„Ich will die Leute einlullen“

Interview Olli Schulz erklärt, warum er Erdoğan nicht angegriffen hätte und was ihn mit Harald Juhnke verbindet
Ausgabe 41/2016
Olli Schulz: „Ich habe meinen eigenen politischen Standpunkt“
Olli Schulz: „Ich habe meinen eigenen politischen Standpunkt“

Foto: Oliver Rath

Sie machen einen Podcast mit Jan Böhmermann, ein Format mit dem Grundgefühl: Wir reden mal drüber.

Absolut.

Ist das Satire, oder eher eine Art öffentlich geführtes Telefonat zwischen zwei Kumpels?

Es ist ein öffentlich geführtes Telefonat, eine Spielwiese, in der wir uns immer die Freiheit herausnehmen, in eine Rolle zu verfallen, es ist – klingt doof, wenn man das sagt –ein ehrliches Format. Ein Gespräch zwischen zwei Leuten, die beide aus der Unterhaltungsbranche kommen und jederzeit auch in irgendeine Rolle abdriften können. Und das macht immer noch Spaß, komischerweise. Wir legen uns nicht viel zurecht, jeder bringt ein kleines Thema mit und dann wird gequatscht.

Täuscht der Eindruck, oder mildern Sie schon gerne Böhmermanns etwas kindlichen, mittelreifen Drang, unbedingt provozieren zu wollen, ab?

Das kann gut sein. Ich glaube, den Drang hatte ich auch. Ist aber mit der Zeit eher verschwunden. Nicht, weil ich altersmilde werde, sondern aus einem großen Desinteresse für viele Menschen auf dieser Welt. Ich muss die AfD nicht provozieren, weil ich weiß, dass ich sie dadurch nicht wegkriege, dass ich damit die Menschen vielleicht sogar nur noch mehr aufstachele. Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zu Aktionen, wie Jennifer Rostocks Song gegen die AfD. Das treibt die Leute vielleicht eher dahin. Ich versuche auf meine Art und Weise die Leute einzulullen, um die da herauszuholen. Klingt albern aber: Ich finde es gar nicht mal schlecht, wenn zwei, drei Leute, die meine Musik hören und dann ein bisschen locker lassen, nicht mehr so AfD-Zeug reden. Die Hoffnung besteht, wenn die mich gut finden, dann können die doch gar nicht so Scheiße sein. Ich bin da auch anders auch als Jan zum Beispiel. Ich hätte Erdogan nie so angegriffen. Da habe ich einen anderen Blick auf die Sache als Jan. Ich glaube, Provokation ist ja schön. Ich bin ja wirklich jemand, der gerne laut ist und seine Witzchen macht – aber ich finde, dass man grundsätzlich mit Dampfplauderei nicht viel erreicht.

Gab es einen Moment, wo Sie gemerkt haben, dass der Druck, sich äußern zu müssen zu viel wurde?

Ich hatte nach „Schulz in the Box“ einen kleinen Bruch mit dem Fernsehen. Ich habe gemerkt, dass ich da nicht dauernd auftauchen muss. Ich muss mich nicht ständig äußern. Das gilt unüberraschenderweise für einige Prominente. Vor einer Weile hatten wir mal Peter Fox, den Sänger von Seed, in der Sendung, der hatte sich beschwert, dass wir uns über ihn lustig gemacht hatten. Der war völlig verwirrt und erzählte, dass wir sozial was machen müssten und sagt dann: „Ich mache jetzt eine Bongo-Schule auf“. Da merke ich: Wenn die Menschen Geld haben, oder Erfolg, heißt das noch lange nicht, dass sie einen Plan vom Leben haben. Ich glaube, man muss den Leuten auch sagen: Ja, es gibt da draußen diese Plattform, du kannst immer überall deine Meinung sagen, aber: Mach das nicht. Deine Meinung ist nicht besser als die von vielen anderen, sondern einfach nur eine schonungslose, erbärmliche Offenlegung deiner Dummheit.

Liegt darin der Unterschied zwischen Ihnen und Jan Böhmermann? Böhmermanns Satire hat im Kern die kühle Haltung, zu schauen, wo man noch einen besseren Witz machen kann, so dass sich die, die sich gerade aufregen, noch etwas mehr aufregen können. Sie scheinen da gelassener zu sein.

