Eine riesige Farbkopie der Aufenthaltsgenehmigung hängt an der Wand. Endlich - die Homo-Ehe hat es möglich gemacht. Seit über zehn Jahren lebt die Kanadierin Linda Mills schon in Deutschland, sie kam, damals, um sich mit ihrer deutschen Freundin Anne Niok eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Vor drei Jahren wurde David geboren, das Kind, das Anne und Linda gemeinsam planten und das Anne mit der Unterstützung eines schwulen Freundes bekam.
In ihren ersten drei Jahren in Deutschland schlug Linda sich mit aneinandergereihten Touristenvisa durch, musste regelmäßig ausreisen und befürchtete jedes Mal, nicht wieder ins Land gelassen zu werden. Auch die sieben Jahre danach mit dem Studentenvisum waren kompliziert, weil sie eigentlich nicht studierte. Linda hätte sich schon immer vorstellen können zu heiraten, wenn es denn möglich gewesen wäre. Im August letzten Jahres war ihr dann aber doch mulmig zu Mute, als sie ihrer Freundin "den Antrag" machte, denn sie wusste, dass Anne aus politischen Gründen generell gegen die Ehe ist. Das gesicherte Aufenthaltsrecht für Linda war jedoch Grund genug, hier die Politik Politik sein zu lassen. "Es war eine totale Erleichterung, als ich von der Ausländerbehörde kam und das Gefühl hatte, ich bin in diesem Land willkommen", erzählt Linda Mills.
Wie für Anne und Linda ist für viele homosexuelle Paare die Aufenthaltsgenehmigung das zentrale Argument für eine Lebenspartnerschaft. Unter den rund 4.400 gleichgeschlechtlichen Paaren, die sich bundesweit seit dem 1. August 2001 das Ja-Wort gaben, waren mehr als 500 binationale Lebensgemeinschaften. Auffällig ist, dass sich bisher dreimal mehr schwule als lesbische Paare "verpartnert" haben.
Anfänglich wollten Anne Niok und Linda Mills ohne viel Gepränge heiraten, doch dann wurde es ein aufwändiges Fest. Der zehnte Jahrestag des Frauenpaares, gleichzeitig der Hochzeitstag, begann im Standesamt Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin. Auch in den meisten anderen Bundesländern sind die Standesämter für die Schließung der Lebenspartnerschaften zuständig. Nur in Bayern, das als letztes Bundesland die Regelung erst mit drei Monaten Verspätung landesrechtlich umsetzte, müssen die homosexuellen Paare zum Notar. Die Rede des Standesbeamten aus Berlin, der dem Frauenpaar vorher eher als "trockener Fisch" erschien, war überraschend witzig. Alles bis auf die Zeremonie durfte für die Ewigkeit auf Video festgehalten werden. Zum Abschluss erhielten sie eine Lebenspartnerschafts-Urkunde. Ein Teppich aus Rosenblättern empfing die beiden vor dem Standesamt, dann ging es per schepperndem Autokorso durchs Brandenburger Tor. Eine richtige Hochzeit eben. Nur dass in diesem Fall die Autos mit Regenbogenfahnen ausgestattet waren. Dann Abends das große Fest in einem gemieteten Restaurant mit über 100 Gästen und einer DJane. Der Kern der Feier war eine private Zeremonie des Paares, in der sie sich ein selbst formuliertes Eheversprechen gaben. "Es war bewegend, nach zehn Jahren vor seinen Freunden öffentlich seine Liebe auszusprechen". Wenn Linda Mills davon erzählt, steigen ihr noch immer Tränen in die Augen.
Ihre Beziehung war schon vor der offiziellen "Eheschließung" gefestigt. Seit dem sechsten Jahr ihrer Partnerschaft war beiden klar, dass sie zusammen bleiben, auch wenn sie sich heftig streiten. Bis dahin hatte Linda bei Reibereien immer wieder mal den "virtuellen Koffer" für die Abreise nach Kanada gepackt. Obwohl die beiden schon so lange zusammen sind, erlebten sie die Zeit rund um die Heirat als eine Art Flitterwochen, mit richtigem "Romantikimpuls".
