50 Stunden Haneke

Literatur Der Gesprächsband "Haneke über Haneke" blickt hinter die Kulissen seiner Arbeit. Herausgekommen sind interessante Einsichten - und besonders Hanekes uneitle Entspanntheit
Ausgabe 28/2013

Der Mann ist ein Pedant im besten Sinne. Penibel in der Vorbereitung, ungeduldig und bei Schlampereien aufbrausend. So viel war bekannt, spätestens seit Thomas Assheuer 2008 den Gesprächsband Nahaufnahme (Alexander Verlag) mit Michael Haneke veröffentlichte. Nach Das Weiße Band erzählte der Kameramann Christian Berger, dass es für Haneke eine Qual sei, einen Film zu drehen. Nicht Drehbuchschreiben, Vorbereitung oder Schnitt. Aber das Drehen: An die fertigen Bilder in Hanekes Kopf müssten Schauspieler und technische Crew erst einmal herankommen. Eine Qual auch für das Team.

Der Wille zur Mehrdeutigkeit

Wenn jetzt, ebenfalls im Alexander Verlag, der Gesprächsband Haneke über Haneke erscheint, aus dem Französischen übersetzt, betrachten die Autoren Michel Cieutat und Philippe Rouyer diesen Prozess genauer. Innerhalb von zwei Jahren sprachen die Filmwissenschaftler 50 Stunden lang mit Haneke. Sie bauten sich vor ihm auf wie François Truffaut vor Alfred Hitchcock: Sie wollten wissen, wie er das gemacht hat, der Monsieur Haneke. Und tatsächlich bringen sie Interessantes und Weiterführendes ans Licht.

Auffällig ist dabei die uneitle Entspanntheit, mit der Haneke zurückblickt. Wie stets weigert er sich gegen die kleine Münze der Interpretationen; aus dem Gespräch mit Assheuer bleibt Hanekes Diktum, ein Regisseur sei eben „nicht dafür da, dem Zuschauer zu sagen, wo es langgeht“. Bei Erklärungen wird er ungehalten. Der Wille zur Mehrdeutigkeit ist – auch wenn manche Kritiker spätestens seit Amour ein mildes Alterswerk erkannt haben wollen – ungebrochen.

Erzählung als offenes Geschehen

Wenn Cieutat und Rouyer symbolisch Aufgeladenes finden, verweist Haneke auf banale Ursprünge. So will er von der „echten Liebesgeste“ nicht viel wissen, wenn Jean-Louis Trintignant seine Partnerin Emmanuelle Riva mit dem Kopfkissen von ihrem Leiden erlöst und dabei auch seinen Kopf auf das Kissen drückt. Der Grund sei banaler: Trintignant habe sich zuvor die Hand gebrochen, und so habe er größere Schmerzen vermieden.

Stattdessen zieht sich Haneke auf sein Arbeitsziel zurück: Beim Zuschauer Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Bilder und der Geschichte zu wecken. Auch jener, die er selbst kunstvoll erzählt. Analog zur Nachkriegsliteratur hinterfragt Haneke seine eigene Sprache und Sprechposition, die Affirmation ist es, die ihm Schmerzen verursacht. Politisch ist die strenge Form und nicht die Erzählung: Wenn Haneke uns alleinlässt bei Interpretation und Bewertung, spricht daraus Vertrauen und Humanismus – nie polkt ein moralischer Zeigefinger an allem herum.

Die Eckpunkte dieser Haltung sind aus Interviews und Porträts bekannt, man hofft dennoch, dass dieses Gespräch nie aufhören möge: Gebannt folgen wir der Werkschau und den Kleinigkeiten aus Vorbereitung und Entwicklung, den Anekdoten zu Schauspielführung und technischen Schwierigkeiten. Aber es gibt auch viel Großes und Ganzes. Es ist ein Genuss, den Fragestellern durch die Querverweise und die Verästelungen der Motive zu folgen. Dazu den Fragen nach Sprachfassungen und Hanekes Selbstbeobachtung. Keine Ranschmeißer. Hätten die Autoren ihren Aufwand nicht im Vorwort verraten, man könnte glauben, sie hätten Haneke an einem Sommerwochenende zum Tee getroffen. Und wir wären gern dabeigewesen.

Haneke über Haneke. Gespräche mit Michel Cieutat und Philippe Rouyer Aus dem Französischen von Marcus Seibert Alexander Verlag 2013, 416 S., 38 €

Lennart Laberenz ist Historiker, Filmemacher und Autor

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