Nie spricht mal wer ein klares Wort

Rassismus Unsere Kolumnistin will, dass die Dinge künftig beim Namen genannt werden
Ausgabe 41/2019
Frauen bei der Unteilbar-Demonstration im August in Dresden
Frauen bei der Unteilbar-Demonstration im August in Dresden

Foto: John Macdougall/AFP/Getty Images

Es gibt immer dieses eine Kind auf dem Spielplatz, in der Klasse, beim Kindergeburtstag, das die anderen drangsaliert, manipuliert oder einfach nur ausdauernd ärgert. Dessen Eltern zucken dann nur mit den Schultern und wuscheln ihm durch die Haare, „du kleiner Frechdachs!“. Auch auf der Weihnachtsparty gibt es immer den einen Kollegen, der nach einem Gläschen Wein eine Art hat, mit Frauen zu sprechen, Frauen zu berühren, der man gut mit den berühmten Hashtag begegnen könnte. Und auch da gibt es immer jemanden, der das ebenfalls schulterzuckend erledigt: „Er hatte eben ein Gläschen zu viel. Den kennst du doch, der ist halt so, der hat sich nur im Ton vergriffen.“ Und man sieht sich um, wartet auf ein klares Wort, auf die Sichtbarwerdung der Dinge: Wenn sie einen Namen bekommen, werden sie real.

Dinge beim Namen nennen: Eigentlich keine Kunst. Der Tisch ist ein Tisch, die Angst eine Angst, der Bäcker ein Bäcker. Die AfD ist die AfD, eine Partei, die im Bundestag sitzt, von Bürgern gewählt, eine Partei mit rechtsextremen Ausschlägen. Es scheint schwer zu sein dieser Tage, die Dinge, soweit sie die AfD betreffen, beim Namen zu nennen. In Diskussionen werden Politiker, Aussagen, Vorstellungen und Provokationen seitens der AfD gerne als rechtspopulistisch oder gar konservativ bezeichnet, was nicht ganz harmlos, aber eben auch nicht besonders besorgniserregend klingt. Dasselbe gilt für Menschen, die rassistische oder demokratiefeindliche Diskurse in Gang setzen, die sich nach und nach normalisieren. Das gilt nicht nur für das deutsche Politikerparkett, sondern auch für die internationale Bühne. Immerhin reden wir hier von den Führerfiguren der westlichen Welt.

Die wiederum selbst keine Angst haben, die Welt, wie sie sie sehen und sich zurechtlegen, zu benennen, sie beschreien sie geradezu, beschwören historische Vergleiche herauf, die gefährliche Assoziationen wecken. Der britische Premierminister Boris Johnson erklärte zum Beispiel, Hitler und die EU hätten „ein gemeinsames Ziel“ gehabt, und beim amerikanischen Präsidenten weiß man gar nicht, bei welchem Tweet man anfangen soll zu zitieren. Etwa wenn er schwarze Kongressabgeordnete auffordert, doch dahin zurückzugehen, wo sie hergekommen seien. Der mächtigste Mann der Welt – ein Rassist. Es ist keine Kunst, die Dinge beim Namen nennen.

Dann sitze ich da, in dieser Runde, zusammen mit anderen Eltern, mit denen einen nichts weiter verbindet als das gerade mit deren Nachwuchs spielende oder Sport treibende Kind. Eine Frau, deren Namen ich nicht einmal kenne – so zufällig ist unser Zusammentreffen –, spricht über Erziehungsmethoden, insbesondere die der Vietnamesen. Sie seien streng und fordernd, sagt sie, alles schon mal gehört, denke ich, aber dann fällt dieser Satz, dieser eine Satz, der eine Grenze überschreitet: Man wolle solche hier doch nicht dabeihaben, um seine Kinder zu schützen. Und ich sitze da und kenne diese Frau nicht, und bald können wir gehen, und es wäre so einfach zu schweigen und das später jemandem zu erzählen, der das ebenso fragwürdig findet wie ich. Die Kinder spielen, immer noch. Ich sage nichts, die anderen sind schon dabei, das Thema zu wechseln, zu spät, atme ich beinahe auf, und dann sage ich doch etwas. Betretenes Schweigen, was sollen sie auch sagen. So sitzen wir da, das Gesagte hängt in der Luft. Zum Glück hängt es da, an dieser Stelle ein Punkt. Die Kinder spielen, immer noch.

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