Das Dach des Clubhauses

Experimente Der Band „African Modernism“ rückt die wenig bekannte postkoloniale Großstadtarchitektur des Kontinents ins Blickfeld
Ausgabe 20/2015

Zum Beispiel der Campus Kumasi. Genauer: die Kwame Nkrumah University of Science and Technology (KNUST), die an der südöstlichen Ausfallstraße nach Accra, Ghanas Hauptstadt, gelegen ist. Bis in die Fassaden artikulierte Wohnscheiben, Brise Soleil, schlanke Wohnmaschinen, aber auch hochdifferenzierte Dachkonstruktionen: Gegründet 1951 als technische Hochschule, zehn Jahre später zur Universität erklärt, liegen die Wurzeln des Ensembles noch in der späten Kolonialära. Geplant und gebaut wurde noch bis weit nach der Unabhängigkeit. Ghana löste sich 1957 als erstes afrikanisches Land von der Kolonialmacht, in einem langsamen Übergang zur Selbstständigkeit machte es sich von Großbritannien frei. Der Campus Kumasi ist ein Beispiel für eine politische Geschichte von Gebäuden, der interessante Rückschlüsse auf notwendige Infrastrukturen, aber auch auf Formwillen und Entwicklungen zulässt. Die KNUST ist auch Zeugin der Staatenbildung.

Experimentelle Meisterwerke

Der spätere Präsident Kwame Nkrumah propagierte eine Art panafrikanischen Sozialismus und ersetzte nach seinem Amtsantritt als „Führer der Regierungsgeschäfte der Kronkolonie“ 1951 den kolonialen Entwicklungsplan für das Land durch einen Fünfjahresplan. Er stellte 120 Millionen Pfund Sterling zur Verfügung: Straßen, Brücken, Grundschulen und eben die technische Hochschule in Kumasi sollten gebaut werden. Sie trug ab 1961 seinen Namen.

Damals hatte die britische Kronkolonie die höchsten Kakaoexporte weltweit, allerdings gab es im ganzen Land keine Industrieanlagen, technische Ausbildungsstätten oder höhere Bildungsinstitute. Für Nkrumah und seine Regierung war klar, dass Entwicklung und Modernisierung über Infrastruktur funktionieren mussten. Diese trug dann im Gegenzug häufig die Zeichen des Modernismus, oder genauer: des African Modernism. Unter diesem Titel ist gerade ein prächtiger Band im Handel erschienen. Außerdem zeigt das Vitra-Design-Museum eine große Ausstellung mit Fotografien und Plänen von über 80 Gebäuden in Ländern südlich der Sahelzone. Der afrikanische Modernismus ist in der Architekturgeschichte bislang wenig diskutiert und kaum wahrgenommen worden, die außerordentlich vielfältigen Bauten, die seit dem „Year of Africa“ 1960 umgesetzt wurden, sind kaum dokumentiert. Für Westafrika etwa gab es nur eine einzige Fachzeitschrift für Architektur. Etliche Gebäude werden gerade wieder eingerissen. Dabei mischen sich im Unabhängigkeitsbogen von Accra, den Hochhausbauten in Abidjan, dem wunderbar nüchternen Hôtel Ivoire oder Planungseinheiten wie der späteren Hauptstadt der Elfenbeinküste der ort- und kontextlose Modernismus mit Notwendigkeiten und kulturellen Eigenheiten der Region.

Baukörper können fantastische Formen annehmen und sich zu experimentellen Meisterwerken fügen: Bänder von dreieckigen Dachkonstruktionen, darunter dreieckige Metalltüren, gleichschenklig dreieckige Ornamente und Belüftungssysteme, außenliegende Zugänge über einzeln abgesetzten, ebenfalls dreieckigen Treppenstufen-was auf dem betonierten Feld in den Vororten Dakars wie ein in Beton gegossenes Tobleroneland wirkt, ist das internationale Messegelände, die Foire internationale de Dakar. In der Hauptstadt von Côte d’Ivoire weiten sich flache Betonbänder zum Dach des Clubhauses des Président-Golf-Club Yamoussoukro.

