Der Kaffee schmeckte, wie Kaffee heutzutage eben schmeckt, ein Cappuccino, brauner Zucker, Fair Trade, die Milch gut geschäumt, der Plastikdeckel, der jedes Mal ein schlechtes Gewissen verursachte. Die Kaffeeverkäufer vergaßen mein Gesicht immer so schnell wie ich ihres. Diesmal war es anders, sie kam mir nachgerannt, als hätte ich etwas vergessen. Dabei hatte ich an etwas gedacht.
Seit ich diesen Moment suche, an dem die kleinen Risse in der Gesellschaft zu einer Spalte wurden, zu diesem nicht mehr zu übersehenden Loch in der Geborgenheit unserer demokratischen Gesellschaft, suche ich nach Wegen, etwas dagegen zu tun. Dass man demonstrieren geht, eh klar. Unterschriftensammelaktionen, Geschichten aufschreiben und jede Verschiebung nach rechts, in unserer Sprache, in unserer Debattenkultur, in der Wahrnehmung, festhalten als solche. Nichts reicht, wie soll es auch. Gründe eine Partei, sagte meine Freundin. Mach was Großes. Was denn, antwortete ich und gab mir Mühe, die Verzweiflung nicht in Wut zu übersetzen.
Eine Weile dachte ich noch, es sei gut, mit denen, die so anders denken und fühlen als ich, zu sprechen. Dass die Demokratie auch das aushalten muss: entgegengesetzte Ansichten. Aber ihre Ansichten sind zu einem Hass geworden gegen Menschen wie mich, die aus anderen Ländern und Kulturen stammen, anders leben und fühlen und lieben als sie selbst. Dieser Hass tritt mit Füßen, worauf unsere Demokratie basiert: das Grundgesetz, die Würde des Menschen. Gewalt- und Morddrohungen und dieser Wunsch: dass wir aus diesem unserem Land verschwinden.
Also dachte ich, dass es vielleicht wichtig sei, klein zu beginnen, und achtete besonders darauf, jedem Menschen, dem ich im Alltag begegne, mit besonders viel Achtung, mit Komplimenten und zur Schau gestellter Offenheit zu begegnen. Ich zog in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr das Buch oder das Handy hervor, ich suchte Blickkontakt und probierte ein Lächeln aus, auch wenn man über mich sagt, dass ich immer so mürrisch dreinblicken würde. Man wunderte sich über mich, in Bussen und U-Bahnen, und manchmal kam ein Lächeln zurück.
Den Kaffee an diesem Morgen verkauften mir zwei junge Frauen, die sich sichtlich Mühe gaben, gastfreundlich zu sein. Ich rührte den Zucker um und wollte weitereilen, weil das einer jener Morgen war, an dem ich zu viele Nachrichten gelesen hatte und eh meinte, dass weder Freundlichkeit noch sonst irgendwas weiterhelfe gegen diesen Rechtsruck. Aber dann drehte ich mich doch um, um den beiden jungen Frauen zu sagen, dass es schön sei, wenn sie einem beiläufigen Kaffeekäufer wie mir so freundlich begegneten, und sie lachten, etwas verwirrt und überfordert, und bedankten sich weiterhin freundlich bei mir. Und ich fuhr die Rolltreppe hoch. Da rannte sie mir plötzlich hinterher, eine von ihnen, diese Rolltreppe hoch. Und sie sagte, dass es manchmal, in Zeiten wie diesen, die ihr also auch auffielen, so fremd sei, dass Menschen einander wahrnähmen und dass es deshalb viel bedeute, wenn dem so sei. Und dann drehte sie sich um und rannte die Rolltreppe wieder hinunter, Gegenverkehr, wie ein Kind, und ich fuhr, verwirrt und überfordert und für einen Moment naiv-glücklich, weiter hoch.
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Ähnliche Begegnungen geschehen auch für mich als 70jährigem Deutschen in der U-Bahn in Seoul. Um mich herum gibt es nur Koreaner. Einige schlafen, einige gucken mit leerem Blick ins Nichts, die meisten daddeln auf ihrem Smartphone. Hier identifiziere ich zwei Arten von Menschen:
Die zwischen 26 und 80 halten ihr Smartphone in der linken Hand und tippen irgendetwas mit dem Zeigefinger oder Daumen auf die virtuelle Tastatur. Die unter 25jährigen verfügen bereits (von Geburt aus?) über eine andere Handphysiognomie: Sie halten das Smartphone mit beiden Händen und zwar jeweils mit Zeigefinger und Mittelfinger, während sie gleichzeitig mit beiden Daumen wie wild in die Tastatur hacken. Vor allem eine junge Frau erntet dabei meine stumme Bewunderung, denn ihre Daumennägel sind künstlich verlängert. Ein Wunder, dass ihre Daumen überhaupt noch sensibel genug für den Touchscreen sind. Während ich so beobachte, spricht mich eine ca. 30jährige koreanische Frau, die direkt vor mir im U-Bahn Waggon steht an: "Sprechen Sie Deutsch?". Ich bin so verdaddert, dass ich nur ein "Ja" herausbringe. Mit einem glücklichen Lächeln wendet sie sich wieder ihrem Smartphone zu. Als ich aussteige, sage ich "Tschüss" und sie lächelt mir nochmals zu.
als kontrast dazu
(worte aus einer roman-besprechung, die ich wie folgt erinnere):
"sie füllte die risse der beziehung mit wasser und wartete auf die eis-zeit."
Nicht böse sein.
Wenn ich daran erinnere:
Es ist ein Reflexiv, Lieber!
Sich erinnern an
Als Grundform geht verlustig.
Wie schade doch.
ganz im un-bösen: da kommen wir nicht zueinander.