Kobitzschwalde, ein paar Kilometer vor Plauen im hügeligen Vogtland, vier Straßen, 160 Einwohner, Löschteich, Satteldächer. Hierher kann man sich zurückziehen, hier kann man auf etwas warten. Auf die Post zum Beispiel. Hans-Georg Kolpak hat eine Tüte an das Gartentor gehängt, darin ein Päckchen: Kolpak verkauft gebrauchte VHS-Kassetten über das Internet. Billig übernimmt er Bestände alter Videotheken, verkauft sie teuer weiter. Er lacht, als er das erzählt: „Das beste Sparbuch, das ich je hatte.“
Man kann in Kobitzschwalde auch auf den Untergang des Systems warten. Darauf, dass die Bundesrepublik in sich zusammensackt, zerdrückt von einer Schuldenlast, ausgehöhlt von „Lobbyisten“. Damit meint Kolpak alle, die ein Interesse vorbringen, die sich zu Parteien und Religionsgemeinschaften formieren – er selbst war kurz in der FDP, kurz bei der libertären „Partei der Vernunft“ und 30 Jahre in der evangelischen Kirche. Von allem hat er sich gelöst, überall passierte dasselbe: „Ich wurde gemobbt. Man hielt mich für einen Braunen.“ Am Telefon hört man das Entsetzen in seiner Stimme: Er rechts? Idiotisch! Er hat sich begeistert, vielleicht hineingesteigert, aber: „Ich drücke doch nur Wahrheiten aus, die alle sehen könnten.“
Über die Jahre erkannte Kolpak: Wenn man jemanden so einfach neutralisieren, abdrängen, stigmatisieren kann, „dann ist was falsch“. Sein Dreisatz ist einfach: Sozialstaat ist Umverteilung ist Sozialismus – „und der Linksruck der CDU ist augenscheinlich“. Also sind Hochschulen, Behörden, öffentliche Einrichtungen vor allem eins: links. Nebenbei wurden Neonazis und Antifaschisten „von Geheimdiensten aufgebaut, um das Volk zu spalten“. Wie kann man darauf hereinfallen? Und wenn er, Hans-Georg Kolpak, so einfach angegriffen werden kann, wenn er die Wahrheit sagt – zeigt das nicht, dass er etwas Gefährlichem auf der Spur ist?
Noch etwas schreibt er in einer Mail vor unserem Treffen: Überleben werden diesen Zusammenbruch „absolutistische Monarchien mit weitreichenden bürgerlichen Freiheiten“. Im besten Fall bleibe ein „Nachtwächterstaat“. Kolpak meint das ohne eine Spur von Ferdinand Lassalles Kritik an der Staatsform des Manchesterkapitalismus, sondern als libertäre Traumvorstellung: Ein Gebilde, dass „das Volk nach außen repräsentiert und die Grenzen befriedet“. Sich aber ansonsten aus allem heraushält. „Ich lebe bereits heute im Hinblick auf die neue Staatsordnung.“

Und dann steht er da in Kobitzschwalde, recht friedlich, grauer Zopf, leise Stimme, grüner Parka. Er ist höchstens etwas angespannt. Viele Jahre hat er fast täglich Texte und Kommentare ins Netz gesetzt, Aufforderungen, wie: „EINWANDERER UND NICHT DIE Deutschen SOLLEN SICH ANPASSEN!“ Überhaupt hat er viel über „das deutsche Volk“ geschrieben. Häufig wettert er auch gegen Schuldenpolitik und Parteienstaat: „Die repräsentative Demokratie erstickt finanziell an sich selbst, weil sie schuldenorientiert wirtschaftet.“ Er wettert aber auch gegen Finanzkapital, Globalisierung und die USA. Zu dem Buch Die Schlafwandler des Historikers Christopher Clark über die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs schrieb er: „Ich lehne dieses Buch ab, ohne es jemals lesen zu wollen.“ Und: „Würde Prof. Clark Wahrheiten verbreiten, verlöre er binnen Stunden seinen Lehrstuhl in Cambridge. Seine Werke sind politisch korrekt.“ Auf seinen Internetseiten finden sich auch viele Links zu Texten des verschwörungstheoretisch aufgeladenen Medienkritikers Udo Ulfkotte. Wenn man Kolpak fragt, ob das da auf seinen Seiten nicht alles eine ziemlich rechte, ausgrenzende, überreizte Sprache sei, antwortet er ohne einen Anflug von Ironie: „Rechts? Das sind Wahrheiten, die nicht in Ihr Weltbild passen, weil Sie politisch so konditioniert sind.“
