Fred Feuerstein betätigt zu Beginn und Ende seiner Arbeit im Steinbruch eine Stechuhr. Ein Brachiosaurus locht mit seinen Eckzähnen die steinerne Zeitkarte der Comicfigur. So ähnlich könnte es in Deutschland bald allen Arbeitnehmer*innen ergehen, denn das Bundesarbeitsministerium plant ein Gesetz, mit dem Arbeitgeber verpflichtet werden sollen, täglich die Arbeitszeit ihrer Angestellten zu erfassen. Doch wäre das wirklich so schlimm?
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben 2021 zwölf Prozent der Arbeitnehmer*innen in Deutschland Überstunden geleistet – immerhin gut 5,5 Millionen Menschen. 22 Prozent dieser Gruppe wurden dafür nicht bezahlt. Mit dem Gesetzesentwurf reagiert Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom vergangenen September. Es bestätigt darin das „Stechuhr-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs, wonach Arbeitgeber verpflichtet sind, die gesamte Arbeitszeit ihrer Angestellten zu erfassen. Laut Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung tut das bereits knapp die Hälfte der Betriebe in Deutschland.
Diejenigen, die ihre Arbeitszeit erfassen lassen, überschreiten seltener die Höchstarbeitszeit und halten ihre Mindestruhezeiten und Pausen besser ein. Das ist gesünder, führt aber auch zu mehr betrieblicher Kontrolle. Aber ob das gleichzusetzen ist mit Überwachung und Misstrauen, bleibt fraglich. Auf jeden Fall werden so die Rechte von Arbeitnehmer:innen gestärkt.
Dass die gesamte Arbeitszeit durch Arbeitgeber zu erfassen ist, gilt schon jetzt. Der Gesetzesentwurf regelt nun aber im Detail, wie das zu geschehen hat. Er sieht eine elektronische Erfassung (mit kleinen Ausnahmen) von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit vor. Das soll für alle Arbeitnehmer:innen gelten, ausgenommen sind aber diejenigen mit besonderen Tätigkeiten sowie Personen, bei denen die Arbeitszeit nicht im Vorfeld festgelegt werden kann oder die sie selbst festlegen können.
Gerät dadurch die sogenannte Vertrauensarbeitszeit in Gefahr? Sie bedeutet, dass die Einhaltung der vereinbarten Arbeitsstunden, Pausen und Höchstarbeitszeit der Eigenverantwortung der Arbeitnehmer*innen überlassen wird. Das klingt schön, führt aber tendenziell zu einer Verwässerung von privater und Arbeitszeit. Gerade wenn in Unternehmen erhöhte Leistungsbereitschaft besonders gelobt wird und Chef*innen mit vielen Überstunden vorangehen. Mit der Flexibilisierung von Arbeit hat Vertrauensarbeitszeit an sich nichts zu tun.
Unter „flexibles Arbeiten“ fallen jedoch das Homeoffice, mobiles Arbeiten und die Wahl von Arbeitsbeginn und -ende unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben. Beispiel eines flexiblen Arbeitstages: Von 8 bis 9 Uhr arbeiten aus dem Homeoffice. 9 – 11 Uhr Pause. Von 11 bis 15 Uhr arbeiten im Büro. 15 – 18 Uhr Pause. Von 18 bis 21 Uhr arbeiten im Café. Dann Feierabend. Ein derart gestalteter Arbeitsalltag dürfte durch die geplante elektronische Zeiterfassung nicht gestört werden. Apps können Arbeitszeiten und Pausenzeiten addieren und mit einem Klick aufzeichnen, egal, wo man sich gerade befindet.
Ob allerdings die Zeit die richtige Messgröße von Arbeit ist – diese Frage kann der Gesetzesentwurf nicht beantworten, weil die Anforderungen der verschiedenen Branchen dafür zu vielfältig sind. Aber über der Hälfte der Arbeitnehmer*innen, die eine 4-Tage-Woche und laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin insgesamt weniger Arbeitszeit fordern, dürfte der Gesetzesentwurf entgegenkommen.
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