Über die Rechte und Pflichten, die mit der Schließung der Homo-Ehe einhergehen, wusste das Frauenpaar nur wenig. Das verwundert nicht, denn bisher wurden mehr als 60 Gesetze und Verordnungen mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz verändert. Eingetragene homosexuelle Paare können einen gemeinsamen Namen bestimmen, erhalten den Angehörigenstatus, Mietrecht, haben gegenseitige Unterhaltspflichten und sind erbberechtigt. Eine Gleichberechtigung in Fragen des Steuer- Sozial- und Rentenrechts sowie der Hinterbliebenenversorgung steht noch aus. Sie soll im Ergänzungsgesetz zur eingetragenen Partnerschaft ermöglicht werden, das wiederum noch der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Unübersichtlich sind die Regelungen bisher und selbst wer Schlagworte wie "Gesetzliches Mietrecht", "Zeugnisverweigerungsrecht", im Munde führt, weiß immer noch nicht, was sie im Einzelfall bedeuten.
Anne Niok war sich nicht darüber klar, dass sie nun als verheiratet genug gilt, dass ihr die Bezüge als allein erziehende Mutter gestrichen werden. Gleichzeitig erhält Linda Mills jedoch keinerlei Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn David. Auch das offiziell im Lebenspartnerschaftsgesetz zugesicherte kleine Sorgerecht - das Mitentscheiden in Angelegenheiten des täglichen Lebens des Kindes - wird ihr bisher verweigert und muss wohl erst vor Gericht eingeklagt werden. Ein kleiner Trost ist, dass die Co-Mutter als Geringverdienende nun kostenlos in der Familienversicherung ihrer Freundin aufgenommen wird. "Das alles hinkt hinter der Lebensrealität hinterher. Viele von uns haben Kinder und viele von uns haben diese Kinder zusammen gewollt und geplant", beklagt sich Linda. In jeder achten lesbischen oder schwulen Gemeinschaft leben Kinder. Doch auch im Ergänzungsgesetz zur Homo-Ehe ist weder das große Sorgerecht, noch das Adoptionsrecht für Co-Eltern, wie Linda Mills, vorgesehen (siehe auch nebenstehenden Beitrag). Von einer Gleichstellung mit der traditionellen Ehe, wie sie die konservativen Bundesländer Bayern, Sachsen und Thüringen in ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht unterstellten, kann da wirklich nicht gesprochen werden.
Für die kleine Form der homosexuellen Lebenspartnerschaften allerdings scheint es einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu geben, dem sich selbst Kanzlerkandidat Stoiber nicht verschließen kann. Er ließ verlauten, die Homo-Ehe nach der Bundestagswahl nicht wieder abzuschaffen, weil die Fakten - die Lebenspartnerschaften - bereits geschaffen seien und nicht so einfach wieder rückgängig gemacht werden könnten. Ein wenig schizophren mutet das schon an, weil Edmund Stoiber gleichzeitig als Ministerpräsident Bayerns gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz klagte. Linda Mills und Anne Niok lassen sich unterdessen von den Sorgerechts-Querelen nicht entmutigen, ein weiteres Kind ist in Planung, diesmal mit Linda als biologischer Mutter.
Neben den binationalen Paaren, treten bisher vor allem ältere Paare, die sich für den Krankheitsfall absichern wollen, in den Stand der Homo-Ehe. Und doch es gibt auch die homosexuellen Paare, die nur aus Liebe heiraten, wie Clark und Norman Tücker, aus Hamburg. Als die beiden, die schon seit 15 Jahren zusammen sind, im Juli 2001 dem grünen Schild "Eheschließungen" im Standesamt einesHamburger Außenbezirks folgten, schien das noch keineswegs normal. Zwar hatte Hamburg vor allen anderen Bundesländern die sogenannte "Hamburger Ehe" für homosexuelle Paare ermöglicht, doch ernteten Clark und Norman im Wartesaal des Amtes nur verwirrte Blicke. Blicke, die sagten: ihr seid hier falsch. Von den Beamten wurden sie sofort zum Chef geschickt, der ihnen mitteilte, dass er noch keinerlei Unterlagen zur Lebenspartnerschaft erhalten habe. Sie wurden gebeten eine Woche später wiederzukommen und die Behörde schaffte es tatsächlich innerhalb dieser kurzen Zeit alle nötigen Unterlagen und Formulare zusammenzukriegen. Clark und Norman Tücker war es wichtig, so früh wie möglich zu heiraten. Nicht weil sie nach Medienrummel heischten, sondern weil sie Angst hatten, dass das Gesetz, wenn sich niemand meldet, doch noch vom Verfassungsgericht gekippt wird.
