Girlandenparade

Literatur Studi-Romanze Daniel Mezger zeigt vor, was er draufhat. Hängen bleibt nichts
Ausgabe 48/2019

Fußballtrainer Jürgen Klopp hat einmal über einen Spieler gesagt, der habe Dutzende Arten, mit einem Ball am Gegenspieler vorbeizuziehen. So viele hatte er, Klopp, zu aktiven Zeiten nie. Der Schriftsteller Daniel Mezger hat Dutzende Formen, wie er einen Text an den Leser bringen kann. Indem er in der ersten Person Plural sprechen lässt, wie er das in seinem sehr schönen Roman Land spielen (2012) oft getan hat, zum Beispiel. Mit seinem Sprachgefühl kann Mezger Passagen gleiten lassen wie einen Drachen im gleichmäßigen Wind.

Der Fußballtrainer Klopp hat aber angefügt, dass er dem Spieler gerne beigebracht hätte, einfach zu spielen. Direkt. Klar. Zügig. Wenn man nach sieben Jahren Mezgers zweiten Roman liest, muss man hoffen, dass der nächstens einmal bei einem literarischen Klopp vorbeischaut.

Alles außer ich handelt von einem zufälligen Treffen. Mitfahrzentrale, Dienstleister für das günstige Durchqueren Europas, bei dem man stundenlang fremde Menschen, ihre Gerüche und Witze ertragen muss. Daniel, Schweizer, ist fasziniert von einer Dänin mit dem kuriosen Namen Ursina. Ihr Englisch hat einen harten Akzent. Außerdem hat er sich getrennt, außerdem weiß er nicht recht etwas mit sich anzufangen, außerdem organisiert er ein Kino in einer Kleinstadt, dessen Chef außerdem bald von der Bildfläche verschwindet. Daniel gibt vor, einen Roman zu schreiben, ist einigermaßen bieder, weiß das auch. Vor Ursina macht ihn das nervös.

Perspektivwechsel: Ursina weiß nicht recht etwas mit sich anzufangen, studiert Kunst, außerdem raucht sie viel, außerdem sucht sie ihren Vater, sucht ihn dann nicht mehr, hat eine recht wilde und von allerlei Dramen verhangene Familiengeschichte. Außerdem hat sie eine kleine Drogenkarriere in petto, außerdem trinkt sie viel und ist, was man nach allerlei Drehen und Wenden „flake“ nennen könnte. Jemand also, die nett ist, häufiger mal zu spät kommt, nicht recht mit ihrem Freund über Dinge sprechen und sich nicht richtig entscheiden will, sich etwas danebenbenehmen kann. Auf die man sich nicht unbedingt zu 100 Prozent verlassen sollte. Ungute Mischung. Vor allem für Daniel.

Dazu gibt es eine Erzählebene, die in vignettenhaften Bröseln eine Affäre zwischen Ursinas Mutter Stine und einem Hans einstreut. Jetzt fängt etwas an, bei dem der Leser irgendwann zum Gegenspieler von Daniel Mezger wird: In der Folge von Perspektivwechseln, Schlaufen und Nebenkriegsschauplätzen, Rück- und Vorsprüngen nämlich, die eine gerade erlebte Szene noch einmal erklären, ausschmücken, wurschtelt Mezger den Roman am Leser vorbei. Das geht eine Weile gut, und dann geht es nicht mehr gut. Alles außer ich beginnt zu referieren, die Erzählung freut sich, ins grammatische Passiv fallen zu können, nah an ihre Protagonisten heranzutreten, wieder weg. Der auktoriale Erzähler kümmert sich um Daniel in der informellen Anredeform, spricht ihn mit Du an. Außer grammatischen Hübschheiten passiert nicht viel. Vielleicht ihretwegen? Alles außer ich ergötzt sich an Außenristpässen, Dribblings, Übersteigern. Wird girlandig, lang und länger – und kommt nicht recht voran. Themen wie „Identität“, „eigene Geschichte“ oder „Emanzipation“ verbreien zu einem Potpourri, in dem studentische Lebensfindungsgedanken herumschwimmen, ein paar Bemerkungen zu Kunst. Einige Küssereien.

Über all dem dämmert früh die Ahnung: Ein guter Einfall, nämlich Ursina und D., die bis eben vieles und halb Europa trennte, denselben Vater anzudichten – oder vielleicht nur die Idee davon –, trägt den Spannungsbogen nicht über 448 Seiten. Wirkt schlicht. Dann ist der Roman aufgelesen und hat nichts hinterlassen. Nicht einmal die Euphorie eines Fußballspiels.

Info

Alles außer ich Daniel Mezger Salis Verlag 2019, 448 S., 24 €

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