Ja, das mag so sein bei ihm. Jan ist kein geselliger, einen umarmender Socialiser. Er socialised über seinen Job. Ich finde das aber völlig in Ordnung. Mir spielt das ganz gut in die Karten. Als Kontrast. Das ist auch das Geheimnis, warum das mit uns beiden immer noch so gut funktioniert. Und warum ich es auch wirklich sehr, sehr mag mit ihm zu arbeiten. Bei manchen Sachen denke ich mir dann: ‚Ja, ja, glaub’ du mal, dass das jetzt so wichtig ist, was du da von dir gibst.’ Vielleicht weil ich sieben Jahre älter bin. Aber ich schaue mir das alles wirklich sehr gerne an. Jan hat einen tierisch guten Geschmack, gute Treffsicherheit, ist sehr klug – wir alle haben dafür dann auch irgendwelche Defizite, und bei uns gleicht sich das irgendwie sehr schön aus.

ZUR PERSON

Olli Schulz, 42, ist ursprünglich und immer noch Musiker. Im Fernsehen wurde er bei Circus Halli Galli bekannt, es folgten Schulz in the Box und Schulz & Böhmermann. Mit Jan Böhmermann sendet er auch den Podcast Fest & Flauschig auf Spotify

Vorhin sagten Sie, dass Sie versuchen, Leute einzulullen – also einen politischen Veränderungsanspruch haben, ohne einen zu zeigen.

Das ist falsch. Ich versuche erst mal die Leute von den schlechten Sachen wegzubringen. Ich habe schon meine eigene ... Vision klingt doof ... vielleicht meinen eigenen politischen Standpunkt. Ich finde nur, dass ich mich dafür nicht auf die Bühne stellen muss. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass man gewisse Sachen nicht toleriert und gegen gewisse Dinge kämpft. So bin ich aufgewachsen. Ich bin aber auch ganz früh in solche Strukturen wie die Antifa und in eine linke Szene geraten, wo ich gemerkt habe, dass die sich kein bisschen weiter entwickelt. Zwei Jahre, richtig mit wöchentlichen Treffen, Aktionen, und im Endeffekt ist das Ganze an denselben kleinbürgerlichen Sachen gescheitert, wie so viele Sachen: An der Unfähigkeit zur Teamarbeit, an der Unfähigkeit Kritik auszuhalten ...

Wir sprechen immer mehr über postfaktischer Politik. Satireformate antworten mit Recherchen und Verknüpfungen, die Nachrichten nicht leisten. Und es gibt sehr viele Menschen, die überhaupt keine Erwartung mehr an Politik haben und deshalb die AfD wählen. Was kann Satire da?

Also erst einmal, ich glaube auch, dass AfD Wähler keine, oder wenig Erwartung an Politik haben. Aber: Wenn man sich das mal global anschaut, wer da alles zur Wahl steht, in den USA, in Frankreich – da denkt man, ist man mit der AfD noch relativ wohlgesegnet. Klingt zwar albern...

...klingt tatsächlich so ...

... ist aber so. Ich meine damit nicht die Neonazis, die Brandsätze schmeißen. Ich meine was anderes, ich bin nicht so privilegiert aufgewachsen, ich musste sehr viel für so Sachen kämpfen und ich habe häufig gemerkt, wie abwertend Menschen andere behandeln. Und das war auch immer mehr meine Wut. Deshalb denke ich sogar, dass ich teilweise mit AfD-Leuten Mitleid hätte, die im Osten seit 20 Jahren in ganz einfachen Verhältnissen leben, denen dieses Gefühl von Zusammenhalt abgeht. Meine Urgroßeltern waren einfache Arbeiter, teilweise auch mit komischen, einfachen Einstellungen und vielleicht habe ich deshalb die Vorstellung, dass man diesen Menschen ein Gehör geben muss und sie mit einer gewissen emotionalen Wärme auch ändern kann.

Was heißt das nun?