Kolpak wohnt kurz hinterm Dorfende von Kobitzschwalde, ein Bach schneidet tief durch die Hügel, Ziergarten, Terrassenbeete: Er schließt das Brettertor auf. Tüte und Päckchen hängen noch, die Post kommt wohl später. Die Eingangstür klemmt, Schuhe aus, niedrige Zimmer, Kachelofen, der Blick geht über Felder: Sehr friedlich ist es hier. Wie passt sein Ton aus dem Netz, dieser Alarmismus, neben den Kachelofen? Fangen wir sacht an: Herr Kolpak, wie viel Zeit verbringen Sie im Netz? „Lange. Zehn Stunden am Tag.“
Neben vielem anderen ist das Internet ja auch ein grandioser Resonanzboden für Selbstgespräche, die in vielen Foren vor Nervosität und Aufregung vibrieren: Der Untergang stehe bevor, böse Mächte seien am Werk, sie nutzten Kondensstreifen, Zuwanderer und das Fernsehen, um uns zu vergiften, zu schwächen, zu gängeln. Es geht immer um alles. In diesen Foren bleibt man meistens unter sich, immunisiert die eigene Gedankenwelt durch gegenseitige Bestätigung gegen rationale Einwände. Die Grammatik der Verschwörungstheorie geht davon aus, dass Massenmedien die Rolle der Erfüllungsgehilfen spielen. Auch weil diese den nervösen Ton nicht treffen. Im Internet haben Verschwörungstheorien daher ihre wichtigste Heimat gefunden.
Das Holz knackt
Und hier kommen Menschen wie Hans-Georg Kolpak ins Spiel, Jahrgang 1953, in Neuwied am Rhein aufgewachsen, 25 Jahre Schreibkraft in der Telekom-Verwaltung, dann machte er sich selbstständig, entdeckte, wie Wirtschaft funktioniere: „Die Ausgaben müssen durch Einnahmen gedeckt sein. Und nicht durch Schulden.“ Daraus bastelte er eine ganze Theorie, suchte sich Artikel, Links und Informationen. Die Theorie soll für Privatpersonen, Unternehmen und Staat gleichermaßen gelten. Sonst droht der Untergang. Bestätigung dafür findet er immer im Netz. Kolpak klaubt sich seine Wahrheiten von den Rändern.
Einen wichtigen Schritt machen Verschwörungstheorien, wenn sie einen Gegenwartsbezug herstellen, wenn es gelingt, persönliche Haltungen wie Autoritätsglauben, Ablehnung des Establishments oder den Gedanken von einem „Volk“ mit der Verschwörergrammatik zu militarisieren. Wenn man Kolpak im großen Netz der Rauner und Verschwörer einsortieren will, stellt man fest, dass er kein führender Kopf ist. Wenn man ihn fragt, was er mit dem „Volk“ meint, sagt er: „Alle Menschen, die hier leben.“ Er erzählt von der „Österreichischen Schule“, fragt man ihn konkret nach den Ideen des Ökonomen Friedrich von Hayek, gibt er zu, dass er sich mit dessen Gedanken nie beschäftigt hat. Er schreibt, dass „die Identität des deutschen Volkes und die deutsche Kultur seit 1945 systematisch von den USA, UK und Frankreich zerstört wird. Der philosophische Hintergrund dieser Zerstörung nennt sich ‚Frankfurter Schule‘.“ Theodor W. Adorno kennt er aber nicht, will er auch nicht: „Ich lese seit 2008 täglich Nachrichten auf hartgeld.com. Das hat mich geprägt.“
Hartgeld.com ist eine Internetseite ernsthafter Obskuranten (siehe Info). Gedanken, die hier verbreitet werden, oszillieren zwischen handfestem Rassismus und putzigem Alarmismus. Der große Blumenstrauß der Verschwörungstheorien verästelt sich hier bis hin zu Ratschlägen für die Geldanlage im Anblick des großen Zusammenbruchs: Gold und Silber sind da immer gut. Die Seite lebt von Werbeanzeigen der Edelmetallhändler.
