Ihr, wir, ach

Die Kosmopolitin Unsere Kolumnistin weiß: Einwanderer sind immer auf Bewährung
Ausgabe 25/2018
„Diese Woche beim Perfekten Dinner: Exilrussen“
„Diese Woche beim Perfekten Dinner: Exilrussen“

Foto: Westend61/Imago

Früher, in der anderen Zeitrechnung, in der ich keine Kinder hatte und mehr Zeit war, nicht nur für mich, sondern für alles, da guckte ich wahnsinnig gern Das perfekte Dinner. Ich sah denen im Fernsehen beim Kochen zu, während ich Tiefkühlpizza futterte, blickte in Wohnungen und vermeintlich ins Leben hinein, ich lachte und wunderte mich. Und machte mir, um dem schlechten Gewissen angesichts dieser voyeuristischen, höchst sinnlosen, und wie ich stark spürte, peinlichen Leidenschaft zu entgehen, viele Gedanken: über die Qualität des deutschen Fernsehens, narzisstische Sehnsüchte der Laienköche, die menschliche Sehnsucht, zu gelten.

Einmal fuhr ich mit meinem besten Freund nach Russland, wo wir mit Begeisterung und er ohne Sprachkenntnisse die russische Version der Sendung Abend für Abend verfolgten – und mit der Überheblichkeit übersättigter Demokraten kommentierten: die simplen Gerichte, die die Russen in ihren Miniküchen fabrizierten, die kurzen, aber von langer Hand ausgewählten Röcke der Teilnehmerinnen.

Seitdem hat sich vieles gewandelt, mein eigenes Leben, in dem ich den Fernseher verkauft habe, weil keine Zeit mehr bleibt, ihn einzuschalten. Und das andere Leben, das große, in dem Männer wie Trump, Erdoğan und Orbán ..., aber das weiß man ja alles. Mein bester Freund, dessen Leben sich ebenfalls in Form von Kindern gewandelt hat, schreibt mir eine SMS: „Diese Woche beim Perfekten Dinner: Exilrussen – das ist was für Dich! Erst volles Lob und dann: „Grabbensalad leider, leider war gar keine Grabbelsalad – weil ohne Huhn.“

Und bevor ich ihn frage, wann er denn die Zeit hat, diese Sendung zu schauen, die ich schon vergessen habe, will ich wissen, ob er das nicht rassistisch findet, eine Woche lang nur Russen zu zeigen. Bevor dann „Türken unter sich“ und „Syrer in der Küche“ dran sind. Ich weiß nicht, warum mir das so aufstößt, diese – nicht überraschende – Schubladisierung einer, wie ich schon damals beschloss, unnötigen, peinlichen Sendung. Ist es vielleicht, weil ich das Gefühl habe, dass es ein Phänomen ist, ein um sich greifender Virus: Diese Einteilung von „Ihr“ und „Wir“, oder vielmehr noch von „Wir“ und „Die“. Die Flüchtlinge, die Migranten. Ist es, weil sich über die Frage, wer alles genau an unseren Außengrenzen (Woher dieses Wort wohl in den alltäglichen Sprachgebrauch wieder hervorgekrochen kam?) abgewiesen werden soll, nur die angeblich nächstenliebenden Parteien zerstreiten? Ist es, weil Autoren wie ich – mit diesem Migrationshintergrund, den wir nicht ablegen können, dürfen – immer mehr Briefe bekommen, die vor immer mehr Hass strotzen? Ist es, weil Freunde nicht weißer Hautfarbe immer mehr von Ressentiments und Ausgrenzung berichten? Ist es, weil die Frau, die ein Kopftuch trug und die ich im Vorbeigehen nach der Uhrzeit fragte, sich so ausführlich bedankte, weil ich ihr diese Frage gestellt hatte, statt mit Handzeichen auf mein Handgelenk zu zeigen, davon ausgehend, dass sie kein Deutsch verstehe?

„Wir Einwandererkinder sind hier für immer auf Bewährung. Ein Fuck Up und du bist raus“, twitterte der Autor Dmitrij Kapitelmann nach der Debatte um Özil und Gündogan. Ich hatte innegehalten, als ich das las, unsicher, wie ich diese Aussage finden sollte. Schmerzhaft wahr? Weil ich so gerne daran glauben wollte, dass wir Einwandererkinder mehr sein dürfen als immerzu nur das: Einwanderer, die. Exilrussen beispielsweise.

Die deutsch-russische Autorin Lena Gorelik schreibt als Die Kosmopolitin für den Freitag

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