Kurze Geschichte: Seit ich hier wohne, habe ich immer mal wieder ein wirklich bildhübsches Mädchen gesehen. Die schiebt so einen alten Mann durch die Gegend. Irgendwann haben wir uns mal gegrüßt. Mir ist dann aufgefallen, dass die seit einem halben Jahr verschiedene Leute durch die Gegend schiebt und ich dachte, ob die fürs Altenheim arbeitet? Letzte Woche habe ich sie zufällig getroffen und gefragt, ob sie da arbeitet und so. Und dann hat die mir erzählt, dass sie immer ihren Opa besucht hat. Der ist vor einem halben Jahr gestorben. Und weil die so ein Herzempfinden für die Leute in dem Altenheim hatte, schiebt sie jetzt die Insassen bei schönem Wetter durch die Straßen. Die kommt freiwillig vorbei. Die ist bildschön und könnte sich in dieser Instagram- und Tinderaccount-Welt versenken, aber sie trifft die Entscheidung: „Ich will nicht im Prenzlauer Berg am Latte Macchiato-Strich sitze“. Das hat mich wirklich gerührt und ich dachte: „Was für ein toller Mensch.“ Sowas lässt mich an eine bessere Welt glauben. Bin ich dadurch der herzliche Harald-Juhnke-Typ, der Peter-Alexander-Typ? Die Frage ist doch, was ist denn wichtiger? Rumzubellen? Ich weiß nicht, wie viele Künstler, die einen politischen Standpunkt vertreten, die Satire machen, wirklich mal was richtig anfassen. Was macht denn Olli Welke privat? Was macht der denn, um die Welt zu einem besseren Platz zu machen? Viel Zeit des Lebens verschwendet man mit Haltung, mit Positionierung, mit Suchen. Bringt oft nichts.

Mit der politischen Geste im Fernsehen oder auf der Bühne ist eine Gewissensbefriedigung einfacher zu bekommen? Das ist einfacher, als zwei Mal in der Woche in den Grunewald zu fahren?

Ja. Ich habe Olli Welke hier noch nie gesehen.

Wie groß ist die Gefahr, dass Sie, oder Leute wie Jan Böhmermann mit all seinem Talent reibungslos in den großen Strom der Fernsehunterhaltung eingemeindet werden?

Dass wir betriebsblind werden? Sicher. Also ich habe gedacht, wenn ich so ein Jahr hätte, wie es bei Jan mit seinem Gedicht der Fall war, ich glaube, dann würde ich erst einmal gar nichts machen wollen im Fernsehen. Dann hätte ich erst einmal die Schnauze voll davon. Sich weiter in so einen Strudel zu begeben, hilft nicht, um so was mal sacken zu lassen.

Sie sind Musiker. Wenn aber jemand nur im Fernsehen ist, dann hat er nichts anderes.

Klar. Wir mögen beide aber zum Beispiel Max Goldt sehr gerne. Der kann sich mal rausnehmen und in Schöneberg in seiner Wohnung bleiben, weil er wahrscheinlich sein Leben so strukturiert hat, dass er ein Jahr lang nichts machen muss und dann aber sehr kluge Gedanken festhalten kann. Jemand, der in dieser Mühle ist, wo es darum geht, jede Woche eine Sendung zu machen, bei dem sieht das anders aus. Ich überlege gerade, wie das bei Harald Schmid in den 90ern aussah, der hat ja jeden Tag eine Sendung gemacht. Was muss das den für ein Rausch sein?

Ein bisschen was von dem Rausch kennen Sie bestimmt auch. Stumpft man da ab?

Ich habe die Reißleine gezogen, als ich bei Schulz in the Box plötzlich mein eigenes Format auf Pro7 hatte, mit Grimmepreis-Nominierung und so. Plötzlich habe ich gemerkt, Montags kam die Sendung, Dienstags habe ich angefangen zu fragen – wie sind denn so die Quoten? Als wenn mich im Leben jemals die Quoten interessiert hätten, für irgendwas, was ich gemacht habe. Ich hatte Glück, ich bin in Zeiten aufgewachsen, in denen niemand Klickzahlen gemessen hat. Wenn ich sehe, wie die Leute auf so was abfahren! Eine Freundin von mir bloggt. Die erzählt mir: ‚Das Foto hat total abgeräumt im Internet’! Da denke ich: ‚Sätze, die nie aus meinem Mund kommen werden: ‚Das Foto hat total abgeräumt.’

Was waren die Dinge, die bei Schulz in the Box so ganz augenscheinlich dazu geführt haben, dass Sie aufgehört haben?

