Berlin streckt sich, sagt das zuständige Amt für Statistik, über 89.112 Hektar. Ein Splitter davon, acht nämlich, wird gerade kräftig diskutiert, bald umgegraben. Die acht Hektar kann man als Zeichensystem lesen: der Molkenmarkt, einer der ältesten Plätze der Stadt, seit den 1960er Jahren Kreuzung und Schneise voller Autoverkehr, Lärm, Feinstaub, what have you. Für Menschen, die sich dort verständlicherweise selten aufhalten: Hier zieht sich die Leipziger Straße entlang, eine der breitesten, meistbefahrenen Verkehrsachsen von Mitte. Auf Balkonen ringsum versteht man meist sein eigenes Wort nicht. Ob und wie oft der Anthropologe Marc Augé hier vorbeikommt, der den Begriff prägte, ist nicht klar, sehr allerdings, dass die ̶
ss die „sozialistische Umgestaltung des Zentrums der DDR, Berlin“ aus dem Molkenmarkt einen „Nicht-Ort“ machte, die Historie versiegelte und mit Straßenverkehr füllte.Der Bebauungsplan 1-14 trat 2016 in Kraft, erste Ideen zur städtebaulichen Umgestaltung waren da schon fast 25 Jahre alt, Gutachten und Pläne wurden geschrieben und gezeichnet, obenauf die Frage, wie der Molkenmarkt wieder ein „lebendiger und urbaner Ort in der Berliner Mitte“ werden kann. Also: Architekturwettbewerb um Städtebau und Freiraumplanung, Fragen nach Straßenführung und Mobilitätskonzepten. Nebenbei graben Archäolog*innen seit Jahren der Stadtgeschichte hinterher.Eine Jury krönte zwei Gewinner, die Beiträge des im Frühjahr verstorbenen Bernd Albers und seiner Gesellschaft von Architekten und die von OS Arkitekter in Zusammenarbeit mit dem Berliner Büro Czyborra Klingbeil. Nach Jury-Kolloquien, Überarbeitungen und zwei Bürger*innen-Werkstätten steht jetzt eine Entscheidung für das Zeichen in der Mitte der Stadt an: Wie soll das werden mit dem Lebendigen und dem Urbanen? Am 12. September werden die beiden Entwürfe für die Umgestaltung von acht Hektar Stadtzentrum vorgestellt, man kann das im Netz verfolgen und ihre Qualität bewerten. Es ist keine Abstimmung, sondern soll eine Beteiligung sein. Das Stimmungsbild wird in den nächsten Tag mitgenommen, fließt ein in etwas, das man sich als ziemliches Ringen vorstellen kann: die abschließende Jury-Sitzung nämlich, an deren Ende ein Ergebnis ausgerufen wird.Sieg der Traditionalisten?Interessant daran ist, dass Berlin eine noch immer recht neue Senatsbaudirektorin hat: Petra Kahlfeldt. Ihre Ernennung wurde von Protestgeräuschen begleitet. Ein offener Brief bezichtigte sie, nicht für eine soziale, bezahlbare Stadt zu stehen. Vielmehr sagten die Unterzeichner*innen – allesamt qualifiziertes Personal – voraus, dass Stadtentwicklung unter ihr kaum als ökologisches oder klimagerechtes Bauen vorangetrieben werden würde. Als Vertraute ihres Vorvorgängers Hans Stimmann wird sie einem konservativen Lager zugerechnet, das die historische Vorlage der Stadt wieder rekonstruieren wolle. Die Berliner Zeitung betitelte ihre Ernennung als „Sieg der Berliner Traditionalisten“. Und sie werde eine eher sozialdemokratische Tradition weiterführen, also Baumasse-Entwürfe bevorzugen. Nicht wenige glauben, bei ihr eine Klaus-Wowereit’sche Zuneigung zu banaler Stadtmöblierung durch Investorenkästen zu sehen.Da kommt der Molkenmarkt zurück ins Bild, die Gewinner-Entwürfe des Architekturwettbewerbs kann man als Zuspitzung unterschiedlicher Haltungen lesen: Auch wenn beide den Bedingungen des Bebauungsplans entsprechen, haben sie eine unterschiedliche Idee von Stadt und Bewohner*innen. Bernd Albers und Kolleg*innen schlagen eine gerade Traufhöhe, Blockrandbebauung und verdichteten Stadtraum hinter kommerziell ertragreichen Pfosten und Riegel-Fassaden vor. Die Geschossfläche liegt im oberen Bereich, als einziger bietet der Entwurf mehr Quadratmeter Gewerbefläche als Wohnraum. Die Jury fand das Mobilitätskonzept und die Gestaltung der Straßenräume „wenig kreativ“, sah aber, dass der Vorschlag sich auf „die Plausibilisierung der städtebaulichen Vorgaben“ fokussiert habe. Witterte also ein „hohes Maß an Genehmigungsfähigkeit und Realisierbarkeit“.Die Idee von OS Arkitekter und ihren Berliner Kolleg*innen wird als Spagat zwischen Berliner Blockstruktur „und einer Überlagerung mit Zukunftsthemen“ gesehen: Rücksprünge, mehr Fugen, gestaffelte Traufhöhe, in der Bebauung lockerer. Damit würde der Molkenmarkt auch auf Klimafragen reagieren: großzügigere Höfe, Sickermulden, begrünte Dachflächen, die auch Erholungsraum sein sollen. Die Häuser sind als flexible Skelettstruktur aus Holz geplant und sollen die Wünsche der Bewohner berücksichtigen. Die „bauliche Ausnutzung“, heißt es im Urteil, „bewegt sich jedoch im unteren Mittelfeld“.Wie auch immer der Groschen fällt, für ein Jury-Mitglied wird das Ergebnis von Stimmungsbild und Jury-Entscheidung problematisch: Petra Kahlfeldt. Entweder muss sie mit einem Gewinner umgehen, den sie nicht wollte. Mit einem, der ihrer eigenen Formensprache widerspricht. Oder sie wird eine massive Bebauung umsetzen, die ihr näherliegt. Dafür aber mit der lauten Kritik an Investorenbanalität und Kommerzwüsten umgehen müssen. Die acht Hektar sind auch ein Zeichen, das über ihrer Amtszeit schwebt.