Der offiziellen Zeremonie im Standesamt maß das Paar nicht viel Bedeutung bei. Nicht einmal die Ringe waren fertig. Die Beamten zeigten sich im gesamten Verfahren äußerst kooperativ und freundlich. Fast als hätten sie eine Schulung in "homofreundlichem Umgang" erhalten. Ein paar Freunde empfingen sie nach der Zeremonie vor dem Standesamt mit Ballons und Blumen. Die kleine Feier danach fand in ihrem Kleingarten statt. "Ich sag´ immer, ich bin offen schwul, aber verkappter Kleingärtner", erklärt Norman.
Als Flugbegleiter, dem "Schwulenparadies-Job", ist es für Norman Tücker leicht, offen mit seiner sexuellen Identität umzugehen. Er weigert sich, "Lebenspartner" zu sagen und spricht nur von "meinem Mann", denn er ist schließlich verheiratet. Wer ihm dieses Recht abstreitet, wird mit drastischen Vergleichen eines Besseren belehrt. So auch ein Flugkapitän, der es komisch fand, dass der Flugbegleiter von seinem "Mann" spricht. Norman Tücker darauf: "Ich finde es sehr komisch, dass die Heteros das Wort Mann mit Adolf Hitler und Eva Braun großzügig und bereitwillig teilen, indem sie sagen Adolf Hitler war der Mann von Eva Braun. Damit haben sie kein Problem, aber mit mir wollen sie es nicht teilen. Das verstehe ich nicht". Clark Tücker, von Beruf Arzt, ist verschlossener. Bevor er den Namen seines Freundes annahm, wussten in der Kinik nur Eingeweihte über seine sexuelle Orientierung Bescheid. Doch nun wird er immer wieder gefragt: "Sie haben den Namen ihrer Frau übernommen?", "Nein", antwortet Clark dann ruhig, "den Namen meines Mannes". Der gemeinsame Nachname ist für das Paar elementar, denn sie wollen sich öffentlich zueinander bekennen, immer und überall.
Die "Eheschließung" war für das Paar eher ein pro forma Akt und brachte in ihre Beziehung keine große Veränderungen. Das liegt sicher auch daran, dass sie schon vorher in einer gemeinsamen Wohnung und offen schwul lebten. Norman Tücker findet es ein bisschen enttäuschend, er hatte sich mehr von der Hochzeit erwartet. So war es fast so unspektakulär wie der Kauf eines neuen Autos.
Clark und Norman Tücker wissen, dass sie für ihre heterosexuelle Umwelt ein zugängliches Bild eines schwulen Paares abgeben: monogam, immer zusammen und jetzt auch noch verheiratet. Das ist leicht verdaulich, weil es eben doch nicht so fremd und anders ist. Zu leicht verdaulich, finden manche Schwule und Lesben. Vor und nach der Gesetzesverabschiedung hagelte es Kritik aus eigenen Reihen. Sabine Hark, prominente Vertreterin der Queer-Forschung, meint dazu: "Dreißig Jahre nach dem Ausbruch aus staatlicher Bevormundung sind Schwule und Lesben wieder dorthin zurückgekehrt. Der Staat ist als besonderer Zeuge aufgerufen, um eine Liebe zu bezeugen, die vorgeblich das Gesetz überschreitet, die aber, indem sie vor das Gesetz tritt, doch eingesteht, dass sie nichts ist, ohne das Gesetz." Nach dem Motto: wer heiraten darf, ist kein Schmuddelkind der Gesellschaft mehr.
Die Tückers teilen diese Kritik nicht. Die Homo-Ehe setzt für sie ein wichtiges Zeichen, vor allem für schwul-lesbische Jugendliche: "Es sagt ihnen: ihr seid wer, ihr seid wertvolle Mitglieder dieser Gesellschaft." Eigentlich wollten Clark und Norman schon lange heiraten, öffentlich eine Einheit sein. Mit mehr als einem Jahrzehnt Verspätung ist ihr Traum in Erfüllung gegangen. Bald werden sie ihren ersten Hochzeitstag feiern, mit vielen Freunden, in ihrem Kleingarten.
Auch das Lebenspartnerschaftsgesetz feiert Einjähriges. Spätestens mit der ersten Scheidung eines homosexuellen Männerpaares Anfang Juni ist die Homo-Ehe wirklich in der Gesellschaft angekommen. Jetzt fehlen nur noch auf allen Behördenzetteln Kästchen zum Ankreuzen, neben denen steht "in eingetragener Partnerschaft lebend".
Detaillierte Informationen zum Lebenspartnerschaftsgesetz sind beim Lesben- und Schwulenverband Deutschland unter www.lsvd.de nachzulesen.
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