Lützerath: Mit Beton und Barrikaden gegen den Kohlebagger
Braunkohle Die Zukunft des Dorfes im rheinischen Kohlerevier entscheidet über Deutschlands Beitrag zum 1,5 Grad-Ziel. Die Räumung soll noch diesen Monat kommen. Vor Ort rüsten sich Aktivisten für die Verteidigung. Ein Besuch
Ein weiter Blick in die Abgründe kapitalistischer Zerstörungswut
Foto: Imago / Funke Foto Services
Drinnen, im eiskalten Wohnzimmer, hört man nur einen dünnen Ton. Als schleife Wind beharrlich um Kanten. Obertöne, konstantes Mahlen greift durch den verwilderten Garten, an der Schiebetür fehlt der Griff. Der Zimmerer, groß, dunkelblonde Haare, die aus der schwarzen Kapuze drängen, will daneben zwei Betten bauen. Der Ofen muss angeschlossen werden, es gibt keinen Strom, keine Heizung mehr, jemand hat eben die Stelle markiert, wo der Schornstein aufgebrochen werden soll. Der Zimmerer arbeitet gern, sagt er, dreht sich, lacht: Aber schon länger nicht mehr für Lohn. Er ist grade dreißig Jahre alt geworden. Halb so alt wie Schaufelradbagger 261, der draußen am Loch gräbt: 220 Meter Länge, 70 Meter hoch, 7600 Tonnen Dienstmasse.
Lü
Lützerath, rheinisches Kohlerevier, kurz vor Neujahr, von zwei Seiten treiben Bagger die Abbruchkante gegen die selbstgebastelte Holzsiedlung zwischen alten Bauernhöfen. Meist hört man Förderbänder, Wind trägt das Mahlen der Schaufeln durch schüttere Baumreihen. Der Himmel ist ein grauer Baldachin, mattes Licht reduziert alles auf erdige Farben, der Regen hat Geduld. Winterraps liegt wie flach getreten auf der Krume und über allem das unbestimmte Gefühl von Vorbereitung – eine Mischung aus Spannung, Gelassenheit, Wehmut und Ernst.Der Ort kann Schauplatz eines wochenlangen Polizeieinsatzes werden, bei dem um Überzeugungen gerungen wird, um die Durchsetzung eines Rechtstitels, um Strom, Symbole und Zentimeter des grade ziemlich schlammigen Bodens. Es ist eine Bruchstelle zwischen zwei Logiken, die sich unversöhnlich gegenüberstehen – setzen sich hier internationale Abkommen und wissenschaftliche Studien durch, oder rechtskräftige Urteile und politische Verabredungen? Soll es begrünte Warenproduktion richten, also: Braunkohle für eine Wirtschaft gefördert werden, die auf langsamen Wandel zur Umweltfreundlichkeit setzt – so lang zumindest, wie der Profit garantiert? Oder stellen sich hier Fragen an Wachstum und Kapitalismus? „Es wird ein Kampf,“ sagt Ronni, die schon zweieinhalb Jahre hier lebt. Vier Wochen wollen die Besetzer*innen sich halten, dann ist Karneval. Zwei solcher Einsätze nebeneinander, sagt Ronni, „schafft die Polizei hoffentlich nicht.“Ein Bruch mit der kapitalistischen GesellschaftDie Betten sind für zwei, die auf ihre Rollstühle angewiesen sind, also lieber drei Schichten Paletten übereinander. Mehr Menschen kommen ins Wohnzimmer, schwere Stiefel, wattierte Jacken, Kapuzen, gute Idee. Paletten, sagt einer, gibt es an der Paula. Ach und die Tür, massiv, schwer, soll die nun in den gesperrten Zwischengang geschraubt werden? Nein, die ist so stabil, einer hebt an ihr, strauchelt, die wäre besser für eine Barrikade.Viele Besetzer*innen sind eher zwanzig als vierzig Jahre alt, melden sich beim To-Do-Plenum um elf Uhr, wer macht Shit-Brigade, wer repariert, wer kocht? Auf