Jogginghose und Feinripp

Die Kosmopolitin Unsere Kolumnistin wohnt einem Kulturclash zwischen Bayern und Ostdeutschland bei
Ausgabe 29/2018
Die Freundlichkeit ist überall die gleiche. Feinripp womöglich auch
Die Freundlichkeit ist überall die gleiche. Feinripp womöglich auch

Foto: Bonn-Sequenz/Imago

Brandenburg, irgendwo. Dieser Osten Deutschlands, von dem man, wenn man in Bayern lebt wie ich, gerne denkt, dass er ein Teil Deutschlands sei, und immer wieder liest, dass die Teilung noch nicht überwunden wäre. Beinahe ein brandenburgisches Nichts: ein Dorf, ein paar Häuser, ein Spielplatz, auf dem niemand spielt, dahinter beginnt ein Wald, im Wald ein Moor.

Es könnte das Ende der Welt sein oder eine Filmkulisse. Der Film wäre vielleicht ein Drama, Alkohol, kaputte Familien, jemand würde schreien, jemand würfe eine Bierflasche an die Wand. Die einstöckigen Häuser sind grau, dieses Grau, das Osten sagt, egal, wie sehr man ihn nicht mehr glauben möchte, den Osten; wir kommen aus der Bundesrepublik hierher. Auf den Fenstersimsen Blumenbeete, bunt bepflanzt, aber was in Bayern unter Sonnenschein nach Spießigkeit aussieht, wirkt hier vor dem Hintergrund der ehemals weißen Tüllvorhänge wie stehen gebliebene Zeit. In den Vorgärten sitzen Gartenzwerge und Enten aus Porzellan, und eine Frau sitzt auch da, weißer Plastikgartenstuhl und ein Blick, der die Fremdlinge, also uns, die wir an ihrem Garten vorbeispazieren, wegwünscht.

„Schwarz möchte man hier nicht sein“, sage ich zu meiner Freundin, „oder aufwachsen und feststellen, dass man homosexuell ist zum Beispiel.“ Aus einer der Türen tritt ein Mann heraus, er ist das, was man fettleibig nennt, und er ist das, was viele für ein Klischee halten würden: schwarze Jogginghose mit weißen Streifen an der Seite, ein Feinrippunterhemd, ebenfalls weiß, und im Gesicht eine Brille und ein Ausdruck, der nichts Gutes sagt. Er murmelt vor sich hin, das Murmeln wird lauter, und er bleibt stehen und beobachtet uns, wie wir die Straße entlanglaufen, und sein Murmeln und seine Haltung sagen, dass es nicht gut ist, dass wir da sind, zwei fremde Frauen in seinem Zuhause. Meine Freundin stellt fest, um jedes womöglich aufkeimende Vorurteil zu widerlegen: „In Garching bei München steht vielleicht auch genauso einer vor seinem Haus, der auch Angst hat, wenn Fremde durch sein Dorf laufen.“ Es stimmt, und es stimmt nicht.

Wir laufen weiter, in Richtung Wald, schnelleren Schrittes nun, um sein Blickfeld zu verlassen, also hat dieser Blick die Macht, uns zu vertreiben, denke ich, und dass er anders ist. Die Kleidung ist anders, die Brille, eben auch die Angst. Der eine hält fest an dem, was er hat, an den Blumenbeeten, an Wohlstand, an der Zufriedenheit seines Lebens, am Jetzt. Die Dinge sind gut, wie sie sind, das ist ein Grund, dass sie für immer so bleiben sollen. Der andere hingegen ist wütend: weil alles schon immer so war, weil alles nicht immer einfach war, weil man irgendwie Verlierer waroder sich so gefühlt hat.

Auch deshalb sollen die Dinge so bleiben. Der Wald ist wild, Farn und lilafarbene Blumen, niemand außer uns und hohen Tannen, ein See, der vielleicht ein Moor ist. „Der Wald bei uns ist anders“, sagt meine Freundin, sie meint München und Bayern damit.

Auf dem Rückweg schiebt ein anderer Mann eine Karre hinter uns die Straße zu seinem Haus, er hört uns sprechen und hilft kurz unaufgefordert weiter („der See ist ein Kilometer in diese Richtung“), und ich denke, in schlechter Anlehnung an Tolstoi, der sagte, dass alle glücklichen Familien einander ähnelten, während die unglücklichen sich in ihrem Unglück unterschieden, dass die Freundlichkeit überall dieselbe ist. Eine freudige Überraschung.

Die deutsch-russische Autorin Lena Gorelik schreibt als Die Kosmopolitin über interkulturelle Begebenheiten für den Freitag

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