Der Geruch der Deutschen

Die Kosmopolitin Unsere Kolumnistin erlebte zwei Stunden mit den freundlichsten Menschen der Welt
Ausgabe 48/2016

Es ist ein Montagmorgen, es ist winterkalt, und ich bin um kurz vor sechs Uhr aufgestanden. Am Sonntag hatte ich einen Kindergeburtstag hinter mich gebracht, und in der Früh bin ich aufgestanden, um von München nach Stuttgart zu fahren, weil ich dort eine Vormittagslesung halten soll, in der Stadtbücherei für Schüler. Das machen Autoren: Kindergeburtstage, und am nächsten Tag in aller Herrgottsfrühe zum Bahnhof eilen.

Ein Montagmorgen also, ich soll aus meinem Sachbuch lesen, es heißt Sie können aber gut Deutsch!, was ironisch gemeint war, was aber viele zu meinem Erstaunen nicht verstanden haben, es ging um Integration und multikulturelle Gesellschaft und diesen ganzen Nonsens. Ich will da nicht hin, denke ich bei jedem Schritt, das machen Autoren: sich vor Lesungen in innerer Verweigerungstaktik üben. Und fluchen. Und schimpfen. Sich selbst bemitleiden. Und wissen, dass man in zwei Stunden den Saal zufrieden verlassen wird, so ein bisschen, als könnte man fliegen.

In der Bücherei erzählt man mir, dass die Schüler, denen ich da vorlesen soll, alle, und damit meine ich alle, nicht länger als vier Jahre in Deutschland leben, die meisten von ihnen auch nur seit einem Jahr. Das erzählt man mir, und ich bin mir sicher, dass hinter der Idee ein großartiges Konzept steht, eines, bei dem die, um die es geht, auch mitdiskutieren, und so weiter, aber ich stehe da mit meinem Buch und habe erst mal ein simples Problem zu lösen: Wie liest man aus einem mit langen Sätzen und Fremdwörtern gespickten Sachbuch vor, für Menschen, die sich noch an einfachen Dialogen üben?

Die Jugendlichen – 16, 17 Jahre alt – kommen aus 13 Ländern und könnten unterschiedlicher, aber auch freundlicher und interessierter nicht sein. Ich versuche es mit einem ersten Absatz und merke an den Augen, dass sie mir nicht folgen können. Ich blicke auf die Uhr und sehe, wir haben noch zwei Stunden zusammen Zeit. Und lege das Buch deshalb beiseite.

In den zwei Stunden, die uns verbleiben, leben wir dann das, worüber ich vorlesen sollte. Wir reden. Und wir lachen, ziemlich viel, miteinander. Ich mach’s ihnen einfach: Ich komme aus Russland, sage ich, da werde ich immer gefragt, ob ich Wodka trinken möchte. Da lachen sie, und eine sagt: Ihr trinkt doch auch viel Wodka, oder nicht? So sammeln wir Vorurteile, Land für Land, Region für Region. Ihr klaut ziemlich viel, sagt man bei uns, erklärt die Italienerin dem Albaner. Und ihr wedelt alle mit den Händen, wenn ihr redet, sagt der Inder zu ihr, und weil er das Wort „wedeln“ nicht kennt, macht er sie nach, da lachen dann alle und rufen, „stimmt, das macht sie immer“. „Ich komme aus Afghanistan“, stellt sich einer vor, „und alle fragen mich immer nach dem Krieg, aber ich weiß nicht, warum wir das haben, den Krieg.“ „Das weiß ich bei uns auch nicht“, sagen da der Kosovare, der Albaner, die Kroatin und der Bosnier, der in Serbien aufgewachsen ist. Wir werfen zwei Stunden lang mit Vorurteilen umher, aus denen Fragen und Antworten entstehen, in denen politisch unkorrekte Worte fallen wie Zigeuner und niemand Angst hat, jemanden zu treffen. Vielleicht wird deshalb niemand getroffen.

Deutschland spare ich mir für zuletzt auf, diese eine Frage: „Und was ist mit Deutschland?“ Hände zischen nach oben. „In Deutschland, da riechen die Wohnungen. Die Wohnungen und Häuser der Deutschen, die riechen so, dass man sofort weiß, dass da ein Deutscher wohnt“, sagt eine. Und alle anderen nicken. Und ich glaube, ich nicke mit.

Die deutsch-russische Autorin Lena Gorelik schreibt als Die Kosmopolitin für den Freitag. Zuletzt erschien von ihr der Roman Null bis unendlich (Rowohlt 2015)

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