Im Auge der Sachpolitik

Linke/AfD In Forst, ganz im Südosten Brandenburgs, verlaufen die politischen Trennlinien anders – wegen eines Jugendclubs
Ausgabe 03/2021

Es liegt noch etwas Schnee vor dem Bahnhof Cottbus, also am äußeren Ring dieser Geschichte, Fußspuren in alle Richtungen. Matthias Loehr wartet im Auto, telefoniert, es geht um ein Ladenlokal. Als er auflegt, muss er tief durchatmen: „Sie können mir glauben, das ist fast ein Fulltime-Job.“ Loehr ist Vorsitzender des Kreisverbandes der Linken Lausitz. Der Satz könnte eine Warnung sein, er meint allerdings die Dinge in Forst.

Simone Taubenek zieht an ihrer schlanken Zigarette, sie holt den Reporter vor dem Rathaus ab, das ist der innere Kreis der Geschichte. Wir treffen uns für einen Überblick. Taubenek ist Juristin, parteilos, ruhiger Tonfall, lebt seit zwanzig Jahren in Forst, das in Klammern den Zusatz „Lausitz“ führt. Ein einziges Mal wird sie dem Reporter ins Wort fallen: „Kameralistisch“, fast eine Stunde sprechen wir da schon, „ist diese Entscheidung Mist.“ Seit zweieinhalb Jahren ist sie Bürgermeisterin.

Ingo Paeschke wartet neben einer mobilen Mammografie-Station, hinter ihm weite Flächen um die Kirche, am Markt zerriss der Krieg die Gründerzeithäuser, die Plattenbaureihen räumten sie nach 1990 ab: die leere Mitte der Stadt. Paeschke war 35 Jahre Berufssoldat, 17 Jahre Mitglied der Linken, jetzt ist er Rentner, zieht immer mal den Kopf zwischen die Schultern. Er steht im Auge des Sturms.

Und Thomas Jaehn spielt eine Rolle, Internist und Hausarzt, redet viel und schnell am Telefon, über polnische Geschichte, brasilianische Verwandtschaft, seinen Doktorvater, Patienten, Muslime, Sinti, etliches mehr. Jaehn ist Fraktionsvorsitzender der AfD in Forst. Für „diese Figuren im Landtag“ schäme er sich, „das ist nicht die gesammelte Intelligenz des Volkes“. Höcke, die Partei-Haltung zu Covid-19 – findet er peinlich. Helmut Schmidt lag ihm. Ein Forster, der ihn gut kennt, nennt ihn „Querdenker seit eh und je“. Jaehn sagt, dass es ihm leidtue um „den armen Paeschke“.

Zwischen Paeschke und Jaehn geht es um Umgang im Ort, um politischen Alltag. Zwischen Loehr und Paeschke darum, wie die Linke es mit der AfD halten will. Die Partei hat eindeutige Beschlüsse und auf kommunaler Ebene eine weniger eindeutige Praxis. Überall kann man Kommunalpolitiker treffen, die die AfD „entzaubern“, ihre Inkompetenz, ihr schlichtes Denken an Sachfragen zerschellen lassen wollen. Der Spiegel hat jüngst die verschiedenen Formen der Zusammenarbeit seit 2014 überblickt, stellt eine Grundsatzfrage: Ob nämlich ein „übereinstimmendes Interesse für ein politisches Thema eine Zusammenarbeit (rechtfertigt). Oder muss es eine Brandmauer geben, ohne Kompromisse?“

Bürgermeisterin Taubenek muss Launen, die sich aus diesem Zwiespalt ergeben, ausbaden. Allerdings haben Auseinandersetzungen zwischen ihr, der Linken, der AfD und der nicht minder irrlichternden Fraktion „Gemeinsam für Forst“ eine zweite Etage: Hier wohnt die politische Ressource der Glaubwürdigkeit. Im Alltagsgewirr, vermuten alle, bringt sie Erträge, wenn man eine standhafte Haltung vorweist. Nur funktioniert Politik in der Sache und mit Symbolen verschieden, hat unterschiedliche Zuschauer. Und Forst deshalb ein ziemliches Dilemma.

Die einst wohlhabende Stadt liegt am äußeren Rand von Brandenburg, ein Drittel stand sogar jenseits der Neiße, nach dem Krieg wurden die Steine zum Wiederaufbau Warschaus verwendet. Der Ort ist zerklüftet, überall weisen Brandmauern auf etwas, das fehlt: das nächste Gebäude. Mehrfach hat jemand an Ziegelwände einen Satz gepinselt, Seufzer oder Warnung: „Keiner kann helfen.“ Niedergang der Tuchindustrie, Zweiter Weltkrieg, DDR-Planungen, Postwende-Schwund, Lebensstil: Gerade 18.141 Einwohner gibt es noch, über die Hälfte lebt längst in Einfamilienhäusern auf großen Grundstücken in ruhigen Ortsteilen; 35 Prozent sind älter als 60.

