Hinter Schloss und Giebel

Neubauten Sie heißen Fellini- Residences oder Cantian-Eck. Premium-Immobilien formen das Gesicht unserer Städte neu. Allen voran das von Berlin
Ausgabe 10/2014

Wenn es eine Rache der Ästhetik am Wohlstand gibt, dann könnte sie so aussehen: Berlin, Kommandantenstraße Ecke Alte Jakobstraße. Die schnörkelige Fassade ist noch frisch. Nach vorn, zur Kommandantenstraße hin, verschließt ein Steintor den Weg. Aus dem Tor winden sich rechts und links flache Treppenaufgänge, auf halber Höhe versperrt ein doppeltes Eisengatter den Weg in einen überraschend schmalen Hof. Das schwere Ensemble, das obenan noch gemauerte Pergolarippen wie romantisch überzeichnete Steingräten trägt, wirkt fett, übervoll. Zu viel ist da zusammengeschoben, es sieht unruhig, überladen, künstlich aus.

Dieser Stein gewordene Neo-Neo-Historismus ist kein profanes Haus, sondern eine sogenannte Residenz. In etlichen Innenstädten, von Berlin über München und Köln bis Hamburg haben Investoren in den letzten Jahren Gebäude hochgezogen, deren Namen auf etwas verweisen, was man in der Stadt nicht erwartet – viel Garten nämlich. Sie heißen Lenbach-Gärten in München, Kronprinzengärten in Berlin, Heinrich-Heine-Gärten in Düsseldorf. Es gibt den Rosenpark in Stuttgart und die Sophienterrassen in Hamburg. Das urbane Versprechen löst die Perspektive auf Ruhe, Abgeschiedenheit und höchstmögliche Privatheit ab. In Leipzig nieten zwei Bindestriche einen Anglizismus zusammen, auf dass der Bewohner nie vergäße, dass er irgendwie in der Mitte, aber doch im Grünen wohnt: In der Central-Park-Residence nämlich. Dazu tragen alle Bauten aus dem sogenannten „Premiumsegment“ Sicherheitskonzepte und Doormen-Brigaden vor sich her wie eine Monstranz. Man könnte meinen, die Bewohner müssten sich auf dem Weg zum Bäcker auf neo-hobbsche Kriegsgebiete einstellen.

Verkleidete Panzersperre

Den Fellini-Residences, einem Investorenprojekt mit 70 Wohnungen, steht hingegen der wimmelnde Süden voran. Etwas Distanz zum Ort tat wohl not, stehen die Gebäude doch auf dem ehemaligen Todesstreifen der Mauergrenze. Also muss eine reichlich pausbäckige Behauptung die Fassadenornamentik rechtfertigen: „Kaum eine Metropole Europas ist in ihrer Baukunst so stark von Italien geprägt wie Berlin“, heißt es auf den Internetseiten. Berlin sei im 19. Jahrhundert gar zur „italienischen Enklave“ geworden. In einem Einspieler klingeln dazu Mandolinen, ein paar Szenen aus La Dolce Vita mischen sich mit Computeranimationen der Wohnungen. Die heißen nach Italiens Städten Genova, Roma, Milano, und vermutlich ist auch der Versuch, die Eingangsbarriere obenrum als Gartenlaube zu maskieren, dem Assoziationsraum Italien geschuldet. Nur wirkt das Ergebnis, als habe da jemand den Auftrag erhalten, eine Panzersperre zu verkleiden.

Bauten wie die Fellini-Residences legen den Finger in eine städtische Wunde: Die Diskrepanz zwischen städte- und sozialbaulicher Notwendigkeit auf der einen, Marktinteressen auf der anderen Seite. Während Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften erhebliche Schwierigkeiten haben, günstig gute Wohnungen zu bauen und bezahlbare Mieten anzubieten, finden sich – glaubt man den Branchenpublikationen – für Immobilien im Premiumsegment sofort Investoren und Käufer. Da die meisten Städte und Kommunen klamm sind, freuen sie sich über jeden, der mit dem Schildchen „Investor“ am Revers an den Verhandlungstisch kommt. Oft überlassen die Städte den Investoren auch gleich einen Großteil der Strukturplanung für die Nachbarschaften.