Die Routine. In den ersten Folgen war ich wirklich interessiert an den Sachen, hat man vielleicht auch gemerkt, da war eine gewisse Reibung wirklich vorhanden, die nicht gespielt war. Ein paar Sachen, die die Kameras eingefangen haben und die nicht initiiert worden sind. Das verändert sich schnell, man kann sich unterschwellig vormachen, dass das jetzt alles real sei, aber die Verabredungen sind dennoch da. Plötzlich ticken alle ähnlich, haben sich aneinander gewöhnt. Dann habe ich zu einem gewissen Zeitpunkt gemerkt, aha, jetzt geht es hier eben um Quote, jetzt geht es darum das Format weiterzuführen, und ich soll mich dann vor die Kamera stellen und zu den Leuten sagen: „Ach echt, so machst du das hier alles? Das ja stark.“ Und dann denke ich so für mich: „Ist ja stark. Ich bin jetzt einer von den RTL-Typen. Ich bin jetzt so ein Fernseh-Koch.“ Ich fing an, so einen Gestus zu haben und merkte aber, dass ich das gar nicht bin und das nur spiele.

Ist die Kolonisierungskraft des Fernsehens so groß, dass man dann irgendwann über das Gemächt des türkischen Präsidenten dichtet, weil es halt immer noch krasser sein soll?

Ich möchte eine Sache schnell mal loswerden: Ich habe noch nie mit jemanden so ein gutes Arbeitsverhältnis gehabt, wie mit Jan Böhmermann. Ich hatte das noch nie, dass das so professionell und ohne Reibereien funktioniert. Schätze ich wirklich sehr. Er macht mir keine Vorschriften, gibt mir keine Ratschläge, ich urteile nicht über ihn. Und deshalb haben wir das auch im Podcast eher klein gehalten: Ich bin nicht sein Über-Ich und seine Reflexionsfläche, obwohl Jan ja, was man deutlich hört, sehr viel zu verarbeiten hat, was das angeht. Ich muss aber sagen, wahrscheinlich ergibt sich so eine Dynamik. Finde ich auch befremdlich. Jan hatte ja einen sehr guten Lauf. Es gibt niemanden im deutschen Fernsehen, der so viele wirklich tolle Einspieler macht, von »Eier aus Stahl«, »Do they know it’s Scheiße?«, »Polizistensohn« ...

... Varoufakis Mittelfinger ...

Genau – das waren fantastische Sachen! Varoufakis war ein Meisterstück. Ich glaube aber schon, dass ein 33jähriger Medienmacher, der merkt, „Oh, dass funktioniert hier ja alles“, dann Blut leckt und sich sagt, „mal gucken, wie weit wir gehen können“. Und wenn jetzt ein bisschen Zeit vergeht, werden wir das auch so sehen: Da hat sich jemand verrannt und hat dann aber auch in einer neuen Medienwelt alte Dinosaurier – ohne Angela Merkel jetzt zu Nahe treten zu wollen – geweckt, die irgendwie keine Ahnung hatten. Und die sind dann kollidiert. Da war ein beleidigter türkischer Präsident und da war eine überforderte Bundeskanzlerin und das Zeit-Raum-Kontinuum hat sich gerade mal verschoben in einigen Bereichen. Da gab es einen Riss.

Sie sollen auch nicht über Jan Böhmermann urteilen, mich interessiert das Verhältnis zwischen der Medienmaschine und Personen darin.

Schwierige Frage. Aber wenn wir auf die Welt schauen, sehen wir doch, wie zerrissen die Zeit gerade ist. Da müssen wir uns schon fragen, was Medien für eine Rolle spielen. Das beste Beispiel dafür, der Prototyp für die verlorene Welt: Donald Trump, Millionär, wird vielleicht Präsident. Das sind so Sachen, wo ich schon hoffe, dass das alles gut geht. Und das wiederum treibt mich dazu, wenn alle so ein bisschen rumirren, zu denken, vielleicht muss du dann gerade mal ein kleines Fundament der Bürgerlichkeit nach Außen ausstrahlen. So als Gegen-Reflex. Wo ich dann so denke, ey, die drehen gerade alle gut durch, ich glaube wir müssen den Sockel vom Tannenbaum festhalten, bevor der völlig in Flammen aufgeht. Wirklich. Wenn hier alle den Anstand fahren lassen, denke ich: Zeig denen mal da draußen, dass es noch jemand gibt, der zurückschaltet.

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