Überhaupt ist Yamoussoukro, einst ein verschlafenes Bauerndörfchen am Bandama-Fluss, ein hervorragendes Exempel für den tiefen Atemzug der Moderne, den die selbstbewussten neuen Staaten und ihre Lenker begierig einsogen: Beim Antritt des hier geborenen Präsidenten Félix Houphouët-Boigny lebten im Ort knapp 4.500 Menschen, ab den 1970ern wurde er mit vielen Infrastrukturprojekten zur Stadt und zum Zentrum von Bildung und Wissenschaft aufgewertet. Als im Januar 1983 der Bürgermeister von Abidjan den Antrag auf Umsiedlung der Regierung nach Yamoussoukro öffentlich unterstützte, hatte die Stadtplanung längst eine Millionen-metropole im Visier und zehnspurige Straßen angelegt.

Während Städte wie Yamoussoukro oder Gebäude wie La Pyramide in Abidjan einerseits den Formwillen auch jenseits des europäischen Modernismus beschworen, sind sie manchmal auch Zeugnisse von Fehlplanung und Hybris: Die Pyramide steht heute größtenteils leer, zu hoch sind die Unterhaltskosten im Verhältnis zur vermietbaren Fläche. Der italienische Architekt Rinaldo Olivieri wollte das neue kommerzielle Zentrum Abidjans symbolisch und gegenüber eher feingliedrigen Beispielen einer frankophonen Moderne in der Stadt aufwerten. Und gleichzeitig Fehler des Modernismus vermeiden: Gläserne Türme mit ihrer Exponiertheit zur Sonne und der hermetischen Trennung zur Außenwelt sah er eher für das Klima im Norden geeignet. Heute rosten metallene Sonnenblenden an der Pyramide.

Eitelkeit großer Männer

Ausstellung und Katalog legen so eine vergessene Geschichte von Optimismus und Aufbruchswillen, aber auch fragile Momente im Prozess der Emanzipation frei. Im Kenyatta Conference Centre, als Hauptquartier der autoritär geführten Einheitspartei Kenias geplant, fand 1973 das erste Treffen der Weltbank auf afrikanischem Boden statt – der Organisation, die am rigorosesten die Interessen der Industrienationen verkörperte. Im Großraum Yamoussoukro leben heute etwa 150.000 Einwohner – die weit entfernten Stadtteile sind ein steingewordenes Beispiel für die „Ära der großen Männer“, die, wie Architekt und Kurator der Vitra-Schau Manuel Herz im Buch feststellt, „für den Prozess der Unabhängigkeit der Staaten zentral waren“. Die leeren Straßen bezeugen auch die Eitelkeit großer Männer.

Ornamente an den Messebauten in Dakar oder die Dachkonstruktionen der KNUST sprechen dagegen eindeutig für eine Weiterentwicklung des Modernismus. In Kumasi bauten 1956 noch die Gesamtplaner der KNUST James Cubitt and Partners die Ingenieursfakultät. Das Gebäude streckt sich unter außenliegenden Trägern, die zu einer breiten Ypsilon-Form ausfächern: Unter den gespreizten Flügeln sorgen Fensterbänder für natürliches Licht, sie tragen eine leicht aufgebogene Decke. Die Konstruktion gibt dem Gebäude eine strukturierte Leichtigkeit, obwohl es aus Stahlbeton gefertigt ist. Vor allem führt das Dach heiße Luft nach außen, eine natürliche, in vielen afrikanischen Ländern verwendete Form der Ventilation. Bald konnten sich an der KNUST die ersten afrikanischen Studenten für Architektur einschreiben.

Info

African Modernism. The Architecture of Independence. Ghana, Senegal, Côte d’Ivoire, Kenya, Zambia Manuel Herz (Hg.), Park Books 2015, 640 S., 963 Fotografien, 246 Pläne, 68 €

Die im Text erwähnte Ausstellung Architektur der Unabhängigkeit ist noch bis 31. Mai im Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein zu sehen

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