Fahren Sie nach Bonn und ändern Sie ihr Leben! Lassen Sie die eher spießige Stadt und ihre verblichene Wichtigkeit (Genscher-Allee, Helmut-Kohl-Allee!) beiseite und gehen sie zur fabelhaften Martin-Kippenberger-Ausstellung in die Bundeskunsthalle. Da treten Sie ins Foyer und werden schon mit den ersten Skulpturen sofort all das Kleinkarierte abwerfen wollen, all die Zahnarzt-Zusatzversicherungen, die Carport-Sorgen und Rentenperspektiven. Was sich da öffnet, ist der Blick in eine radikale Welt, oder doch mindestens: eine radikale Auszeit von ihr.
Von Martin Kippenberger, 1953 als Sohn einer Dermatologin und eines Zechendirektors in Dortmund geboren und nur vierundvierzig Jahre später in Wien gestorben, sagten einige Zeitgenossen schon in seiner Frühphase, dass er selbst seine beste Arbeit sei. Später kokettierte Kippenberger mit seiner angeblichen Ähnlichkeit zu Helmut Berger. Versuchte sich auch am Schauspiel.
Es stimmt, dass Kippenberger von Beginn an Lebenswelt und Arbeit verwoben, zu einem Kunstbegriff verschmolzen hat. Das bedeutet, dass Motive und Technik der Werke kaum je nur aus ihnen selbst zu entschlüsseln sind. Beispiele: Nachdem ihn eine Piraten-Jenny im Kreuzberger Musik-Club SO36 (dessen Mitgründer, Booker und Kurator Kippenberger Ende der Siebziger war) vermöbelt hatte, rief er noch im Krankenhaus eine befreundete Fotografin an. Das Porträt, das sie von ihm macht, malt Kippenberger dann wieder mit den klassischen Mitteln bourgeoiser Kunst ab, Öl auf Leinwand, Titel: Dialog mit der Jugend (1981). Später schmiss er auf das Ablehnungsschreiben seiner Bewerbung beim Essener Schuhhaus Böhmer (möchten Ihnen, bei Ihren zeichnerischen Fähigkeiten, einen graphischen Beruf vorschlagen) bunte, absurde Muster, die noch entfernt an die Ertragsgebirge mit Wirtschaftswerten von Joseph Beuys (1985) erinnern. Als ihm die Kunstzeitschrift Wolkenkratzer 1989 vorwarf, ein zynischer, frauenfeindlicher Alkoholiker zu sein, fertigte er sechs lebensgroße Skulpturen an, die als Martin, ab in die Ecke und schäm Dich in Ecken stehen.
So geht es in einem fort, schnell stellt man sich Kippenberger als ständig weiterdrängenden Derwisch vor, der in seinem Kreiseln allerlei Splitter und auch größere Brocken der Gegenwart aufnahm, sie weiterverarbeitete, umdachte, neu zusammenstellte. Und das mit immer mehr Mitteln – Kippenberger war 1978 nach Berlin gezogen, versucht sich mit Performances und Punkrock, seine Malerei oszilliert bis zu seinem Tod zwischen allen Stilarten, bald kommen großformatige Skulpturen dazu, Fotografie spielt immer eine Rolle. Nach Paris zieht er 1980 mit dem Vorhaben, Schriftsteller zu werden, jedenfalls gibt es grobe und feine Textarbeiten, ein lustiges Chaos, das sein Studienkollege Diedrich Diedrichsen 2007 beim Suhrkamp Verlag herausgab. Dazu jede Menge Sprüche, zur Not an die Atelierwand gepinselt, und sowieso: Gelage.
Um die Erträge eines solch überbordenden, auch selbstzerstörerischen, wohl rastlosen Arbeit-Leben-Gemenges freizulegen, muss man in der mit 360 Arbeiten gut vollgehängten und -gestellten Kunsthalle Geduld mitbringen und sich erinnern: Da ist die kunsthistorische Linie, die den Begriff vom mythisch-genialen Künstler immer wieder genial in Alltäglichem oder Banalem auflöst. Sie reicht von Marcel Duchamp über Joseph Boys und den Kippenberger-Lehrer Sigmar Polke. Diese Auflösung hinterfragt immer auch den Betrieb, rückt die Diskussion um den Wert von Kunst in den Blick. Oder macht sich gleich über all das lustig – Kippenberger hatte schon 1981 einen professionellen Plakatmaler beauftragt, seine fotografierten Motive naturalistisch umzusetzen, das Ganze Lieber Maler, male mir genannt und so nach der Legitimation des Künstlers gefragt.
