Schleudergang im Kopf: Kann eine Frau siegen?

Die Kosmopolitin Eine Diskussion über die Frauenquote lässt unsere Kolumnistin in Erinnerungen an sowjetische Waschmaschinen schwelgen
Ausgabe 13/2019
Manchmal ist der Sprung von einem Gedanken zum anderen schwer zu ergründen
Manchmal ist der Sprung von einem Gedanken zum anderen schwer zu ergründen

Foto: Christopher Furlong/Getty Images

Eine der ersten Erinnerungen überhaupt: die sowjetische Waschmaschine. Sie ist so groß wie die Eistruhe in Supermärkten, aber sie hat nicht deren reines Weiß. Sie steht im Badezimmer und dient als Ablagefläche und wird zum eigentlichen Zweck, zum Waschen, zwei Mal im Monat in den Flur gerollt. Einen Schleudergang hat sie nicht, aber dieses Geräusch: wenn die Wäsche gewirbelt wird. Das ist das Geräusch, das nicht zu übertönen versteht, wie meine Eltern sich streiten. Es geht um mich. „Ein Mal“, sagt meine Mutter, „nur ein Mal.“ „Nein“, sagt mein Vater. „Erst, wenn sie es verdient.“ Die Waschmaschine, die knatternde, aber nicht schleudernde, kann nicht übertönen, was sich erst später als ein Grundgefühl des Lebens herausstellen wird: dass alles ein Kampf ist und ich den alleine zu gewinnen habe.

„Du wirst ihr die Lust verderben“, ruft meine Mutter jetzt, weil sie nicht nur die Waschmaschine, sondern auch die sich entfernenden Schritte meines Vaters übertönen will. Mein Vater schlürft in seinen zerschlissenen Hausschuhen, beigefarbener Cord, der vielleicht ein Kunstleder war, was weiß ich, ins Wohnzimmer zurück.

Was ich weiß: dass ich den Sieg verdienen möchte. Ich bin vier Jahre alt. Ich bin fünf, sechs, sieben Jahre alt, heute bin ich achtunddreißig, und das Wissen ist noch dasselbe; ich kann es heute besser aufs Leben übertragen. Ich will, was ich kann. Und was ich nicht kann, will ich können. „Lass mich nicht einfach gewinnen“, flüstere ich meinem Vater zu, damit meine Mutter mich nicht hört. „Du bist am Zug“, sagt mein Vater, und die Waschmaschine macht immer noch dieses Geräusch. Auch noch, als ich dieses wie jedes weitere Schachspiel gegen meinen Vater verliere. Daran muss ich denken, als ich viele Jahre später, um genau zu sein, vor ein paar Tagen, in einer Münchner Bar sitze, in einem anderen Leben. Ein anderes Land, ein anderes Ich, alles anders, der falscheste Ort, um ans Schachspielen oder sowjetische Waschmaschinen zu denken.

In dieser Bar sitze ich mit einer Freundin, die in der Filmbranche ist, so sagt man das doch, obwohl das immer leicht nach Hollywood und unangenehm klingt. Sie macht Filme. Mit dieser Freundin spreche ich über #MeToo, genauer gesagt, sie spricht – über die negativen Auswirkungen von #MeToo. Und ich spüre diese Empörung in mir hochsteigen, diese blöde Empörung, die den Gegenpart nicht ausreden lassen will. Ich höre ihr dennoch zu. Sie spricht von diesen Sätzen, die sie immer öfter hört: Hier muss noch eine Frau rein. Bei dem Drehbuch, da haben sie noch eine Frau mitschreiben lassen, das ist doch gut, dann war da eine Frau dabei. Ah gut, dass du da jetzt dabei bist, die haben noch eine Frau gebraucht. Sie wisse nicht, sagt meine Freundin, ob sie ihrer Arbeit wegen geschätzt werde – oder nur, weil sie gute Arbeit macht und eine Frau ist. Ob sie nicht überempfindlich sei, will ich wissen, und ob das andere Gefühl, dieses Endlich-sprechen-zu-Dürfen, das, was #MeToo ausgelöst habe, nicht von der Bedeutung her, aber da steigt wohl in ihr diese blöde Empörung auf, sie unterbricht mich mitten im Satz. Kennst du das nicht, dieses „Ich habe es verdient“, liebst du das Gefühl nicht auch?

Dass man weiß, das habe ich selbst geschafft. Und jetzt benutzt sie dieses Wort, die Quote. Und nicht, weil man eine Quote erfüllt. Da muss ich dann in dieser Münchner Bar an die sowjetische Waschmaschine denken, an die Schachfiguren, die mein Vater nachdenklich betrachtet. Wie alles zusammenhängt.

Die deutsch-russische Autorin Lena Gorelik schreibt als Die Kosmopolitin über interkulturelle Begebenheiten für den Freitag

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