Thüringen, am Tag nach der großen Einigung zwischen CDU und Rot-Rot-Grün: Spitzdächer ducken sich in Täler, Augen wirken verwirrt, weil sie kein Schnee belästigt. Fels krümmt sich unter zumindest am Morgen schwer klimawandelverdächtigem Sonnenschein, und das Hotel „Am Wald“ liegt genau dort. Nach Elgersburg, 1.228 Einwohner, 490 Meter über dem Meer, ein Örtchen wie zusammengefummelt für einen Heimatbildband, hat der thüringische Landesverband der Linken eingeladen. Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Interessanter Moment, mal über grundsätzliche Dinge nachzudenken, auch wenn sich auf dem Weg dahin einige Vorzeichen geändert haben.
Ausgelöst hatten die bundesweite linke Strategiedebatte, geführt wird sie auch am 29. Februar und 1. März in Kassel, Wahlniederlagen in Europa, Brandenburg und Sachsen. Zumindest hier rings um das Hotel Am Wald werden der Partei jedoch gerade 40 Prozent Wählerstimmen zugejubelt. Die letzte Selbstverständigung führte die Partei 2005, zwei Jahre danach fusionierten die Ostmilieu-Vertreter mit der West-Linken WASG, Auseinandersetzung um pragmatische Politik und theoretische Orthodoxie köchelten, Sahra Wagenknechts Mode hielt sich stabil an die AVON-Beraterinnen-Vorlage, aber die Partei änderte sich. Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler zählt auf, dass weit über die Hälfte der heutigen Mitglieder nach 2007 eintraten.
Kurze Unterhaltung mit Dirk Möller, der führt die Geschäfte der Partei im Land, gemütlicher Körperbau, Haarkranz, ein fast weißer Bart. Eigentlich zielte die Frage auf die Strategiedebatte, aber Erfurt dominiert die Gedanken: Möller erzählt von Skepsis in der Partei. Niemand ist sich sicher, ob die CDU nicht noch mit etwas aus dem Busch käme und die Einigung vom Freitag unter Druck der sehr disparaten Interessen in Land und Bund auseinanderfliege. Noch einmal, Strategie, lernt die Bundespartei gerade von Thüringen? Möller hebt nicht einmal die Stimme, kurzer Schlenker nach Hamburg, er habe zur Kenntnis nehmen müssen, dass dort die GenossInnen ja den Wahlkampf auf „Fundamentalopposition“ aufgebaut hätten. Das Modalverb „müssen“ spielt in dem Satz eine schöne Rolle. Deshalb hat er, nein, jetzt nicht den Eindruck, dass Thüringen als Blaupause funktioniere.
Nach Elgersburg kann man zwei Buchmanuskripte mitbringen, Katja Kipping, Bundesvorsitzende, und Jan Korte, erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, haben jeweils Dinge aufgeschrieben. Kipping leitet ihren Essay Neue linke Mehrheiten mit hinreichend hölzernen Sätzen ein: „Streiten wir solidarisch darüber, mit wem und wie wir dieses Heft des Handelns in die Hand bekommen können.“ Wenn man sich durch die üblichen Theorie-Referenzen, Empörung über soziale Spaltung und viel Politikersprech arbeitet, landet man immer wieder beim schon im Vorwort erwähnten pragmatischen Politikansatz als „neue Machtperspektive“. Kann man als Strategieempfehlung werten. Oder als kleines Nachwort zur Karriere von Sahra Wagenknecht lesen.
