Schüler machen mir Angst

Die Kosmopolitin Unsere Kolumnistin fürchtet die Schreibwerkstätten, auf denen sie als Autorin mit jungen Menschen arbeitet
Ausgabe 05/2017

Schulen hasse ich, was wohl ein Schutzwall ist gegen den Satz: Schulen machen mir Angst. Pausenhöfe sind Orte, an denen vielleicht niemand mit einem spricht, Klassenzimmer eine Möglichkeit, etwas Dummes zu sagen, Schulklos haftet nicht nur in Klischees etwas Ekelndes an, und der schlimmste Ort: die Turnhalle. Schulen betrete ich ungern und trotz aller Vorsätze ängstlich und eigentlich nur aus einem Grund: Um Schreibwerkstätten mit Schülern durchzuführen.

Schülern begegne ich vorsichtig, was wohl ein Schutzwall ist gegen den Satz: Schüler machen mir Angst. Da, wo wortgewandte Diskussionsgegner, herausfordernde Interviewpartner und ein großes Lesepublikum das Adrenalin fließen lassen, machen mir möglicherweise gelangweilte Schüler Angst. Sie haben eine unmittelbare Ehrlichkeit in ihren Reaktionen. Die wissen sie in ihre Gesichter zu legen. Mit diesem Gefühl betrete ich eine Mittelschule im Münchner Norden. Aber ich verlasse sie mit einem anderen Gefühl. Das Gefühl trägt mich durch die Kälte, den Tag und lässt mich auch beim Einschlafen nicht los. Ich finde für das Gefühl keinen Namen und siedle es zwischen Wunder und Dankbarkeit an. Neun Übergangsschüler und -schülerinnen, keiner von ihnen länger als anderthalb Jahre in Deutschland, keiner älter als 16. Syrien, Irak, Albanien, Afghanistan, Rumänien. Ein paar der Mädchen tragen Kopftuch, ein paar der Jungs sind ohne Eltern nach Deutschland geflohen. Das Eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Alle geben sie zur Begrüßung mit einem Strahlen die Hand. Einer heißt Ilias, ihn muss ich erwähnen, weil er der Erste ist, dem ich begegne und sein Lächeln im ursprünglichen Sinne des Wortes entwaffnend ist. Es nimmt mir die Angst aus der Hand.

Zwei Jungs machen Tee. Alle lächeln. In der Schreibwerkstatt geht es um Fragen, Fragen stellen, Fragen beantworten, und eigentlich darum, herauszufinden, dass es keine dummen Fragen gibt. Antworten auf Fragen gehen so: Mein Wunsch ist es, eine gute Ausbildung zu haben, meine Eltern wiederzusehen. Heimat ist Krieg. Ich hab Angst vor Flugzeuggeräuschen, weil ich dann denke, sie könnten Bomben abwerfen. Heimlich tanze ich gerne und ziehe mein Kopftuch aus. Mädchen haben in Syrien mehr Freiheit als Jungs, weil sie nicht arbeiten müssen. Fragen, die sie stellen, gehen so: Welche Bewegung machst du, wenn du lügst? Wer ist dein Lieblingsmensch? Was ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen? Wie kann man eine Frage finden? Auch sie eine unmittelbare Ehrlichkeit in ihren Reaktionen. Auch sie wissen sie in ihre Gesichter zu legen.

Ich versuche, darüber zu sprechen. Ich nehme an, dass in meiner Stimme die Begeisterung der Übergangsschüler liegt. Aber, sagt meine Freundin, und ich höre dem Aber zu. Dass ich so ungern zu Schülern gehe, dass ich mich über Schreibwerkstätten beklage und die einzigen zwei, aus denen ich begeistert herauskam, die mit Übergangsschülern waren. Sie spricht „positiver Rassismus“ nicht aus, aber der Begriff steht laut im Raum. Aber, sage ich, aber. Weil sie mir mit einer Neugierde, einer Höflichkeit, einer Menschlichkeit begegnen. Weil sie mir Fragen stellen, weil ihnen das Überfressen-Sein an Angeboten, Anreizen fehlt. Aber, sage ich, da sind noch eine Menge Gründe. Die Unlust, hinzugehen, war doch genauso da. Ich bin doch nicht gern hingegangen, um die Welt zu retten, weil es Übergangsschüler waren. Sie waren dann so.

Aber, sagt sie, und das Aber nehme ich in die nächste Stunde mit.

Die deutsch-russische Autorin Lena Gorelik schreibt als Die Kosmopolitin für den Freitag. Zuletzt erschien von ihr der Roman Null bis unendlich (Rowohlt 2015)

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