Braunes Gold von morgen

Erfindung In vielen Städten Afrikas fehlt die sanitäre Infrastruktur, Exkremente werden einfach an Strände gekippt. Ein schwedischer Unternehmer will daraus Brennstoffe machen
Ausgabe 48/2016

Immer wenn es regnet, steigt das aus den Kanälen.“ Fredrik Sunesson, 48 Jahre alt, Schwede, groß und breit, steuert uns in seinem Jeep um einen hüfthohen Haufen Plastikmüll, der über die Fahrbahn schwimmt. Seit acht Jahren wohnt er in Accra, der Hauptstadt Ghanas. Regen prasselt auf die Windschutzscheibe, die Welt scheint zu zerfließen. Wir halten hinter einem Zaun, Sunesson setzt eine verblichene Anglerkappe auf und stürmt eine Metalltreppe hinauf zu einem industriell wirkenden Gebäude: Die Anlage auf einem Damm an der Korle-Lagune soll Müll aus dem Wasser filtern, es reinigen und umleiten. Vom Dach aus kann man am Horizont Agbogbloshie sehen, die größte Müllhalde Westafrikas, die als einer der zehn dreckigsten Orte der Welt gelistet wird. Zehntausende Menschen leben in ihrer unmittelbaren Umgebung.

Die Kläranlage, auf der wir gerade stehen, funktioniere nicht, es fehle an Bauteilen, sagt Sunesson. 22 Millionen Dollar habe sie gekostet. Aber: „Nie ist sie in Betrieb gegangen.“ Jetzt staut der Damm an der Lagune verrottendes Plastik, Schwaden kriechen herauf, sie tragen den Geruch von Öl, Urin und brennendem Kunststoff.

Der Besuch an dieser miefenden Anlage ist nur der Vorgeschmack auf den Ort, auf den wir in Sunessons Jeep jetzt zusteuern: die Lavender Hills. Alles an ihnen ist Euphemismus – es gibt keine Hügel, nichts riecht nach Lavendel. Im Gegenteil: Die Lavender Hills sind der Abort von Accra. Seit den 1920er Jahren werden hier Exkremente abgekippt, unversorgt, ungeschützt.

In Afrika leben rund 40 Prozent der Bevölkerung in Städten, bald werden es 56 Prozent sein, heißt es im UN-Bericht „World Urbanization Prospects“. In Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens, gibt es eine einfache Kanalisation; in Südafrika werden wenigstens sieben Prozent der Abwässer nach internationalen Standards behandelt. Im restlichen Kontinent aber laufen meist offene Kanäle an den Straßen entlang. Und in Accra? Dort kippen über 200 Tanklaster jeden Tag tausende Tonnen von Jauche auf den Strand.

Etwas über zwei Millionen Menschen wohnen in der Metropole. Schätzungen der Stadtverwaltung zufolge verfügen nur etwa 15 Prozent aller dortigen Haushalte über eine eigene Toilette. In Studien der Weltbank wird bemängelt, dass fehlende sanitäre Einrichtungen etwa 1,6 Prozentpunkte des ghanaischen Wirtschaftswachstums vernichten oder verhindern.

In den Gegenden, in denen die Anwohnerzahlen am stärksten explodieren, stehen Hütten dicht gedrängt, nur zu Fuß oder mit einem Motorroller kommt man über die schmalen Pfade voran. In solchen Armenvierteln gibt es öffentliche Toiletten. Sie zu benutzen kostet umgerechnet jedes Mal ein paar Cent. Viele Menschen, die dort leben, verfügen über gar kein Geld, oder sie wollen das wenige, das sie haben, nicht für Toilettengänge sparen, und so finden sie andere Lösungen: am Strand, hinter der nächsten Mauer, auf einer Brache. Beach toilet, nennen sie das. Einem Besucher aus der der saturierten, reichen Welt wird dabei schnell klar: Wohlstand kann man auch daran ermessen, wie weit entfernt der Unrat vom eigenen Kopfkissen entsorgt wird.