Undogmatisch zum Frieden
Jan Korte, Die Verantwortung der Linken, surft auch ein wenig durch unüberraschende Theoretikerinnenwellen, mischt Anekdoten aus seinem Wahlkreis mit einer Sprache, die Polit-Aktivisten in unteren Universitätssemestern gefällt. Ihn interessiert, woher Enthemmung und Hass in der Gesellschaft kommen, er hat sich aber gegen eine Forschungsarbeit entschieden. Und prügelt lieber ein wenig auf elitäre Grüne, Salonmarxisten und „vermeintlich proletarische Revolutionärinnen“ ein. Für Menschen, die man sich jetzt einfach mal so als Ehepaar Lafontaine/Wagenknecht vorstellen kann, hat er auch Worte: „Wer schließlich darüber redet, dass Flüchtlinge das Hauptproblem darstellen würden, und glaubt, dadurch verlorene Wähler und die sogenannten abgehängten Milieus zu erreichen, der ist ebenfalls Teil des Problems.“ Seine Strategieempfehlung: „Linke müssen wieder stärkere Sensoren dafür entwickeln, wie Menschen sich fühlen. Und ich meine wirklich ‚fühlen‘.“
Damit wären die Grundlagen für die Teilnahme am Workshop „Welche Rolle nimmt die Partei im gesellschaftlichen Umbruch ein?“ in Elgersburg nicht die schlechtesten. Hinter senffarbenen Gardinen ein Blick in die Partei jenseits von Erfurt. Da spielen bei Kommunalwahlen halbierte Mandatsträgerzahlen eine Rolle, der Umstand, dass auf dem Land die Linke kaum noch Bedeutung habe, das Milieu der DDR-Aufbaugeneration verloren sei. Die kluge Frage, wie Linke den Lauf der Dinge nicht nur beschreiben, sondern in ihn auch eingreifen können, wird als kluge Frage beraunt.
Das Impulsreferat hält der stellvertretende Landesvorsitzende. Mario Hesselbarth definiert die strategische Frage der Partei: Wie können wir wieder erfolgreich sein? Sieben Punkte hat er, darunter die Frage, wie die Linke als Antikriegspartei „zum Frieden“ kommen könne. Und vermeidet, in Dogmatismus zu verfallen. Vielleicht sind es Ruhe und Waldrand, aber irgendwie denkt man, dass die Linke diesen Mario Hesselbarth auch an all die anderen Parteien, die sich in Erfurt einigten, ausleihen könnte: Sich für gesellschaftlich relevante Gruppen öffnen, Kommunalpolitikern den Rücken stärken, Mitglieder besser schulen. Grüne, Sozialdemokraten, CDUler könnten über seine „Brücke zwischen Antifa und den bürgerlichen Gegnern der extremen Rechten“ streiten, aber ganz ohne rhetorischen Brückenbau kommt gerade keiner aus. Sicher, wenn es dann um Politik aus der Perspektive der ökonomisch Schwachen ginge, würde sich das Feld lichten. Aber grundsätzlich ist alles hier von so katjakippinghafter Harmlosigkeit, dass auch Paul Ziemiak den Tag gut verdauen könnte.
Unter den strategischen Überlegungen wuchert allerdings Unterholz. Denn wie könnte man zum Beispiel „zum Frieden“ kommen, ohne in Dogmatismus zu verfallen? Vielleicht so: Die NATO nicht zum Gegenstand von kommunalpolitischen Verhandlungen machen und als so.lchen auf den Tisch legen. Unklar, ob es dazu im Workshop, in dem gefühlt eine Teilnehmerin das Durchschnittsalter unter die 60-Jahre-Grenze drückt, Widersprüche gäbe.
Kaffeepause, alle schauen auf ihre Telefone, allerlei Bundeschristdemokraten laufen sich gegen die Übereinkunft heiß, die Bild krakeelt vom „Pakt mit dem Kreml“, und weil es auch Bundeslinke gibt, müssen die auch Pressemitteilungen herausgeben, da kann Bodo Ramelow noch so freundlich intern anweisen, dass doch alle mal bitte den Mund halten sollen.
Tage und Nächte hätten sie gesessen, erzählt dann Steffen Dittes hier im Wald, auch er ist stellvertretender Landesvorsitzender, schwierige, komplizierte Annäherungen, aber nun würde man einander schon so etwas wie Vertrauen entgegenbringen. Dann öffnet er ein kleines Fenster: Der CDU-Bürgermeister, der sein Amt aufgab und nun für die Landtagsauflösung den Arm heben soll? Die Abgeordneten, die zwei Monate, bevor ihre Alterssicherung eintritt, ihr Mandat aufgeben sollen? Allgemeines Nicken. Wobei auch die Thüringer Linken nicht ganz ohne hakelige Interessen herumpragmatisieren. Als Hesselbarth vorschlägt, bei den nächsten Bundestagswahlen ein Drittel der Listenplätze für Vertreter aus linken Organisationen zu öffnen, entfährt es einer Workshopperin: „Da will ich aber sehen, wer dann herausfällt.“
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