Theater, Theater

Sonntagsdemo Die CSU wollte den Münchner Intendanten den Mund verbieten. Dass 25.000 Menschen gegen ihre Politik protestierten, konnte sie damit nicht verhindern
Ausgabe 30/2018
Die Rollen, so klar sie verteilt waren, wurden zum Teil etwas eigenwillig interpretiert
Die Rollen, so klar sie verteilt waren, wurden zum Teil etwas eigenwillig interpretiert

Foto: Sebastian Widmann/Getty Images

Der Held, ganz einsam, im Regen. Mit diesem typischen, leicht verwirrten Blick, kein Lächeln auf den Lippen. Man könnte meinen, nähme man nur dieses Bild in Betrachtung, er sei eine tragische Figur, in einer Menschenmasse einsam, eben im prasselnden Regen. Aber er ist es nicht. Er ist geradezu das Gegenteil davon. Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspiele, in der Stadt nicht zuletzt aufgrund seiner markanten Frisur und seiner grellbunten T-Shirts bekannt wie ein bunter Hund, steht auf dem Goetheplatz mit vielen Tausend Menschen im Regen und wartet darauf, dass sich der Demonstrationszug in Bewegung setzt. Einen Regenschirm hat er nicht dabei.

„#ausgehetzt“, so lautet der Aufruf zu dieser Demonstration gegen eine Politik der Angst, gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft und gegen die von der CSU geforderte und geführte Asylpolitik. Am Ende, im letzten Akt sozusagen, werden es nach polizeilichen Angaben mehr als 25.000 Menschen sein, die sich auf dem Königsplatz zur Schlusskundgebung versammeln, um einem Gefühl Ausdruck zu geben, das in so vielen Theaterstücken verhandelt wird: Menschlichkeit. Nachdem der Vorhang gefallen ist, wird aber die CSU noch einmal auf die Bühne rennen, als hilfloser, sich selbst der Lächerlichkeit preisgebender Narr, und die Menschenmassen als „verwirrte Blumenkinder“ beschimpfen.

„Grantl’n – ja“

Der Bösewicht, entpersonifiziert: die CSU. Eine Partei, deren drei wichtigsten Gesichter, Seehofer, Söder und Dobrindt, zwar auf den Plakaten prangen (und somit am Pranger stehen), die bei dieser Demonstration aber für so viel mehr steht, für eine gesellschaftliche Entwicklung, die bereits als präfaschistisch beschrieben wird, für akzeptierten Hass. Der Bösewicht hat im Vorfeld aber auch im Kleinen, ganz konkret, intrigiert. Die CSU wollte im Vorfeld der Demonstration dem Theater das Sprechen verbieten. Das ließe sich sachlicher erzählen: Öffentliche Institutionen seien „aus gutem Grund dazu angehalten, sich politisch neutral zu verhalten“, argumentierte der Zweite Bürgermeister Josef Schmid (CSU) in seinem Vorwurf, die Münchner Kammerspiele und das Münchner Volkstheater hätten dieses Gebot verletzt, als sie mit als Erste den Demonstrationsaufruf unterzeichneten. Das ließe sich genauso gut auch größer erzählen: Eine Partei, die immer häufiger mit rechtsnationalen Parolen spielt, die diese immer weniger als Ausrutscher zu vertuschen versucht, weil sie am rechten Meinungsrand nach Wählern und Zustimmung fischt, wagt sich nun an die großen Werte und Themen heran: Meinungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit, Kunstfreiheit.

Matthias Lilienthal ist in der Stadt alles andere als allgemein beliebt, auch weil prominente Ensemblemitglieder seinetwegen kündigten. Aber er hat in den vergangenen Jahren eines unangefochten geschafft: Er hat die Kammerspiele in München zum gesellschaftlichen Akteur gemacht. Er hat einen aktiven Verhandlungsraum geschaffen, in dem unsere Gegenwart nicht nur in einem für das Bildungsbürgertum verständlichen Duktus auf der Bühne diskutiert, sondern tatsächlich gelebt wird. Mit dem Open Border Ensemble haben die Kammerspiele geflüchteten Künstlern einen Treff- und Schaffensraum gegeben, den hoffnungsvollen Blick in eine mögliche künstlerische Zukunft im neuen, meist sprachfremden Land; das am Theater angesiedelte wöchentlich geöffnete Welcome Café war einer der ersten Orte der Stadt, an dem die Münchner den Neuankömmlingen begegnen konnten. So war es nur folgerichtig, dass die Kammerspiele als künstlerisch-politischer Akteur ebenso wie das Volkstheater unter der Leitung von Christian Stückl die Stimme erhoben und mit zu einer Demonstration gegen jene aufriefen, die das verhindern wollen, was das Theater zu leben versucht.

Der Streit eskalierte in den Tagen vor der Kundgebung: Auch das Residenztheater solidarisierte sich öffentlich mit den Kammerspielen und dem Volkstheater ebenso wie viele Kunst- und Kulturschaffende, während der Zweite Bürgermeister sogar der Vertragsverlängerung des Volkstheater-Intendanten fernblieb. In der Nacht vor der Kundgebung versucht die CSU, das Bühnengeschehen noch einmal zu stören: Eilig werden Plakate aufgehängt, auf denen gegen #ausgehetzt gehetzt wird; da weiß man als Zuschauer nicht, ob man jetzt lachen darf oder sich ärgern soll.

So manch einer der 25.000 Demonstranten hetzt tags darauf deutlich zurück: „Abschieben, aber die Richtigen: Seehofer, Söder, Dobrindt“, steht auf einem Demoplakat. Ansonsten ist es eine sehr bayerische Kulisse: „Grantl’n – ja, Hetz’n – nein!“ Angesichts der Regenströme ist der Schlussakt auf dem Königsplatz umso wirkungsvoller. Matthias Lilienthal ist einer in dieser großen Menschenmenge, er hört zu und muss nicht sprechen; er hat das Seinige getan.

Zu den Erinnerungen an diesen Tag wird aber auch dieser Satz von Matthias Lilienthal gehören, den man theatralisch nennen würde, stünden nicht Werte wie Menschenwürde und Meinungsfreiheit auf dem Spiel: „Ich will nicht in einer orbánschen Republik aufwachen.“

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