Inside Abel Morales

Kino J. C. Chandors Aufstiegsgeschichte „A Most Violent Year“ beobachtet das mafiöse New York von 1981
Ausgabe 12/2015

Zwei junge Banker sitzen in J. C. Chandors brillantem Film Margin Call von 2011 auf dem Rücksitz einer Limousine. Sie müssen den gefeuerten Analysten finden, der herausbekommen hatte, dass das System kurz vor dem Zusammenbruch steht. Einer der beiden schaut durchs Fenster Passanten zu, die in New York ihrer Wege gehen. „Wir zerbrechen uns hier drin unsere verdammten Köpfe, dass die Welt, wie wir sie kennen, untergeht, und die da draußen haben keine Vorstellung davon, was abgeht.“ Der Blick hinaus aus dieser Inside-Story gehört zu den stärksten Momenten der Inszenierung: Look at all these people.

A Most Violent Year ist wiederum eine Inside-Story, und sie spielt wieder in New York. Im Jahr 1981, die Stadt ist auf dem Höhepunkt einer ganz anderen, eigenen Krise – zerfressen von Gewalt, Korruption, Apathie, große Teile der weißen Bevölkerung haben die Flucht angetreten in die gut gesicherten Vororte. Manche Bezirke sehen aus, als wären sie von einem Bürgerkrieg verwüstet. 1981 bedeutet aber auch: elegante Limousinen, Kamelhaarmäntel, breite Anzugrevers. Es ist die Pre-Neon-Ära, und Jeffrey McDonald Chandor schwelgt in blassen Rottönen und gedecktem Braun. Hektik kommt selten auf.

Im Zentrum der Geschichte steht der Aufsteiger Abel Morales (Oscar Isaac), sein Feld ist das Heizölbusiness, ein Gewerbe mit mafiösen Strukturen. Morales kommt erheblich unter Beschuss: Seine Tanklaster werden entführt, die Chargen verhökert, Fahrer und Kundenberater verprügelt, ein Staatsanwalt erhebt Anklage. Zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, immerhin hat Morales gerade einen waghalsigen Vorvertrag abgeschlossen, um das Bayfront Terminal zu kaufen – ein Grundstück, das ihm Zugang zum Wasser ermöglicht, mehr Lagerkapazität für sein Heizöl, also: der nächste Schritt nach oben.

Abel Morales will er den most right way wählen, was in der überaus flachen Synchronisation auf den „ehrlichsten Weg“ reduziert wird. Tatsächlich nimmt die Eindeutschung dem Film einiges an sprachlichem Spiel, an Farbe und Mehrdeutigkeit: Es ist nicht ausgemacht, dass Morales’ Bestrebungen, auf die Bewaffnung der Fahrer zu verzichten und Gewalt mit Gewalt zu beantworten, rein moralisch motiviert sind. Sie sind aus seinem Blick schlicht the most right way, der beste Weg.

Abel, dessen biblischer Namensvetter erschlagen wurde, versucht sich aus dem Schmutz herauszuhalten. Selbst als seine Familie mit den drei Kindern in das neue Haus im reichen Westchester umgezogen ist und ihm dort eine sinistre Figur auflauert, tut er das als Kleinigkeit ab. Als eine Tochter am nächsten Tage eine Pistole im Garten findet, bleibt Abel standfest: Keine Waffen, kein milieu-üblicher Schutz.

Vielmehr versucht er mit schlichter Beharrlichkeit gegen die Zeichen der Zeit anzukämpfen. Seine Frau Anna ist ihm dabei zunächst keine Hilfe; das eben überfahrene Reh erschießt sie kurzerhand. Zu Hause macht sie ihm Vorhaltungen. Anna wird gespielt von Jessica Chastain, „eine Augenweide, wie immer“, haucht ihr ein Bankmanager entgegen, und tatsächlich sieht sie hinreißend aus im 1981er Dekor. Sie trägt bombastische Fingernägel und die richtigen Mäntel zur richtigen Zeit, nebenher erfahren wir, dass ihr Vater ein bekannter Gangster ist. Trotz der Fingernägel: Anna macht die Bücher der Firma.

Irgendwie erwartbar geht die Sache mit dem Kredit dann in die Hose, und der Vorvertrag für das Bayfront Terminal wird zur ernsthaften Belastung. Für Abel Morales wird sein starrer Blick auf den amerikanischen Traum immer teurer, bis Chandor langsam das Machtverhältnis in der Ehe Morales neu sortiert. Allerdings sorgt Anna auch für einen Knick in der sich zuspitzenden Gemengelage, sie löst das Ganze mit einer Volte, die so simpel ist, dass man sich fragt, warum wir Abel gerade eine Weile dabei zugeschaut haben, wie er Darlehen innerhalb der Branche einsammelt – also bei Menschen, die zumindest davon profitieren, wenn ihm wieder eine Lastwagenladung geklaut wird. Wenn sie nicht sogar selbst dahinter stecken. Die Lösung ist gleichsam eine Inside-Story in der Inside-Story: Chandor erzählt eine Geschichte von kühlen Eigeninteressen, die miteinander verheiratet sind. Und nun leider leichten Spannungsabfall erzeugt.

Man muss ein wenig suchen, aber vielleicht ist das in diesem schön ausgestatteten und präzise fotografierten Film das Fenster, das da zur Welt aufgemacht wird.

Info

A Most Violent Year J. C. Chandor USA 2014, 125 Minuten

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