Der Architekt und Bauherr David Chipperfield hat in der Zeit das Verhältnis zwischen den Interessen der Bauherren und der Ästhetik neuer Bauten so skizziert: „In dieser Gesellschaft regiert der Markt, und der Markt bringt eine Architektur hervor, bei der es nur noch um Geld geht. Investoren bauen Häuser, so wie andere Tomaten züchten.“ Von Stadtplanung, meinte Chipperfield könne dagegen „vielerorts nicht mehr die Rede sein, es gibt nur noch Entwicklungskontrolle, so, als ginge es einzig darum, dem Schlimmsten vorzubeugen.“

Das Ergebnis sind dann Bauten wie die Fellini-Residences. Der Publizist Frank Maier-Solgk bemerkte dazu in der Zeitschrift Wohnwelt: „Bezogen auf den Wohnungs(neu)-bau insgesamt mögen diese Siedlungen prozentual noch nicht ins Gewicht fallen. Sie besitzen jedoch bildprägenden Charakter für manche Stadtviertel und strahlen sowohl soziologisch, ästhetisch wie auch preislich in die Nachbarschaften aus.”

Im Dezember versprach die Preisliste noch drei freie Venezia in den Fellini-Residences, im günstigsten Fall für 635.100 Euro bei 149 qm in der dritten Etage. Der Termin verabredet sich schnell per E-Mail, wird am Telefon bestätigt. Ein Limousinen-Dienst stünde bereit.

Viel Geld, so scheint es, um in einem sozial etwas kargen Viertel zwischen Bundesdruckerei, dem Axel-Springer-Haus und der Leipziger Straße zu leben. Touristen verirren sich eher selten her, am Spreekanal kann man graubejackten Rentnern von der Fischerinsel beim Entenfüttern zuschauen und über Stasi-Biografien nachdenken. Anders verhält es sich da mit dem Cantian-Eck in Prenzlauer Berg. Baustart war im Sommer 2013, fast alle Wohnungen sind verkauft. Das Haus, dass die PR-Agentur des Bauträgers mit einem „Luxusliner“ vergleicht, wird in einer funktionierenden Nachbarschaft hochgezogen. Nächstens werden vom fertigen Schiff dann wohl Beiboote abgelassen: Die Bewohner, die sich der Bauherr als „Weltbürger und beruflich Erfolgreiche“ vorstellt, werden auf eine Nachbarschaft aus „Künstlern, Vertretern der Boheme sowie allenthalben Unangepassten“ treffen, die „inspirierende Heimstatt von Kreativen“ besuchen und sollten sich nicht über das gute Aussehen derselben wundern: „Modelabels eröffnen nicht von ungefähr hier Dependancen.“

Bye-bye Unangepasste

Die Bauherren werben mit einer Bevölkerung, die sich ihr eigenes Viertel bald nicht mehr leisten kann. So verdichtet sich hier vielleicht, was Maier-Solgk mit der „soziologischen Ausstrahlung“ in die Nachbarschaft andeutet. Weder haben die zukünftigen Bewohner etwas für die Basis der Nachbarschaft getan, die sie jetzt mit der Abenteuerlust der Touristen durchstreifen sollen, noch garantieren sie den Fortbestand. Mit den allenthalben Unangepassten hat es sich dann wohl.

Wo die Fellini-Residences stehen, schießen seit einigen Jahren die Bauten in die Höhe, als sei der Boden gerade besonders fruchtbar: Wo vor drei Jahren noch der Wind über Brachflächen und Mauerstreifen pfiff, drängen sich nun Fassadenelemente aus allen Teilen aktueller Architektur-Lehre: Einige Meter karge Moderne in strengem Weiß, unterbrochen nur von schmalen Fenstern in Metallrahmen, daneben Klinker und stilisierte Fensterstürze; immer wieder Bausubstanz, die dank Blechverschalungen an Supermarktarchitektur denken lässt. Direkt neben das Fellini bolzt die Firma Baywobau einen Klotz mit 113 Wohnungen samt geschwungenen Balkonen zwischen dunkler Klinkerverblendung. Das ist die „Berliner Neue Mitte“.

