Freude, wo Empörung sein müsste

AfD Unsere Kolumnistin kann sich über einiges freuen. Manche Freude versteht sie aber nicht
Ausgabe 37/2019
Irgendwann hört der Spaß auf
Irgendwann hört der Spaß auf

Foto: Imago Images/ZUMA Press

Das mit der Freude ist ja so eine Sache: Sie ist sehr individuell. Ich schreibe diese Kolumne im Café in einem Märchenpark für Kinder, in dem meine Kinder toben, und am Tisch vor mir sitzt ein älterer Herr, der sich gerade wahnsinnig gefreut hat, ein besonders großes Stück Leberkäse auf seinem Brötchen erhalten zu haben.

Mein kleiner Neffe hat sich gerade sehr gefreut, mit einer dieser nervig klingenden, engen Bimmelbahnen zu fahren, und ich habe mich wiederum sehr gefreut, dass er bereit war, dies mit seinen Cousins zu tun, sodass ich mich da nicht hineinquetschen musste. Wir müssen die Freuden der anderen wahrscheinlich nicht immer verstehen.

Müssen wir nicht? Ich sage und schreibe das, tue mich aber da, wo die Freuden nicht persönliche sind, sondern uns alle betreffen, die wir das Land, das Leben miteinander teilen, schwer damit. Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg beispielsweise, da freuten sich viele Menschen, die der AfD ähnlich feindlich und beängstigt gegenüberstehen wie ich, sehr. Sie feierten geradezu.

Ich saß vor dem Bildschirm, hatte einen Teller auf dem Schoß, aber mir war der Hunger vergangen, und ich war zu erschlagen, um mich lauthals zu empören. Und schaute zu, wie Brandenburgs AfD-Spitzenkandidat Andreas Kalbitz, der schon an einem Neonazi-Aufmarsch teilgenommen hat, den Begriff Demokratie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erklärte. Und las, in den sozialen Medien und in Nachrichten von Freunden, wie sie alle feierten, dass die AfD nicht zur stärksten Kraft gewählt worden war. Als sei das ein Fest zum Jubeln.

Natürlich, nach den Umfragen, die den Wahlen vorausgegangen waren, wäre alles möglich gewesen, auch dieses Ergebnis. So gesehen geschah also das geringere Übel, aber diese paar Prozent, die die SPD in Brandenburg und die CDU in Sachsen der AfD voraushatten, die änderten nichts daran, dass zum Teil jede*r dritte Wahlberechtigte eine Partei gewählt hatte, die sich als rechtsradikal einstufen lässt. Daran, dass sie an diesem Abend, an dem man sich also auch freute, in verschiedenen Runden als „bürgerlich“ bezeichnet worden war, oder daran, dass sie – auch als Opposition – einen großen Einfluss darauf haben wird, was in zwei großen Bundesländern geschieht. Diese Freude ist eine, die sich abgefunden hat, es ist die Freude gezuckter Schultern, die Freude nach der Akzeptanz: dass ebendiese rechtsradikale Partei ein (großer) Teil unserer Parteienlandschaft ist, eine Volkspartei (die großen Wert legt auf den ersten Teil dieses Wortes, Volk, und meint, diesen definieren zu können), dass die Möglichkeit, dass sie stärkste Kraft in einem Landtag (oder gar im Bundestag) sein könnte, eine reale ist. Es ist eine Freude, die jede Abwehrkraft, jede Empörung vergessen hat. Es ist eine Freude ohne eigene Stärke.

Ich saß auf dem Bett vor dem Fernseher, ich aß nichts, das Bett stand in einem Hotel, und irgendwann mal ging ich hinunter in die Lobby, um mir an der Bar etwas zu trinken zu holen, wo ebenfalls der Fernseher lief, vor dem ebenfalls Menschen saßen. Sie aßen und tranken und blickten auf den Bildschirm, auf dem ein Tennismatch lief. Ich entschied mich für Wein und gegen ein Bier, so wie alles immer eine Entscheidung ist: hinzuschauen und auch weg-, sich zu empören oder sich lauthals zu freuen. Der ältere Mann, der in dem Café im Märchenpark am Tisch vor mir sitzt, hat soeben beschlossen, sich ein weiteres Leberkäsebrötchen zu gönnen.

Die deutsch-russische Autorin Lena Gorelik schreibt als Die Kosmopolitin über interkulturelle Begebenheiten für den Freitag

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