Weil von den übrigen Forster*innen manche jugendlich sind, begann die Stadt schon 2016, zwei Jahre vor Simone Taubeneks Amtsantritt, nach einem Ort für einen neuen Jugendclub zu suchen. Die Verordnetenversammlung beschloss, ein ehemaliges FDJ-Gebäude sanieren zu lassen, hier probten Bands, es gab Konzerte. An der Fassade prangt noch sachliche Typografie: „Jugendclub Horizont“. Machbarkeitsstudien schätzten Kosten von 1,65 Millionen Euro. Das Stadtbudget ist im Eimer, ein Haushaltssicherungskonzept greift, als Förderung zahlt das Land 90 Prozent der Sanierungskosten.

Dann rechneten Planer und Architekten alles noch einmal durch, die Kosten stiegen auf 2,8 Millionen, Jaehn spricht gleich von drei Millionen. „Der Fördergeber hat uns vorgeschlagen, das Projekt in zwei Bauabschnitte zu untergliedern, und mündlich bestätigt, die Förderung des zweiten zu bewilligen“, sagt Taubenek. Sie reichen einen zweiten Antrag ein. Paeschke zweifelt an der mündlichen Zusage, zudem: „Wo kommen wir denn da hin.“

Guter Moment, um zu erwähnen, dass in der Verordnetenversammlung drei Männer sitzen, die selber gerne Bürgermeister geworden wären. Paeschke ist für Die Linke sogar bei drei Anläufen gescheitert. Frage an die Amtsträgerin: War das, was im April passierte eine Wahlkampf-Zuckung? Kein Drama, Taubenek lächelt nicht einmal. „Ich glaube, denen ging es um eine inhaltliche Entscheidung.“

Haltung und Inhalt: Als Thomas Jaehn 2018 in die AfD eintrat, war Andreas Kalbitz Landesvorsitzender, der völkisch-nationalistische Flügel gab den Ton an, der Verfassungsschutz beobachtete. Jaehn erzählt, dass er davon nichts mitbekommen habe, Anfang September trat er aus. Zwischendurch wählten genau 30 Prozent der Forster*innen die AfD, mit acht Verordneten wurde sie die größte Fraktion in der Stadt. Die Linke bekam weniger als die Hälfte der Stimmen. Paeschke sagt, dass man Sachpolitik machen müsse. Die sah so aus: Im April zog die Fraktion Gemeinsam für Forst – von einem weiteren Bürgermeisterkandidaten geführt – die Idee aus dem Hut, den Jugendclub am Sportplatz zu bauen, statt den Horizont zu sanieren. Linke und AfD stimmten dafür. Paeschke setzte sich für ein Pressegespräch neben einen AfD-Politiker. Die Stimme von Kreisverbandschef Loehr in Cottbus hat, wenn er davon erzählt, die Herzlichkeit von Sichtbeton.

Lange hatte die CDU das Sagen

Rechtfertigungen, Paeschke: „Wir haben schon in unserem Wahlprogramm für den Standort am Sportplatz geworben.“ Die gestiegenen Kosten will er nicht einsehen, überhaupt nervt ihn Politik, die ein Objekt, nicht aber ein Jugendprojekt fördert. Dann kommt der „Wo kommen wir da hin“-Satz, wohin nämlich, wenn man mit öffentlichen Geldern so leichtfertig umgehe, Preisexplosionen zum Alltag von Bauvorhaben gehörten. Paeschke macht seit zwanzig Jahren in Forst Oppositionspolitik, erzählt vom seinem sehr schmalen Vertrauen in die Rechtmäßigkeit mancher Vorgänge, von Bauaufträgen, die so lange gewendet wurden, bis sie für einen Spezi passten. In Forst hatte lange die CDU das Sagen.

Rechtfertigung, Jaehn: Planer, Architekten seien alle korrupt, deshalb die Kosten, in seiner AfD-Fraktion sitze doch gesammelter Handwerkerverstand. Und sie hätten, genau wie Paeschke und seine Fraktion, das alte FDJ-Haus nie gemocht. Eine „Kifferbude“ sei das gewesen. Exkurs zu Drogen in der Region. Ein Sportcampus würde Sinn machen, soll die Jugendlichen von Drogen wegbringen.

Mittelgroßer Haken an der Geschichte: Der Kinder- und Jugendbeirat hatte sich gegen den Sportplatz und für den Horizont ausgesprochen. Noch größerer Haken: Für den Neubau gibt es keine Förderung. Im Gegenteil, die Stadt muss alle Fördermittel zurückzahlen. Irrwitzige Pointe, sozusagen ein Haken von der Größe eines Jugendclubs: Die drei Fraktionen lehnten ein gefördertes Vorhaben in Höhe von 2,8 Millionen Euro ab, argumentierten gegen Förderpraxis und Kostensteigerungen, glaubten der Stadtverwaltung nicht. Ihr eigener Vorschlag soll 3,1 Millionen Euro kosten.