Vorn, an der Alten Jakobstraße, stehen schon etwas länger die Lofthöfe. Die Nachbarschaft wirkt leer und nach innen gekehrt, ein Sammelsurium an Gebäuden, eine spielplatzfreie Schlafstadt. Zumindest, kann man denken, gentrifizieren die neuen Bauten hier nichts, leer war die Nachbarschaft schon zuvor.

Die Fellini-Residences kennen das Viertel allerdings ganz anders. In der Eigenwerbung sprechen sie von dichtem „Nebeneinander der reich dekorierten Fassaden, knatternden Vespas“ und „vielen Espresso-Bars“, die „italienische Gefühle“ weckten. Solche überraschenden Erkenntnisse über Viertel sind häufig, wenn man die Seiten der Premium-Bauprojekte durchforstet: Prenzlauer Berg zum Beispiel wird von besagtem Cantian-Eck jetzt als „neues Szeneviertel“ entdeckt. In München gerät der Englische Garten mal eben zum „Vorgarten“ für die Bewohner der Osterwaldstr. 37.

Wie ernst es um den Münchner Markt steht, zeigte das Beispiel des L’Arche de Munic der Firma Goldgrund. Gleich sechs Immobilienfirmen konkurrierten um die Vermarktung des Wohnprojekts für „finanzielle High-Performer“ an der Leopoldstraße. „Die hermetischen Panoramafenster ermöglichen Ihnen die City zu genießen, ohne dass diese ihnen je zu nahe käme”, warb die Projektbeschreibung. Den Firmen ging erst spät auf, dass das Ganze auf dem Mist einer Satiregruppe gewachsen war. Sachlicher hingegen bewirbt die Frankonia Eurobau ihre Lenbach-Gärten damit, dass „nur wenige das Privileg haben“, Komfort auf diesem Niveau zu genießen. Ohne große Scham stellen die Bauherren fest, dass ihre Objekte Ausdruck und Stilmittel sozialer Schließung sind.

Residenzen wie das Fellini sind aber vor allem auch Spekulationsobjekte. Damit entsprechen sie einem politisch geförderten Trend der Baupolitik des letzten Jahrzehnts, wie Sabina Uffer in dem soeben im Transcript Verlag erschienenen Sammelband Berlin Reader: A Compendium on Urban Change and Activism feststellt.

Herdenähnliche Bewegung

Auch international erlebt der Berliner Häusermarkt einen veritablen Hype. Der Startschuss erfolgte 2004, als eine der weltweit führenden Investmentfirmen den Markt betrat „und eine herdenähnliche Bewegung von internationalen Firmen auslöste.“ Dabei spielten weder die noch niedrigen Mieten, noch die Erlöse durch Instandsetzung, oder erwartete Zuzüge irgendwelcher Kreativen eine Rolle: „Der projektierte Gewinn war einfach eine Spekulation auf eine Wertsteigerung aufgrund einer wachsenden Nachfrage nach Investition“, hat Sabina Uffer festgestellt.

Zumindest ein Teil der Investoren, die Geld in den Immobilienmarkt schießen, rechnet also damit, dass neue Investoren nachdrängen und ihnen Neubauten oder Luxussanierungen mit stattlichen Gewinnen aus der Hand reißen. Die meisten von ihnen lassen bevorzugt selbst bauen. Im Premium-Segment, versteht sich.

Als der Besichtigungstermin in Berlin näher rückt, kommt die Sache ins Stocken, die Begehung platzt ohne weitere Erklärung – keine E-Mail, kein Rückruf, keine Limousine: Das Fellini antwortet nicht mehr.

Am Abend tritt schräg gegenüber der Fellini-Residences eine Putzkolonne aus den Büroräumen eines Internet-Unternehmens ins Dunkel der Stadt. Vor der Tür noch ein paar Zigaretten, drei türkische Frauen verabschieden sich gemeinsam. Die Kolonne verstreut sich gemächlich in die Nacht. Für lange Zeit werden sie die einzigen Fußgänger in der Kommandantenstraße bleiben.

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