Tipps für die Übergangszeit
Die österreichische Webseite hartgeld.com diskutiert in stramm rechtem Ton die besten Stromgeneratoren, Campingkocher und Kon-serven für die Zeit des Übergangs zum nächsten Kaiserreich. Chefredakteur Walter Eichelburg warnt vor Reisen während des Umbruchs. Er selbst habe eine „Fluchtburg“ in den Bergen, sei dort auf Monate überlebensfähig. Er gefällt sich in der Rolle des bestens unterrichteten Oberrauners: Verschwörer hätten Spitzenpolitiker mit muslimischen Frauen verheiratet, eingeweihte Kreise seien bereits wieder mit der D-Mark versorgt, für die Kaiserkrönung müsse noch an der Stromversorgung gearbeitet werden. Beim Ausblick auf die nahende Monarchie freut er sich schon: „In der Kaiserzeit werden die Verhältnisse wieder normal, und die Gutmenschen müssen am Acker arbeiten.“ Gewöhnlich gelten „Gutmenschen“ bei ihm als „veganverschwult“.
Hans-Georg Kolpak ist sich sicher, dass eine solche Webseite in Deutschland längst abgestellt wäre: „Es gibt hier keine Meinungsfreiheit.“ Belege für diese Behauptung hat er nicht.
Kolpak glaubt ihr „zu 80 Prozent“. Über die Jahre hat er eine Art ausgedünnte Version erstellt. Er folgt Hartgeld-Chefredakteur Walter Eichelburg nicht bei allem, übernimmt aber Begriffe und Ton. Bei vielen Dingen, die Kolpak auf seinen Internetseiten untergebracht hat, ist nicht einmal klar, ob er den Inhalt selbst durchdacht hat. Die Literaturliste zu „Meinungsmacht und Hegemonialpolitik“, auf der auch Stéphane Hessel, Noam Chomsky, oder Heribert Prantl auftauchen, hat er jedenfalls nicht abgearbeitet, räumt er ein.
Wir sitzen schon eine Weile neben dem Kachelofen, das Holz knackt, die Dunkelheit zieht über Kolpaks Gesicht. Wenn man versucht, ihn auf ein Programm oder politisches Gedankengerüst festzulegen, ist es, als wolle man Pudding an die Wand nageln. Nur eine Idee bleibt: Alle Steuern bis auf die Umsatzsteuer sollen gestrichen werden. Allein die dann mögliche Personalreduktion bei den Finanzämtern sei eine große Einsparung. Außerdem will er zurück zu Atomstrom und, natürlich: „Kriminelle Ausländer raus.“
Im Netz gibt es Unmutsansammlungen, die oft lange Zeit dahindümpeln, ohne je eine größere Relevanz zu erreichen. Plötzlich aber sprechen sie dann viele Menschen an: Dafür sind die vielen Kolpaks wichtig, die die Botschaften vervielfältigen, den Ton verstetigen. Natürlich braucht es dann auch Figuren wie Udo Ulfkotte oder Pegida-Geburtshelfer Lutz Bachmann: Die funktionieren in den schrillen Tonlagen rechts von Springer-Presse und Privatfernsehen.