Wenn Motiv und Technik kaum je nur aus sich selbst zu entschlüsseln sind, bedeutet das aber keineswegs, dass Kippenbergers Arbeiten Selbstgespräche sind. Aus den Gesprächen zwischen Form, Titel und Material quillt eine ständige, heitere, oft ironische Lust des Sich-in-Bezug-setzens. Ein unbändiger Durst, dabeizusein, mit- oder aufzumischen. Da nimmt einer vieles aus dem Strom der Kunstgeschichte, denkt es weiter und um, denkt dagegen, stänkert. Verbeugt sich.
Wie immer wird gegrummelt
Wenn Sie dann in den weiten Bonner Hallen herumstehen, Atem holen und sich Wohl und Wehe eines stets hochgeschätzten Künstlers ausmalen, liegen Sie jedoch falsch. Die Schau Miete Strom Gas war zu Lebzeiten seine einzige Einzelausstellung. Dafür musste man nach Darmstadt reisen. Zu Überblicksschauen wie der Documenta wurde er nie zugelassen. Kippenberger gehört zur Gattung derer, denen erst nach ihrem Ableben größere Wertschätzung zuwuchs.
Das mag daran liegen, dass seine Arbeiten fast immer ironisierende, spielerische Ebenen mitlieferten: Im Selbstportrait von 1988 verhelfen dem in Picassos Unterhose gewandeten, schon ausgebeulten Leib selbst zwei frischgelbe Luftballons vor grauschmieriger Rückwand nicht zu Leichtigkeit oder Frohsinn. Während Picasso, der sich nicht selten in Schlüpfer oder Badeplinte ablichten ließ, stets vollkommen angezogen, fast gepanzert wirkte, ist „Kippi“ das verwelkte Kind im Mann, der weiche, ungeschützte Leib mit unpassendem, verlebten Untergewand. So etwas musste man in der muffigen Bundesrepublik entziffern wollen und erst lesen lernen.
Auch die Heavy Burschi-Reihe (1991), in deren Zentrum von Assistenten gemalte, abfotografierte, für zu gut befundene und zerrissene Bilder in einer aus Holz und Plexiglas samt verwaschenem Firmenstempel nachgebauten Schütte stehen, zeigen, wie viel weiter Kippenberger dachte: Wie lang lässt sich der Kunstbegriff über die Reproduktion dehnen? Wo liegt die Grenze zum Handwerk? Ein bunter Genuss, oft hat man das Gefühl, sich umzudrehen und einem grinsenden Joseph Beuys ins Gesicht zu blicken: Hier hat einer irren Spaß an seinen Gedanken, die Kunst von Galerie- und Stardom-Einfassung zu befreien. Auf einem Bild aus der Fred the Frog-Reihe (1988) teilt er sich gleich das Kreuz mit einer Jesusfigur: Dem Sohn Gottes zugewandt, aber als labbriger, fast zerrinnender Fleischklops auch unterlegen. Ein Kuss vereint die beiden, Konstellation und „Bitteschön/Dankeschön“-Aufschrift evoziert die sich aufopfernde Künstler-Figur und verlacht sie zugleich. Er hat nicht einmal sein eigenes Kreuz bekommen.
Einiges vom Unbehagen an Kippenberger hat sich gehalten: Wie die Überblicksschau im Hamburger Bahnhof in Berlin vor sechs Jahren wird nun auch die Bonner Ausstellung von Gegrummel begleitet. Kuratorin Susanne Kleine kennt die Vorwürfe „politische Unkorrektheit“, „lapidarer Umgang mit Genderfragen“ oder die offene Auseinandersetzung mit dem eigenen „Kunst-Unternehmertum“. Sie erzählt, dass Kippenberger noch immer auf Provokation festgenagelt wird, auf Ironie, Witzelei. Sie sagt, „das Werk muss im zeitlichen Kontext gelesen werden und auch innerhalb des Kontextes seine Kritik erfahren.“
Seltsames Gefühl also, wenn man auf die Straße zurück in die Welt tritt: Eine großartige Ausstellung im Rücken, die am Ende überraschend nachdenklich wirkt angesichts der Ahnung, die man sich über den lauten, rastlosen Künstler in seiner Mitte zusammengepuzzelt hat. Gegenwart also, ein Betrieb, der eitle Selbstdarsteller wie Jonathan Meese goutiert, sich mit Instagram und Galeriewochenenden streng zur Oberfläche orientiert. Ästhetische Entscheidungen über Lebensstil als Kunst verkündet. Und bei nicht so rasch entschlüsselbaren Figuren wie Kippenberger noch lange nach seinem Tod mit der moralischen Sagrotanflasche und Cancel-Culture-Furor hantiert. Fahren Sie nach Bonn!
Info
Martin Kippenberger: Bitteschön Dankeschön. Eine Retrospektive Bundeskunsthalle Bonn, bis 16. Februar 2020
Publikation zur Ausstellung Susanne Kleine/Jakob Schillinger Snoeck Köln, 304 S., 68 €
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