Die Linke warf ihn raus

„Die Frage habe ich erwartet“, Paeschke holt aus, sagt, dass man dann einen Neubau hätte, mit Fitnessbereich, einstöckig. Besser. Größer. Seine Antwort zieht einen weiten Bogen, der in der Nachwendezeit beginnt, sich zwanzig Jahre Widerstand der örtlichen CDU gegen eine Skateboard-Bahn vornimmt, zu den Kommunalwahlen führt. Man habe nicht gewonnen, aber: „Wenn Mehrheiten für die Punkte aus unserem Programm existieren, unterstützen wir das.“ So versteht er Glaubwürdigkeit. So etwas würde im Ort gehört. Ein paar Jahre war er im Linken-Landesvorstand, hat den Kreisverband mit aufgebaut. Inzwischen sei die Partei verwechselbar.

Matthias Loehr hat ebendiese Partei im Blick. Erzählt von ihren Grundsätzen, von Friedenspolitik, sozialer Gerechtigkeit, Antifaschismus. „Der übergroße Teil der Partei hat den Eindruck, dass daran jemand die Axt legt.“ Besonders gut gefiel ihm offensichtlich, dass sich Paeschke und Fraktion über die Beschlüsse zur AfD-Ächtung hinwegsetzten und mit Sachpolitik-Verweis meinten, „den gordischen Knoten“ im Umgang mit den Rechten zerschlagen zu haben. Betongesicht.

Loehr will: ausgrenzen und nach mürben Stellen abklopfen. In Cottbus zerreibe man die Fraktion der AfD, er reklamiert Zwist und Austritte als Erfolg, auch wenn Kalbitz und der Richtungsstreit mindestens daran mitzerrten. So stellt er sich das auch in anderen Stadtparlamenten vor. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung riet in einer Handreichung zur Kommunalpolitik, Anträge mit Blick auf Migrant*innen, Frauen, Homosexuelle zu formulieren. Linke sollten „auf den rassistischen, neonazistischen, sexistischen, homophoben und nationalistischen Charakter rechter Fraktionen aufmerksam machen (…).“ Loehr studiert wieder, Wirtschaftsfachwirt als Fortbildung, ein Kommilitone sei bei der AfD. „Zu meiner Geburtstagsfeier lade ich alle ein. Alle bis auf den AfD-Mann.“ So geht für ihn Glaubwürdigkeit. Paeschke ist all das zu luftig, zu symbolisch, Sachpolitik wäre ein Jugendclub. Nun hat ihn die Partei ausgeschlossen.

Alle, die man spricht, sind sich dann in einem Punkt überraschend einig. So sehr, dass sie von selbst davon reden: Das wesentliche Problem sei, dass kaum jemand kommunalpolitische Themen in ihrer Komplexität begleite, nicht die Unterschiede zwischen privatem und öffentlichem Bauen, Haushalten, Planen begreife. Weder die Bürger noch die Presse. Überhaupt würden von Zeitungen kaum mehr als Überschriften im Netz wahrgenommen. Es gehe um Parolen.

Jaehn, Ex-FDP, ehemals CDU, gewesener AfDler, für „konservative Politik im Sinne Preußens“, sagt abrupt, dass sie sich das noch einmal überlegt hätten. Seine Handwerkerkollegen meinten, am Sportplatz „für eine halbe Million“ bauen und dann an die Stadt vermieten zu können – die Bürgermeisterin kennt die Idee, schüttelt den Kopf. Dann findet er einen Satz, der weit über ihn hinausweist. Weil er den Erfolg der AfD skizziert, aber auch die kolonisierende Kraft, die von ihm ausgeht. „Wir sind erfolgreich, wenn wir die Partei der einfachen Antworten sind.“

Ende November beschloss eine Mehrheit aus Linken, AfD, Gemeinsam für Forst, dass die Bürgermeisterin Klage gegen die Kreisbehörde einreichen soll. Die hatte Taubeneks Einspruch gegen das Neubau-Votum unterstützt. Matthias Loehr ließ die Schlösser in der Geschäftsstelle Forst austauschen. Ingo Paeschke will sich konzentrieren: „Ich habe mich sowieso aus der überörtlichen Politik zurückgezogen.“ Bei der letzten Sitzung im Jahr 2020 gibt Paeschke zu Protokoll, dass sich die Fraktion jetzt „unabhängig links“ nennt.

In den nächsten Jahren wird in Forst kein Jugendclub öffnen. Simone Taubenek klingt jetzt doch etwas mitgenommen: „Das wäre ein wichtiges Zeichen gewesen. In einer Zeit, in der immer mehr Infrastruktur verschwindet.“

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