Raus aus der Zelle

Alltag Telefonhäuschen verschwinden aus dem Stadtbild und machen obskuren Säulen Platz

Der Himmel ist schwarz. Federvieh hat sich zusammengerottet, um die Menschen Angst und Schrecken zu lehren. Jessica Tandy rettet sich in letzter Sekunde vor den zerfleischenden Schnäbeln in eine Telefonzelle. Eine Szene aus dem Alfred Hitchcock Klassiker Die Vögel.

Heute müsste die Dame lange suchen, denn wo einmal Zellen waren, ersetzen seit letztem Sommer silberne Pfähle mit magentarotem Leuchtband nach und nach die vertrauten Häuschen. Ein Hauch von Notfalltelefon an der Autobahn umweht sie. Gegen Vögel hilft das nicht.

Dabei sind - trotz Handymanie - öffentliche Fernsprecher nicht vom Aussterben bedroht. Derzeit betreibt die Telekom rund 110.000 der Öffentlichen bundesweit. Allein 6.000 in Berlin. Es soll auch weiterhin eine flächendeckende Versorgung geben, sagt man beim Telefonversorger, nur die Privatsphäre der Häuschen könne man sich nicht mehr leisten. Schuld sei die Zerstörungswut einzelner, weshalb nun öffentliche Fernsprechgeräte der zweiten Generation "TeleStation" und der dritten "TeleKiosk" die Straßen säumen. Die Dinger sollen dem Vandalismus möglichst wenig Angriffsfläche bieten. Ob diese Rechnung aufgeht, ist unklar. Anderseits es ist kaum vorstellbar, dass die horrenden Instandhaltungskosten für die Telefonhäuschen von monatlich 175 bis 375 Euro noch überboten werden.

Telefonieren ist nicht gleich Telefonieren. Wer führt heute allabendlich noch seine Gespräche vom Fernsprecher? Entflieht vor der stundenlangen Beschlagnahmung des einzigen Familientelefons durch schwatzhafte Schwestern nach draußen? Nutzt das Häuschen als Rückzugsort für Gespräche fern des elterlichen Wohnzimmers? Der Trend geht zu Kurzgesprächen. "Bin an der Telefonstation beim KaDeWe. Komme später. Ja, okay. Tschüss". Braucht man dazu noch Schallschutz, warme Füße? Ganz im Regen stehen lässt uns die Telefongesellschaft nicht. Alle TeleStationen sollen noch mit einem Verdeck und Seitenschutz ausgerüstet werden. Bald.

Die TeleStation hat Vorteile. Geld nimmt sie als Münzen, Telefon- und Kreditkarte. Bis zum 28. Februar 2002 kann man gar während des Gesprächs die Währung wechseln. Bei Sonnenschein kann man sich bräunen lassen, bei Windstille trocken bleiben. Man muss sich nicht mehr über zerfetzte Nachschlagewerke ärgern (es gibt keine mehr), nicht mehr umständlich die Tür der Zelle aufhalten, um Rauchvergiftungen, Hitzestaus oder Übelkeitsanfällen zu entgehen. Nach dem Motto: Besser es wird ran- als reingepinkelt.

Generation drei, der "TeleKiosk", ist, dem proletarischen Namen zum Trotz, der Luxusliner unter den öffentlichen Fernsprechern. Nicht nur Basisversorgung bietet er, sondern einen Terminal mit Bildschirm, von dem aus Telefonieren, Emailen, SMS und Faxeversendung möglich ist. Internet und Stadtinformationen gibt es außerdem. Aufgestellt in Flughäfen, Bahnhöfen, Einkaufszentren - Orten, wo der Mensch gerne länger Station macht. Da muss man als Nutzer der öffentlichen Telefone sich nicht mehr technisch zurückgeblieben nennen lassen.

Auch in der Anschaffung sind die Stangen billiger. Fürs Tele-Häuschen waren 7.500 Euro zu berappen, die Pfähle kosten zwei Drittel weniger. Die seit 1951 postgelben und seit 1992 magentarot-grauen Zellen soll es, wenn auch reduziert, weiterhin geben. Wie lange die Suche nach einem schützenden Mittelklasse-Häuschen dann dauert? Wahrscheinlich zu lange.

Vielleicht möchte man aber gerne eines der alten, abgebauten Häuschen erwerben? Aus Nostalgie. Am besten ein postgelbes. Die haben bald Sammlerwert, sind wirklich vom Aussterben bedroht. Wenn die Ersatzteile ausgehen, werden sie ganz verschwinden. Doch daraus wird nichts. "Unverkäuflich sind sie", sagt die Telekom. Man will wohl verhindern, dass zwischen den Gartenzwergen zweckentfremdete Telefonhäuschen Platz finden, vielleicht als umgebaute Nasszellen. So werden die Zellen eingestampft und als Rohstoff weiterverwertet. Ihr Tod ist nicht umsonst - Recycling heißt Auferstehung.

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