Hochschwanger und mit Corona infiziert: Was jetzt?
Gesundheit Angst, Unsicherheit und Risiko: Schwangere und Gebärende hatten es während der Pandemie nicht leicht. Was erwartet schwangere Frauen in diesem Herbst und Winter?
An den Dezember 2021 erinnert sich Anne noch gut. „Einen Tag vor meinem errechneten Geburtstermin war mein Coronatest positiv. Das war ein riesiger Schock.“ Das Wichtigste für die schwangere Frau: Ihr Partner darf sich nicht anstecken. Coronapositiven Vätern wird der Zutritt zum Kreißsaal verwehrt.
Einige Tage später ist auch ihr Partner positiv, obwohl sie sich voneinander getrennt isoliert hatten. „Ich habe stundenlang nur noch geweint“, erzählt die junge Mutter aus Düsseldorf. Ihren vollen Namen möchte sie, wie auch die anderen Mütter in diesem Text, nicht nennen.
Szenen wie diese haben sich zweieinhalb Jahre lang in den Wohnungen und Häusern Zehntausender Frauen abgespielt. Für Schwangere war und ist die Coronapand
st die Coronapandemie eine Zeit der Angst, der Unsicherheit und der Unberechenbarkeit dessen, was ihnen in den Kliniken passiert. Die überwältigende Mehrheit der Frauen in Deutschland, 98 Prozent, bringen ihr Kind in einem Krankenhaus zur Welt.Die Situation auf den rund 630 Geburtsstationen war schon vor dem Auftreten des Coronavirus problematisch: „Wir haben zu wenig Personal im Kreißsaal“, sagt Andrea Ramsell aus dem Präsidium des Deutschen Hebammenverbandes. Sobald eine Frau coronapositiv sei, bekomme sie eine Eins-zu-eins-Betreuung durch eine Hebamme, weil sie unmöglich die Schutzkleidung aus- und wieder anziehen könne.Diese Hebamme steht dann anderen Gebärenden nicht mehr zur Verfügung, so spitzt sich die Situation zu. „Als Hebamme muss ich entscheiden, wer mich am nötigsten braucht“, sagt Ramsell, die selbst über zwanzig Jahre als Hebamme gearbeitet hat. „Die Hebammen in den Kliniken müssen gucken: Wer blutet am meisten? Welches Kind kommt gleich zur Welt? Sie müssen dafür sorgen, dass das keine Alleingeburt wird.“Welche Auswirkungen hat die Coronapandemie auf die psychische Gesundheit von Schwangeren? Dieser Frage ist ein Forscher*innenteam der Psychologischen Hochschule Berlin nachgegangen. Das Team hat über zwanzig Studien weltweit mit über 45.000 Teilnehmenden ausgewertet. Das Fazit der noch nicht veröffentlichten Auswertung: Schwangere Frauen hatten während der Coronapandemie signifikant höhere Werte, was Stress, Angst, Depression sowie posttraumatische Belastungssymptome (PTBS) anging. „Die Zahlen zeigen, dass es zu größeren Beeinträchtigungen kam. Schwangere wurden in der Pandemie einfach nicht mitgedacht“, erklärt Lea Beck-Hiestermann, eine der Forscherinnen von der Psychologischen Hochschule Berlin.Die verschiedenen Studien beleuchten auch, dass es einen Zusammenhang zwischen den psychischen Problemen der Frauen und der wahrgenommenen sozialen Unterstützung gibt. Durch die corona-bedingten Einschränkungen haben viele Schwangere und junge Mütter nicht den sozialen Kontakt erfahren, den sie gebraucht hätten.Zurück am Ort des TraumasCharlotte, die eigentlich anders heißt, hat ihren Sohn im Mai 2020, zu Beginn der Pandemie, in Berlin zur Welt gebracht. Ihr Freund durfte erst nach zwei Stunden am CTG-Schreiber, der die Herztöne des Babys misst, zu ihr. Auch als ihr Freund da war, fühlte sie sich allein gelassen. In den ersten sieben Stunden der Geburt habe sie maximal zwanzig Minuten Kontakt zu einer Hebamme gehabt. „Das war ein sehr einsamer Kampf.“ Am Ende bekam sie ihren Sohn per Kaiserschnitt, immerhin war ihr Partner dabei.Charlotte sagt heute: „Die Erfahrung des Mutterwerdens hat massiv unter der Pandemie gelitten.“ Der Rückbildungskurs, Babykurse im ersten Jahr – all das gab es nur online. Der Austausch mit anderen Müttern habe Charlotte sehr gefehlt. Das ist heute anders: Die Kurse vor und nach der Geburt werden größtenteils wieder in Präsenz angeboten. Astrid aus dem Ruhrgebiet, deren echter Name ein anderer ist, hatte bereits drei Schwangerschaften hinter sich und war zweifache Mutter, als sie coronapositiv ihr Kind im September 2021 zur Welt bringen musste. Ihre vorherige Schwangerschaft endete, wie sie es nennt, als „stille Geburt“: ihr Kind kam tot zur Welt. Diese traumatische Geburt erlebte sie in der Uniklinik ihrer Stadt. Astrid wollte deshalb eigentlich eine Hausgeburt. Durch ihre Coronainfektion war sie genötigt, den Ort des Traumas, ihrer stillen Geburt, erneut aufzusuchen. Denn die umliegenden Kliniken nahmen zu diesem Zeitpunkt keine coronapositiven Frauen auf.Das ist heute anders – beziehungsweise sollte anders sein. Michael Abou-Dakn ist Chefarzt des St.