Zauberwort „Low-Tech“

In den letzten Jahren stieg im Land die Zahl der Ansteckungen. Typhus, Cholera, Hepatitis, Malaria, Dengue: Erreger und Träger gedeihen bei mangelnder Hygiene, in brackigen, durch Fäkalien verunreinigten Gewässern besonders gut. Die Weltgesundheitsorganisation stuft das Risiko, sich in Ghana eine Infektionskrankheit einzufangen, als „sehr hoch“ ein.

Die Lavender Hills grenzen direkt an ein Armenviertel. Wir steigen aus, Sunesson geht voran. Der Boden: ein stumpfes Schwarz, durchzogen von dunkel schimmernden Brauntönen, undefinierbare Flüssigkeiten stehen in Pfützen. Wir balancieren über ein niedriges Mäuerchen, das offensichtlich als Toilettensitz genutzt wird. Zum Strand hin wachsen die Exkremente zu Dünen auf, Betonbrocken stechen daraus hervor, blaues Plastik, gelbes Plastik. Vorsichtig ist Sunesson vorangeklettert, auf eine Düne aus Unrat. Von oben sieht man eine braune Schliere ins Meer, in den Golf von Guinea ziehen.

Private Unternehmen sind beauftragt, die städtischen Sickergruben zu leeren. Um ihre Faultanks an den Lavender Hills entladen zu dürfen, müssen sie eine Gebühr von fast drei Euro je Ladung bezahlen. Viele Fahrer – bis zu 75 Faultanks täglich – verklappen ihre Fracht jedoch wild, um die Gebühren zu sparen. Aber selbst wenn sich alle an die Spielregeln hielten, hätte das System ein gewaltiges Problem: Denn auch an dem extra dafür ausgewiesenen Ort, den Lavender Hills, werden die Exkremente eben einfach so ausgekippt, ohne jede Be- oder Verarbeitung oder Abschottung. Fredrik Sunesson isst in Ghana deshalb nichts, was aus dem Meer kommt. Er nickt den Fischern zu, die in einem Boot entlang der braunen Schliere unterwegs sind, und sagt: „Fish love shit.“

„Nein, eigentlich haben wir keine richtige Strategie“, sagt der stellvertrende Leiter der zuständigen städtischen Behörde. Er blickt eine Weile aus dem Fenster und man erkennt, dass sein Lächeln an tiefe Resignation grenzt. „Ich fürchte“, sagt er, „unsere Strategie lautet Lavender Hills.“ Lavender Hills ist die Kapitulation. Die Kapitulation vor der Scheiße, das kann man in diesem Fall wortwörtlich so sagen.

Fredrik Sunesson hatte sich in seinem Leben mit vielen Dingen beschäftigt, mit denen auch große Hilfsorganisationen zu tun haben – Exkremente gehören nicht dazu. Für deren Entsorgung in großem Stil sind bislang kaum praktische Lösungen entwickelt worden. Bis Sunesson in Accra eines Tages in einen Stau geriet. Vor ihm wartete ein Faultank. Er war ganz verschmiert, sah furchtbar aus und leckte. Aus einer spontanen Laune heraus folgte Sunesson dem Wagen, bis zu den Lavender Hills. Dutzende Menschen schienen vor der Zufahrt auf den Transporter zu warten. Sunesson schaute auf Google Earth nach, sah auf den Satellitenaufnahmen die braune Schliere, die weit ins Meer greift – und hatte eine Eingebung. Mit seinem rechten Arm beschreibt er, wie er nun auf der Mülldüne steht, einen weiten Kreis: „Ich werde hiermit Geld verdienen.“ Pause. „Niemand hat das bislang geschafft, nicht hier in Afrika und nicht in Europa. Aber ich werde beweisen, dass es geht.“

Der Regen wird stärker, wir steigen zum Auto zurück, Kappe ab, Hände desinfizieren. Jahrelang hat der Schwede sich mit den mafiösen Strukturen in der ghanaischen Entsorgerbranche beschäftigt, und mit der Korruption, die tief im staatlichen Apparat arbeitet. „Name and shame“, sagt er – benennen und beschämen müsse man die Unternehmer, die mit den Exkrementen Profite machten, indem sie sie irgendwo an den Strand kippen.