Er geht zum Chor
Die vielen Kolpaks stellen eine Verbindung her, sie wiederholen die Botschaften, bis sich immer mehr Menschen unter einem Banner treffen und protestieren. Kolpak verlinkt, kommentiert, verbreitet, vielleicht hobelt er einige absurde Spitzen ab. Er hat die Rolle eines Verstärkers übernommen, der den Ton alltäglich macht, der für ein dauerhaftes apokalyptisches Summen sorgt. Er hat auch einmal versucht, selbst eine Gruppe ins Leben zu rufen, damit sich Hartgeld-Anhänger im richtigen Leben treffen können. In einer Kneipe beim Bier: „Da sind mal zwei gekommen, mal nur einer. Wir sind hier auf dem Land. Und über was soll man sich dann unterhalten?“
Manchmal aber, wenn man genügend Freunde animiert, kommt man sogar ins Fernsehen, bis zu Günther Jauch. Selbst wenn die Botschaft intellektuell so überschaubar ist wie bei der zurückgetretenen Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel – es glauben einfach momentan genügend Sachsen, dass die Islamisierung Dresdens, Sachsens oder gleich des ganzen Abendlandes bevorsteht. Aber wenn man vor Ort nachfragt, wie Menschen, die behaglich in Dresdner Vororten leben und Berlin seit Jahrzehnten nicht besucht haben, auf solche Ideen kommen, antworten sie umgehend: Aus dem Internet wüssten sie, dass es in Berlin Stadtteile gäbe, „in die man als Deutscher nicht mehr hindarf“.
Allerdings kann man bei Hans-Georg Kolpak auch Grenzen all der Aufregung beobachten, zumindest für die, die wirklich am Rand stehen: Wenn Pegidisten die Schwelle übertreten, ins Fernsehen gehen und ein Gespräch mit Politikern beginnen, kann es sein, dass sie gleichzeitig jenen Raum verlassen, der sich durch den Kontrast zu Politikern, Establishment und Massenmedien definiert. Kolpak hat einmal die AfD gewählt, weil er dachte, sie würde es anders machen: „Jetzt zeigt sich, das ist auch nur eine Partei wie alle anderen.“ Von Pegida hält er nichts mehr, zu den ersten Demonstrationen wollte er noch gehen: „Die sind längst vom Staat unterwandert.“
Und noch eine andere Grenze zeigt sich bei Kolpak: Er war nicht gerüstet für die Auseinandersetzungen, die er zum Teil selbst provozierte. Parteien, Kirche, Vereine, das Arbeitsumfeld – lauter Kämpfe, Anfeindungen, Nervosität. Mit den Nachbarn gab es Missverständnisse, Kolpak zog häufig um, wurde Allergiker, seine Magenschleimhaut ist entzündet. Seit zwei Jahren ist er im Vogtland, will „konfliktarm“ leben. Zum Chor geht er, weil er immer schon singen wollte. Aber auch, weil er im Dorf „ein Bild erzeugen“ will, auf dass die Nachbarn sagen: „Der Hans ist ein Guter, der ist harmlos. Gegen den brauchen wir nicht zu kämpfen.“
Um sein Häuschen streckt sich der Garten, da müssen Beete gepflegt werden, Holz muss gehackt werden. Am Bach pflanzte er Schilf an. Und während er damit beschäftigt war, hatte Kolpak plötzlich immer weniger Zeit für das Netz, immer weniger Lust auf Verschwörung und Aufregung. Wenn er am Bach werkelt und Büsche beschneidet, kommt ihm das alles unwichtiger vor. Im vergangenen Herbst wurde es deshalb ruhiger auf Kolpaks Internetseite, seine Kommentare blieben aus. Kobitzschwalde war ja die Konsequenz aus seinem Alarmismus: Wenn der Zusammenbruch kommt, hat er hier Holz und Wasser, kann er eine Weile von Konserven leben. Also wartet Hans-Georg Kolpak.
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