Gebt uns Taschen!

Mode Sofern überhaupt vorhanden, passt in Hosentaschen für Frauen oft nicht einmal eine Frauenhand. Muss das sein?
Ausgabe 02/2019
Gebt uns Taschen!

Illustration: der Freitag

Symbolträchtig und immer ein bisschen nach Chlor und Marlboro-Mackern mit Cowboyhüten riechend: Das ist die Blue Jeans. Neben schwingenden Saloon-Türen, knarrenden Dielenböden und italo-westernschen Mundharmonika-Klängen verkörpert das Beinkleid wie kaum ein anderes die Freiheit. Vor allem die Freiheit des Mannes. Der von Deutschland in die USA emigrierte Levi Strauss konzipierte es ursprünglich als Arbeitshose, die den Ansprüchen von Fabrikarbeitern, Farmern und Bergmännern genügen sollte. Zusammen mit seinem Geschäftspartner ließ er seine speziellen Hosentaschen patentieren, die er an den Ecken mit Kupfernieten verstärkte. Geboren war die Levi’s-Jeans für harte Männer. Heute gibt es sie selbst für jene, die sich im toten Winkel dieser modehistorischen Assoziationen befinden. Unter den Frauenjeans befindet sich aber oft der Rebell ohne Grund: Jeans mit unechten oder – schlimmer noch und nicht nur visuell irritierend – mit gar keinen Taschen. Dass die Jeans für Frauen emanzipatorisch seien, ist oft eine Verklärung.

Die US-amerikanische Webseite The Pudding (www.pudding.cool) visualisiert gesellschaftliche Debatten in Infografiken mit Text. In einer solchen analysierten und verglichen die Autorin Amber Thomas und der Autor Jan Diehm 80 verschiedene Jeans der 20 beliebtesten Hersteller im Hinblick auf ihre Taschengröße. Für Trägerinnen von Frauenjeans kam dabei keine Goldgräberstimmung auf: Ihre Hosentaschen sind durchschnittlich etwa 45 Prozent kleiner als die für Männer vermarkteten Pendants. Das bedeutet: 45 Prozent weniger Platz für verwahrloste Glückscents, vollgerotzte Taschentücher oder Tampons.

Platz für Männerdinge

Es ist nun keine Neuigkeit, dass es in der Modewelt deutlich sichtbare patriarchale Strukturen gibt. In vielen Branchen gelten High Heels und Röcke noch immer als Pflichtuniform. Dennoch ist die durchschnittlich fast um die Hälfte reduzierte Größe der Hosentaschen beispielhaft für die Mär von der „funktionalen Kleidung“. Von der Freiheit, die diese bieten soll, bleiben Arbeiterinnen nämlich oft ausgeschlossen. Wichtiger als die praktischen Vorteile einer Hose scheint die feminisierte Passform. Den Männerblick auf modisch verschlankte Frauenschenkel würde eine ausgebeulte Tasche vermutlich stören.

Während Mode für Männer immer technischer wird und eine 3-Wetter-Taft-eske Marketingstrategie für sich beansprucht, können Frauen meistens nicht einmal ihre Hand in der Hosentasche verschwinden lassen, geschweige denn ein durchschnittliches Smartphone oder einen Stift.

Liebe Modeschöpfende, wieso darf ich als Mensch, der hauptsächlich Hosen in der Frauenabteilung kauft, so wenig bei mir tragen? Warum berücksichtigt ihr das im Designprozess nicht? Weshalb werden Handtaschen durch die fassungsbeschränkten Hosentaschen zum Must-have, wenn ich gar keine Handtaschen tragen, geschweige denn überhaupt kaufen mag?

Kleinere Hosentaschen haben die Bauchtaschen-Lobby erstarken lassen. Schon im 17. Jahrhundert begannen Menschen, sich sackartige Taschen um die Hüfte zu binden. Kleidträgerinnen versteckten sie unter einer der vielen Stofflagen bis zur gänzlichen Unsichtbarkeit des Hab und Guts. Heute gibt es für alle Geschlechter die Möglichkeit, Hosen zu tragen. Bei Hosentaschen hört die Emanzipation aber offenbar auf. Frei nach Christian Dior, der gesagt haben soll: Männer bekommen Hosentaschen für wichtige Männerdinge, Frauen bekommen Hosentaschen, weil sie das Design der Hose schmücken.

Auf einmal ergibt vieles Sinn: Beispielsweise diese freche Pose der frühen Nullerjahre, bei der nur die Daumen lässig durch die vorderen Gürtelschlaufen gesteckt wurden. Mit ihren eiskalten Händchen hielten Frauen so an der Vorstellung von einem angemessenen Hosentaschenvolumen fest.

Vielleicht wollen uns Modeschaffende auch einfach vor Diebstahl schützen? Ein Portemonnaie ist in einer Handtasche definitiv sicherer als in einer ausgeleierten Arschhosentasche. Zumindest bis die Handtasche geklaut wird. Ist das aber wirklich der effizienteste Umweg für die Schließung der Gender Pay Gap?

Der Artikel von The Pudding zeigt weiterhin: Weniger als die Hälfte aller Vorderhosentaschen bei Frauenjeans können speziell für Hosentaschen designte Portemonnaies verstauen. Und ebenfalls weniger als 40 Prozent der frauisierten Vordertaschen sind groß genug, um eins der drei führenden Smartphone-Modelle zu verschlucken. Nun, der viel behangene Schlüsselbund, der uns das Gefühl einer Schlossermeisterin gibt, wird in einer Handtasche vermutlich weniger Verletzungen an unseren Oberschenkeln verursachen als in der Hosentasche. Das ließe sich gerade noch so als Plus verbuchen.

So unbedeutend vielen die Gleichberechtigung der Hosentaschen vorkommen mag, so viel bedeutender ist das, was wir deswegen einbüßen: Privatsphäre, die Freiheit, im öffentlichen Raum beide Hände nutzen zu können oder nicht mehr davon abhängig zu sein, private Notwendigkeiten in den Taschen von Mitmenschen lagern zu müssen.

Bevor wir uns also wieder kleine Leinensäcke um die Hüfte binden und sie unter den schweren Lagen unserer Kleidung verstecken müssen, hier eine bescheidene Bitte: Anstatt „Feminist“ auf T-Shirts zu drucken oder lustige „Girl Power“-Aufnäher zu designen, macht doch mal etwas richtig fortschrittlich Verrücktes – wie größere Hosentaschen für alle, die mehr Platz für noch mehr zerknitterte und mitgewaschene Geheimnisse brauchen.

Lena Grehl wurde 1995 in die Spandauer Plattenlandschaft hineingeboren, schreibt gern analog über Dinge, die im Netz passieren und arbeitet für zwei feministische funk -Formate von ARD und ZDF

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