Sunessons Zauberworte heißen „Resource Recovery“ und „Low-Tech“. Er hat eine Idee entwickelt, die nicht als Bauruine aus Geld und gutem Willen sterben soll. Die Lösung, nach der er suchte, sollte simpel sein. Hinter dem Fahrersitz kramt er nach einer Plastiktüte, darin liegen zwei schwarze Stummel. Sunesson deutet zuerst auf den einen, der wie ein verbrannter Zweig aussieht: „,Das ist die Vergangenheit: Holzkohle. Dafür werden ganze Landstriche abgeholzt.“ Dann zeigt er auf den zweiten Stab aus gepresstem Material: „Und das ist die Zukunft. Das sind Fäkalien.“

Tatsächlich: Er hat ein Verfahren entwickelt, Exkremente zu Brennmitteln zu machen. Und er hat es auch John Dramani Mahama schon gezeigt, dem sozialdemokratischen Präsidenten Ghanas, der kommende Woche, am 7. Dezember, wiedergewählt werden möchte. „Ich habe ihm gesagt, dass das alles nicht sein müsste“, die Krankheiten, die Zustände. Und er drückte dem Präsident ein Stück gepresster Fäkalien in die Hand: „He smelled my shit“, sagt Sunesson und grinst.

Hinter einem blauen Metalltor liegt seine Anlage: ein niedriges, weites Becken, das 800 Kubikmeter fasst, drei blaue Container, Leitungen, ein puckernder Generator. Als Präsident Mahama die Anlage besuchte, gab es festlichen Blumenschmuck. 2013 hat Sunesson sie eröffnet, als Pilotprojekt für die Accra Municipal Assembly. Die Exkremente werden in das Auffangbecken gekippt, wo sich binnen 24 Stunden Feststoffe absetzen. Die Pumpe schickt den Faulschlamm in einen Trockentank, mischt Polymere darunter. Der trockene Schlamm lässt sich nach vier Tagen zu Brennmitteln pressen. Fünf Männer arbeiten hier, die Anlage könnte über ein Drittel der Tanklaster aufnehmen, die täglich zu den Lavender Hills fahren. Sie funktioniert. Und sie kostet etwa eine Million Dollar – 21 weniger als die ruhende Kläranlage.

Ein Zehnjahresplan

Der Schwede ist der Entwickler – betrieben wird das Projekt von der Zoomlion Ghana Ltd., die bis 2015 auf einer Weltbank-Liste von Unternehmen stand, denen Korruption nachgewiesen wurde. Fast 90 Prozent ihres Umsatzes macht die Firma mit öffentlichen Aufträgen. Sunessons Pilotprojekt wird noch bis 2020 vom dänischen Außenministerium mit fast drei Millionen Euro gefördert. Wenn er Besucher durch die Anlage führt, zeigt er ihnen nicht nur seine Erfindung, sondern auch eine Lösung für ein grundsätzliches Problem vieler afrikanischer Städte. Auf die Frage, warum nur diese eine Anlage existiere, erklärt er, dass es aktuell noch einen Rechtsstreit gebe. Denn seine Erfindung bedeutet auch einen Angriff auf das System der bisherigen Entsorger. Und der politische Wille in Ghana, seinen Ansatz zu unterstützen, schwanke. „In zehn Jahren“, sagt Sunesson, „will ich in den zehn größten Städten des Landes eine solche Anlage gebaut haben.“ Schon heute ist er an einem zweiten Gelände dran, dort zieht er mit Geld der niederländischen Regierung eine Kompostanlage hoch. „Wieder ganz simple Technik“, sagt er.

Ob sich Präsident Mahama, wenn er wiedergewählt wird, an sein Versprechen erinnert, die Lavender Hills zu schließen? Da ist sich Sunesson nicht so sicher. Und ob er, wenn es einmal dazu käme, wieder Fisch essen werde, in Ghana? Er zögert. Auch das kann er nicht so genau sagen.

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