Super schaumig schäumen können! Das wär’s

Die Kosmopolitin Unsere Kolumnistin wundert sich darüber, was man alles professionell lernen kann. Selbst wenn man es gar nicht braucht
Ausgabe 09/2019
Wer sich besonders viel Mühe gibt, kriegt den Schaumschläger zum Cappuccino gleich mit dazu
Wer sich besonders viel Mühe gibt, kriegt den Schaumschläger zum Cappuccino gleich mit dazu

Foto: Kirill Kudryavtsev/AFP/Getty Images

Milch schäumen, jeden Morgen. Also ich stehe auf, sehne mich, wie jeder Kaffeetrinker, nach der ersten Tasse des Tages. Kühlschranktür auf, Milch raus, Milch in den Schäumer, Taste gedrückt, Espresso hineingekippt. Der erste Kaffeeschluck, das Lebensgefühl: besser.

Ich weiß, dass es auch anders geht. Ich weiß, dass es Menschen gibt, für die die Konsistenz des Milchschaums am Morgen (wie am Mittag und Nachmittag auch) von großer Bedeutung ist und ein Vollautomat, der die Milch auf Tastendruck hin schäumt, eine Ehrverletzung wäre. Was ich bis vor ein paar Tagen nicht wusste, ist, dass Menschen Workshops besuchen, in denen sie das lernen, diese Kunst, Milch zu schäumen. Drei Stunden lang. An einem Samstag, einem Sonntag. Ein Freund erzählt mir das, er erzählt von seinem Kollegen und dass er ihn, diesen Kollegen, gefragt habe, da müsse ja viel Milch verbraucht gewesen sein, bei mehreren Teilnehmer*innen, in drei Stunden. Das war gar nicht der Fall, erklärte ihm der Kollege, allen Ernstes, er verzog beim Kommentar keine Miene, da war keinerlei Selbstironie. Spülmittel, erklärte er, dem es ein Anliegen war, die Kunst des richtigen Milchschäumens zu beherrschen, habe dieselbe Konsistenz wie Milch; deshalb habe die Klasse erst einmal mit Spülmittel geübt.

Vor Jahren lebte ich eine Zeit lang in Kanada, Toronto, wo ich erst einmal, wie man das in fremden Ländern so tut, täglich staunte, unter anderem über folgende Frage: Which classes are you taking? Welche Klassen und Kurse ich besuchte, aber damit war nicht die Uni gemeint. Jede*r, den ich kennenlernte, schien in der Freizeit, nach der Arbeit also, sich vervollkommnen zu wollen: Eine Freundin schnitzte dienstagabends, eine andere lernte, indische Soßen zu kochen, ein Bekannter, der an der Universität lehrte, fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm Anpflanzen zu lernen. Wir saßen bei einem Wein in seiner Wohnung zusammen, ich blickte erstaunt um mich: Da war kein Garten, kein Balkon, kein Gartenzugang. Oh, das tue ich nur, um mich weiterzuentwickeln, erklärte mein Bekannter, der meinen verwirrten Blick aufgefangen hatte. Ich gab mir Mühe, diesen Drang zu verstehen, sich weiterzuentwickeln auf all diesen Gebieten, die, nun ja, noch nicht einmal als Hobby zu bezeichnen waren. Und nachdem er so viel wie möglich übers Bepflanzen gelernt hatte, lernte er, immer mittwochs um sechs, wie man angelt. Ich weiß nicht, ob er jemals zum Angeln hinausfuhr.

Die Selbstentwicklung geht in Nordamerika inzwischen flexibler als auch professioneller: Video-Tutorials, die sich Master-Classes nennen und sich im Abo buchen lassen, bringen einem alles von Schauspielerei, Videospielentwicklung über Fotografie bis Sternekochen bei. Stars wie Annie Leibovitz oder Michael Douglas erklären einem den eigenen Beruf. Und suggerieren nebenbei, die bequeme Selbstentwicklung vom Laptop aus könne direkt in die Berühmtheit führen. Man muss dafür die Couch noch nicht einmal verlassen. Der Wunsch, mehr zu sein als das, was der Alltag bietet, der treibt den Menschen um. Ausbrechen, einmal die Woche, oder für ein Wochenendseminar, nicht Eltern sein, nicht Arbeitnehmer, auch nicht Chef. Etwas anderes, ein Gärtner zum Beispiel, eine Instrumentenbauerin, eine Ballerina. Von mir aus jemand, der Milch besonders schaumig schäumt. Viele sagen: Etwas mit den eigenen Händen machen. Gesund, solange die Hände tatsächlich etwas tun.

Die deutsch-russische Autorin Lena Gorelik schreibt als Die Kosmopolitin über interkulturelle Begebenheiten für den Freitag

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