-Joseph-Krankenhauses in Berlin-Tempelhof und Sprecher der Arbeitsgruppe Geburtshilfe der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Er sagt: „Jede Geburtsklinik muss heute in der Lage sein, ihrem Level entsprechend Frauen zu versorgen, ob sie nun an Covid erkrankt sind oder nicht.“ In der Geburtshilfe unterscheidet man verschiedene Level der Versorgung der Gebärenden. Je nachdem, welchen Gesundheitszustand sie und das Kind haben – unabhängig von einer Coronainfektion. Als Astrid krank in die Klinik kam, leiteten die Ärzte die Geburt ein. Sie durfte nicht in ihrer Wunschposition gebären und etliche Eingriffe wie die Saugglocke und der Kristeller-Handgriff, bei dem der Arzt von oben Druck auf den Bauch ausübt, kamen zum Einsatz. Dazu erlitt sie einen schweren Dammriss. All das ohne ihren Partner oder eine andere Person ihres Vertrauens. So wie Astrid ging es vielen Frauen in der Pandemie.Die Fachgesellschaft DGGG hat bereits im März 2020 eine Empfehlung dazu herausgegeben, wie Frauen trotz Pandemie in Schwangerschaft und Geburt gut betreut werden können. Diese Empfehlung wurde immer wieder aktualisiert. Michael Abou-Dakn von der DGGG erklärt: „Wir haben von Anfang an gesagt: Keine Frau sollte ohne persönliche Begleitung ihr Kind kriegen müssen.“ Das sei auch in den Empfehlungen der Fachgesellschaft klar kommuniziert worden. Daran gehalten haben sich viele Kliniken nicht.In der Uniklinik vergessenDie nächsten vier Tage nach der Geburt verbrachte Astrid coronapositiv mit ihrem Kind isoliert auf der Wochenbettstation der Uniklinik. Ihr Zimmer lag am Ende des Ganges. „Einen Tag lang haben sie mich vergessen. Ich habe den ganzen Tag lang geklingelt“, erzählt Astrid. Mit fast 40 Grad Fieber, schwerem Husten und einer frischen Dammnaht musste sie sich allein um ihr Baby kümmern. Medikamente gegen den Husten bekam Astrid nicht.Zurück zu Anne aus Düsseldorf: Sie konnte kaum aufhören zu weinen, als klar war, dass sich auch ihr Partner mit Corona angesteckt hatte. Ihr drohte, das Kind ohne Partner zur Welt bringen zu müssen. Da begann Annes Kampf: Sie rief im Kreißsaal der Klinik an, die sie für die Geburt ausgewählt hatte, im Gesundheitsamt, später in der Hygieneabteilung des Krankenhauses und beim Gesundheitsschutz der Stadt Düsseldorf. Am Ende gelang es Anne, dass ihre Geburt und die Begleitung durch ihren Partner als medizinischer Notfall eingestuft wurde und sie deshalb gemeinsam die Geburt erleben konnten – trotz Coronainfektion. Eine große Ausnahme.Das neue Infektionsschutzgesetz, das am 1. Oktober in Kraft getreten ist, legt für Kliniken eine Testpflicht vor Betreten des Hauses und das Tragen einer FFP2-Maske fest. Doch nach wie vor gelten auf den Geburtsstationen sehr unterschiedliche Einschränkungen. Die Bundesländer verweisen auf das Hausrecht der Kliniken, eigene Vorgaben zu erlassen. Für Schwangere ist das nach wie vor eine beängstigende Situation: Was können sie tun, wenn sie sich mit Corona infiziert haben und kurz vor der Geburt stehen?Katharina Desery von Mother Hood e. V., einem Verein, der sich für sichere Geburten und eine bessere Geburtshilfe einsetzt, rät schwangeren Frauen, mit der Klinik ins Gespräch zu gehen, sich genau erklären zu lassen, wie die Regelungen rund um die Geburt aussehen. Und wenn es doch schwerwiegende Einschränkungen gibt? „Das will ich eigentlich keiner Frau kurz vor der Geburt raten, aber es geht nicht anders: dem Chefarzt schreiben, Landesverordnungen, die ärztliche Fachgesellschaft und die Weltgesundheitsorganisation zitieren, den Patientenbeauftragten ansprechen oder mit der Presse drohen. Und wenn es noch geht, die Klinik wechseln“, so Desery. Zusammengefasst: Gebärende müssen auch heute noch für ihre Rechte kämpfen.Der Gynäkologe Michael Abou-Dakn von der Fachgesellschaft DGGG rechnet nicht mit einer Verschlimmerung für die Geburtshilfe im Herbst – wegen der milderen Verläufe mit der Omikron-Variante, der flächendeckenden Impfungen und wegen der hohen Anzahl an Menschen, die das Virus bereits hatten. „Was sinnvoll ist, ist die Maske für Begleitpersonen und ein ausreichender Eigenschutz des Personals. Weitere Maßnahmen braucht es meiner Meinung nach nicht“, sagt er.Auch Andrea Ramsell vom Hebammenverband sagt: „Es wird eine ganz andere Situation im Herbst sein als die, die wir in den letzten Jahren hatten.“ Die Kliniken seien viel besser gerüstet und wüssten viel mehr über das Virus. Im Sinne der Gebärenden bleibt zu hoffen, dass sich möglichst viele Klinikleitungen diesen Einschätzungen im Herbst und Winter anschließen.Placeholder infobox-1