Kann man in Tel Aviv eine provokativere Frage stellen als diese: “Würdest du mit einem Araber schlafen?" Schon beim ersten Lesen hat sie mein Gehirn für einige Stunden zum Rattern gebracht. Schnell habe ich die universelle Gültigkeit dieser Frage erkannt und sie auf meine Lebensumstände umgemünzt. Nachdem ich zu dem Punkt kam, an dem ich mich fragte habe, ob ich als Schweizer Staatsbürger – vor dem Hintergrund des zum Scheitern verurteilten Steuerabkommens mit unserem Nachbarn – mit einer Deutschen schlafen würde, war ich froh, bald ins Kino gehen zu können. Ich war gespannt auf den Dokumentarfilm der französischen Regisseurin Yolande Zauberman und neugierig darauf zu sehen, wie die Leute in einer sehr viel ernsteren und festgefahreneren Situation auf die Frage reagieren würden.
Ausgerüstet mit einer kleinen Kamera macht sich Zauberman nachts auf den Weg durch die Straßen von Tel Aviv. Sie fragt sowohl das Partyvolk als auch einfache Passanten oder Imbissbudenbesitzer ganz direkt, ob sie mit einem Araber oder einer Araberin schlafen würden. In einem Sekundebruchteil legt sich das ganze Gewicht des Nahostkonflikts auf die Schultern der Befragten und gerade deshalb überraschen die Antworten. Ein Großteil der jüdischen und arabischen Israelis merkt, dass es hier nicht um Politik geht, sondern vor allem darum, einen Menschen zu begehren. Der Film macht jedoch auch deutlich, dass diese Trennung von Politik und Emotion in der israelischen Gesellschaft kaum stattfindet.
Nach der Vorstellung folgt eine Diskussionsrunde in Anwesenheit der Regisseurin: Yolande Zauberman macht sich keine Illusionen. Sie weiß, dass sich der Nahostkonflikt nicht zwischen den Kissen lösen lässt. Trotzdem öffnet sie eine Tür, wenn sie die Menschen auf den Straßen Tel Avivs zum Nachdenken anregt. Lasse ich zu, dass der politische und gesellschaftliche Konflikt mein Intimleben beeinflusst? Die vermeintlichen Feinde erhalten durch ihre Frage ein Gesicht. Sie werden zu gewöhnlichen Menschen. Vielleicht ist genau das ein Schritt in die richtige Richtung, der irgendwann auch auf politischer Ebene ankommt.
Kommentare 2
Lieber Georg von Grote,
du hast Recht - der Trailer ist in den meisten Foren verschwunden. Ich werde das Filmfest Team heute Abend bei der Veranstaltung "Schauspieler befragen Regisseure" befragen, was das für ein etwaiges Tauziehen hinter den Kulissen stattfindet.
Viele Grüße aus Hamburg
Lena Frommeyer
Eine 'entwaffnende' Fragestellung, die als Ausgangspunkt einen spannende Film zur Folge haben kann. Eine Irritation, die anregen kann, mal aus dem gewohnten Denkschema, mit dem man die Überlegungen zu einem Problem, hier den israelisch-palästinensischen Konflikt im Alltag der israelischen Gesellschaft, meist unterlegt, herauszukommen.
Nur, wenn das auf die Hoffnung, "dass Liebe alle Schranken überwindet", hinausläuft, dann gibt man sich wohl Illusionen hin.
Fragen wir mal z.B. in der gut situierten besseren Hälfte der Mittelschicht rum, ob man sich eine(n) Partner(in) aus dem sog. bildungsfernen Prekariat vorstellen kann, werden viele vielleicht p.c.-mäßig mit "Warum nicht?" antworten, aber die Realität der Partnerwahl und der 'sozialen Reproduktion' (im Sinne Bourdieus) sieht anders aus.
In Gesellschaften wie den Nachfolgestaaten Jugoslawiens z.B. kann man die Realität einer doppelten Segregation, der sozialen und der ethnischen, gut beobachten. Wie es in der israelischen Gesellschaft mit der Realität der sozialen Differenzierung im Verhältnis zur ethnischen aussieht - davon erfährt man ja hierzulande in den Medien höchstens nur dann ein wenig, wenn mal nennenswert große Protestaktionen von Unterpriviligierten stattfinden, wie 2011/12.