urteile über politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen als unsere Lebensverhältnisse oder eine Milieuzugehörigkeit. Dabei geht es um Lebensentwürfe, nicht nur um reine Geschmacksfragen, denn wir lassen uns nur ungern vorschreiben, was wir gut, schön oder beachtenswert finden sollen. Was wir suchen ist eine bestimmte Wahrnehmung der Welt – und diese finden wir nicht nur in Kunst, Literatur und Musik, sondern auch in Wirtschaft, Technik und Politik.

Wenn wir die Zeitung aufschlagen – und im Besonderen das Feuilleton – hoffen wir, dass wir Gleichgesinnte finden und feststellen können, dass wir mit unseren vielleicht etwas verschrobenen Ansichten und ästhetischen Ansprüchen nicht alleine sind. Was wir vom Feuilleton erwarten, ist deshalb mehr als nur eine Kulturberichterstattung über Ereignisse der Hochkultur, die früher dazu dienten Gemeinschaft zu stiften. Das Staatstheater und die Bayreuther Festspiele sind für uns manchmal so fern wie der Mond.

Wir wünschen uns, dass Autoren eine Haltung haben und diese engagiert vertreten. Die scheinbare Objektivität der Berichterstattung, der neutrale Journalismus, aber auch die alles durchdringende Ironie sind wie eine Rüstung, in der sich der Autor vor seinen Lesern verborgen hält. Das heißt, uns Leser nicht ernst zu nehmen, uns die Reibungsflächen zu verweigern, die wir dringend benötigen. Wenn alle Feuilletons in etwa die gleiche Kulturberichterstattung enthalten und sich weitgehend eigener Standpunkte enthalten, wie sollen wir unsere Wahl zwischen den verschiedenen Zeitungen treffen?

Dauerhaftigkeit

Wenn wir wissen wollen, was gerade passiert, welche Themen aktuell diskutiert werden oder wie andere den Film beurteilen, der gerade in Deutschland in die Kinos kommt, suchen wir im Netz nach Nachrichten und Informationen. Meistens werden wir schnell fündig, und am nächsten Tag sind viele der gelesenen Nachrichten schon alt, weil immer neue Themen und Angebote nachdrängen. Wenn wir dann die Zeitung aufschlagen, haben wir oft das Gefühl, wenig Neues zu erfahren. Die Zeitung kann mit der Schnelligkeit unserer Netz-Lektüre nur selten mithalten – und sollte es auch nicht versuchen.

Unser Interesse an bestimmten Themen wird nicht nur durch ihre Aktualität bestimmt, und Anlässe wie Geburtstage und Todestage berühmter Persönlichkeiten erhöhen nicht automatisch unsere Bereitschaft, sich mit einer Sache auseinanderzusetzen. Wie alle Menschen lieben wir es aber, wenn man uns Geschichten erzählt – Geschichten die komplex sind, mit Anfang, Mittelteil und Schluß, die uns nahe bringen, was hinter den Dingen steckt oder zumindest stecken könnte.

Große Geschichten entwickeln sich über eine längere Zeit, sie bestehen aus vielen einzelnen Bruchstücken, die für sich genommen interessante Neuigkeiten darstellen, die man aus aktuellem Anlass veröffentlichen könnte - aber nicht unbedingt sollte. Es braucht Geduld, um eine Geschichte reifen zu lassen, und Platz um etwas zu erzählen. Wir wünschen uns, dass sich das Feuilleton die Zeit und den Raum nimmt, die es dazu braucht. Das Lesen einer Zeitung ist verglichen mit unserer Netzlektüre eine kontemplative Angelegenheit, die Muße voraussetzt. Haben wir diese, lesen wir mitunter lieber ein längeres Stück als eine Handvoll Kurznachrichten.

Sprache als ästhetisches Erlebnis

Zeitung lesen ist immer auch ästhetisches Erlebnis, das über die reine Informationsaufnahme hinausgeht. Das hat einerseits mit der Materialität der Zeitung selbst zu tun, dem Habitus des Zeitungslesers als weltoffene Figur und verbürgender Instanz für Urbanität, andererseits ist es in der Sprache begründet, die in der Zeitung verwendet wird. Noch unterscheidet sich diese in weiten Teilen von der Sprache, die sich in der Mehrzahl der Blogs findet. Der Hang zur großen Ironie, zum Flapsigen, Dahingeworfenen hat sie noch nicht erreicht, sie ist facettenreicher, nuancierter und damit auch konstruierter und komplizierter. Das mag manche Leser ausschließen, hat aber auch seinen eigenen Reiz, denn der inzwischen vielleicht ungewöhnliche Klang erinnert uns an die Traditionen in denen wir stehen – ob gewollt oder nicht.

Natürlich genießen wir es, gute Print-Artikel Online zu finden – auch wenn diese dann manchmal etwas schal und deplaziert wirken und scheinbar ihre Nuancen eingebüßt haben. Aber wir wünschen uns, dass weiterhin mit Blick auf die klassische Zeitung Artikel geschrieben werden und das Autoren- oder Verlegerauge nicht stets nach einer Online-Zweitverwertbarkeit schielt. Denn Online-Texte funktionieren anders: Wo im Print-Text Details und zusätzliche Erklärungen dafür sorgen, dass wir in die Tiefe der Dinge eindringen können und der Text für uns verständlicher wird, sind Online verweisende Links beigefügt, die uns, wenn nicht in die Ferne doch zumindest einen Klick weiter führen. Das ist ein anderes Lesen, da der rechte Finger noch bevor ein Gedankengang im Text zu Ende entwickelt ist, Erklärungen und Antworten bei Google sucht.

Gerade aber das Fremde der Sprache, die Anstrengung, die uns manchmal die Lektüre kostet, und der ungewöhnliche Klang führen dazu, dass wir uns ganz auf diesen einen Text einlassen. Und das macht das eigentliche Glück des Zeitungslesens aus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lena Baetz

Schreibtischgast beim freitag

Lena Baetz

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