Für den Duft ein Like

Die Kosmopolitin Millionen Menschen folgen einem Duschgel auf Instagram. Das bereitet unserer Autorin Kopfzerbrechen
Ausgabe 20/2018
#endlichfrühling
#endlichfrühling

Foto: Imago/Photocase

Seit Tagen diese eine, große Frage: Wie können 5,6 Millionen Menschen einem Duschgel folgen? Aber die Frage ist größer als das. Ich saß mit einer Bekannten in einer Küche zusammen, wir tranken Kaffee, diese alte, analoge Art, miteinander zu kommunizieren. Wir sprachen über Social Media (ich verfolge Nachrichten auf Twitter und kann nicht genau sagen, warum ich noch immer oder überhaupt bei Facebook bin), wir sprachen über Instagram. Ich hatte mir das vor ein paar Wochen heruntergeladen und nicht so genau verstanden, warum ich erst Schneematsch fotografieren und zwei Wochen später blühende Rhododendron-Büsche und beides mit Hashtags versehen sollte: erst #ichmagnichtmehr und dann #endlichfrühling.

Ich hab auch den Retrofilter noch nie verstanden. Als wäre das Jetzt nicht gut genug. Und Eltern, die ihre Kinder, in etwas hineinrennend, von hinten fotografieren, weil sie ihre Gesichter nicht zeigen wollen. Aber warum sie überhaupt zeigen, der verzweifelte Versuch, ein Gefühl der Kindheit in einem Bild festzuhalten, wo doch genau das an der Kindheit so schön ist: dass sie nicht hält. Dass Kinder eine einzige Bewegung sind, nämlich die nach vorne.

Jedenfalls saß ich mit einer Bekannten zusammen, die manchmal ihr Essen, manchmal ihren Hund, manchmal blühende Rhododendron-Büsche fotografiert und mit Hashtags versieht. Und sie sagte, in einem Nebensatz eigentlich: „Da ist dieses Duschgel, dem über fünf Millionen Menschen folgen.“ Warum folgen Millionen von Menschen einem Duschgel auf Instagram? Da ist ein Unternehmen, das Duschgel produziert, und Menschen, die dieses Duschgel mögen, weil es sich gut anfühlt auf der Haut oder gut riecht, verfolgen Nachrichten und Fotos von diesem Produkt. Sie nehmen sich die Zeit, einer reinigenden Flüssigkeit in einer Plastiktube zu folgen.

Ich weiß, dass das nicht wortwörtlich zu verstehen ist, aber ich stelle es mir dennoch so vor: eine rosafarbene Duschgelflasche, auf kleinen, flinken Füßen. Sie läuft durch ein Haus, die Treppe hinunter, die Straßen entlang, schlängelt sich zwischen Beinen durch und hält regeltreu an den roten Ampeln. Und junge Leute, Mädchen, Jungs, rennen diesem Duschgel hinterher, sie sehen dem Duschgel dabei zu, wie es sich auf eine Wiese fläzt oder wie es sich ein Eis kauft.

Ein Duschgel, das Follower hat. Menschen, die das Bedürfnis haben, Follower zu haben. Man muss das nur übersetzen: andere, die einem folgen, wie in einer Sekte? Und einen gutheißen, bestätigen: Dein Essen sieht lecker aus, dein Kind sehr süß, und ja, ich verstehe auch, dass du auf den Frühling wartest, als wäre da kein eigenes Gefühl, als reichte die eigene Liebe für das süße Kind nicht. Die Suche nach Gemeinsamkeit und Gemeinschaft, weil da andere sind, die man noch nie getroffen hat, die ebenfalls auf den Frühling warten. Ist man dann weniger allein, weil andere, die man, träfe man sie tatsächlich, vielleicht noch nicht mal mögen würde, sagen: Das sieht gut aus, dein mit Retrofilter im Quadrat fotografiertes Leben. Zweisamkeit, in der Welt ausgestellt, Momente der ganz eigenen Magie, für ein paar Likes verkauft. Das lässt sich erklären in einer auf Selbstoptimierung und Individualisierung fixierten Gesellschaft mit Hang zum Narzissmus.

Aber, und das ist meine Frage seit Tagen: Das Bedürfnis, einem Alltagsgegenstand, einem Duschgel zu folgen, was gibt es einem Menschen? Worauf kann das die Antwort sein?

Die deutsch-russische Autorin Lena Gorelik schreibt als Die Kosmopolitin für den Freitag. Zuletzt erschien von ihr der Roman Mehr Schwarz als Lila

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