dem größeren Plenum liest die Awareness-Gruppe Hinweise vor, es gibt Seminare über den globalen Süden, Antirassismus. Ronni erklärt, dass es um einen Bruch mit der Waren produzierenden Gesellschaft gehe. Kurzer Exkurs, Theorie vom Gebrauchswert: Wenn der im Zentrum einer Gesellschaft stünde, sähe die ganz anders aus. Dann bräuchte man vielleicht die Kohle nicht.Zur Paula für Paletten: Die hieß einmal Paulshof, zweistöckig, die Fassade des Anbaus halten Ankersplinten mit der Jahreszahl 1763, das schmale Hauptgebäude ist achthundert Jahre alt, jetzt ist er in den Farben des Regenbogens gestrichen. Weiter vorn fährt Eckardt Heukamp, Landwirt und der letzte, der hier legal lebte, hastig allerlei Gerät ab: Sein alter Hof und auch die Paula gehören längst RWE Power. Der Konzern will abreißen, roden, abgraben. Muss, sagen seine Sprecher, wenn Energiesicherheit das Ziel ist.Das Bergrecht steht über dem GemeinwohlUnter Lützerath liegen 110 Millionen Tonnen Kohle, das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigt Ende März, dass der Abbau weitergeführt werden darf, um die fünf laufenden Kraftwerke zu beliefern. Ersatz aus Hambach sei „nicht ohne größeren Aufwand“ zu realisieren. Die Feststellung, dass eine Versorgung des Energiemarkts mit Braunkohle gefährdet sei, genügt, um Landwirten Flächen zu entziehen. All das stützt sich auf Bergrecht: Bodenschätze gehören nicht automatisch Grundeignern, dürfen als bergfreie Rohstoffe von Unternehmen mit staatlichen Genehmigungen abgebaut werden. Andere Interessen des Gemeinwohls stehen zurück. So steht es seit 1982 in einem Bundesgesetz.Seit das günstige Gas aus Russland versiegt ist, müssen die Kohlekraftwerke unter Volllast laufen. Lützerath zu erhalten würde bedeuten, dass eher in Tagen als Wochen Strom sehr viel teurer würde. Und bald auch richtig knapp: Deckschicht, Zwischenmaterial muss abgetragen werden, um an Sohlen zu gelangen. Eine Tagebauführung um die Siedlung herum? Unwirtschaftlich.Anfang Oktober steht Markus Krebber auf einer Pressekonferenz neben NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und ihrem Parteikollegen Robert Habeck. Krebber wirkt wie ein weiterer Minister, ist aber Vorstandsvorsitzender von RWE. Die drei präsentieren eine Einigung: Garzweiler wird begrenzt, fünf Dörfer werden erhalten, Ausstieg aus der Braunkohleverstromung 2030. Die 115 Millionen Tonnen Kohle, die RWE bereits jetzt aus der Erde holen kann, brauchen Böschungen, weiträumige Planung. Insgesamt halbiert der Konzern seine Förderung auf 280 Millionen Tonnen. Lützerath abzubaggern ist eine politische Entscheidung, zu der die Alternative heißen könnte: Strom rationieren.Besetzer*innen und viele in der Region zitieren dagegen eine Studie des DIW: Die rechnete aus, wie Deutschland das politische Ziel halten könnte, die Erderwärmung bei etwa 1,5 Grad zu halten. Aus Hambach und Garzweiler dürften zusammen maximal 200 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert werden. Kraftwerke müssten früher stillgelegt werden. Und die meisten kennen den IPCC-Bericht, der von alarmierend rasch näher rückenden Kipppunkten spricht. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 hielt die 1,5 Grad-Grenze für rechtlich verbindlich, forderte die Bundesregierung auf, kräftig nachzusteuern.Die Vorbereitungen laufenBraunkohle hat einen schlechten Brennwert, jede Tonne, die verbrannt wird, stößt eine an Kohlendioxid aus. Tagebaue produzieren gewaltige Probleme mit dem Grundwasser, beschleunigen Artensterben. Drei aktive Kohlekraftwerke westlich von Köln blasen seit vielen Jahren zusammen mehr CO2 in die Luft als jede andere Region in Europa. Der Thinktank Agora untersuchte die Gründe, warum Deutschland auch 2022 selbstgesetzte Grenzen zur CO2 riss: Vor allem lag es an der Kohleverstromung. Auf einer Emissions-Liste aller DAX-Unternehmen rangiert RWE seit Jahren an der Spitze. „In einer Wirtschaft, die sich nur an Wachstum orientiert“, sagt Ronni, „gibt es offensichtlich keine andere Möglichkeit, als dagegen eine physische Blockade zu bauen.“ Wir sitzen unter dem zentralen Turm, ein wuchtiger Bau, mit Planen abgespannt. An einem Fliesentisch.Placeholder image-1Aus der Paula schiebt einer Paletten, auf dem Dach befestigen Kletterer in Greenpeace-Jacken große Solarpanels. Am Nachmittag soll es wieder Strom geben. Und es werden Gräben ausgehoben, ein Trennschleifer sägt an der Straße, andere brennen mit einem Flammenwerfer Teer weich: T-Träger einzementieren, knüppelharte Arbeit. Immer ein paar Minuten, dann löst einen der nächste ab. Besucher fassen an, hauen mit der Spitzhacke auf die Betonschicht unter dem Asphalt, Mischen Blitzbeton. Dann kommt einer vorbei, längst Rentner, älteres Elektrofahrrad, leuchtende Jacke, war früher Polier: „Ihr könnt ja auch arbeiten, nicht nur demonstrieren.“ Schaut einen Moment, „aber das hier macht ein Bagger in einer halben Stunde platt. Geht doch lieber und trinkt Bier.“Zweihundert Bäume hat die Polizei in Lützerath gezählt, manche halten heitere, phantasievolle Bauten aus Holz und Planen in die Höhe, auf platt getretenen Wiesen stehen Türmchen, Zimmer auf Plattformen. Es gibt Bettwanzen und das Gefühl von Abenteuerspielplatz. Die Müllabfuhr kommt regelmäßig.Alternativen zum System spüren„Das hier ist ein ziemlich krasser Ort“, sagt Jule, von sich gibt sie preis, dass sie über dreißig Jahre alt ist, Sehnsucht nach „mehr politischem commitment“ hatte: Als sie einzog, rechnete sie damit, bald geräumt zu werden, jetzt wohnt sie schon ein Jahr in Lützerath. Trainiert Klettern, will gleich ein Auto reparieren, lacht, so etwas lernt man hier. Sie probiert mit anderen, wie sich Lebensformen anfühlen, die Alternativen formulieren sollen. Weiß auch, dass sie von Spenden abhängig sind, bis kurz vor Weihnachten kam Strom durch die Leitungen von RWE, dann kappte der Konzern die Verbindung. Jule hat studiert, ein wenig gearbeitet, lange keinen Anschluss an politische Organisationen gefunden. Sie zählt auf, Klimaschutz, Gerechtigkeit, Menschenrechte, all das gehe nicht im Kapitalismus. Muss man also in ein Dorf aus selbst gezimmerten Unterkünften und gebrauchten Sofas ziehen? „Ja und Nein. Im System wird Politik zur Reform, aber wir brauchen eine Alternative. Wer sich allerdings nur hier aufhält, verliert vielleicht den Kontakt zur Gesellschaft.“Etwa hundert Bewohner*innen gibt es hier. Sie haben sie sich angewöhnt, sich selbst mit „Mensch“ und „Person“ anzureden, nennen sich „Aktivistis“. Die Zuschreibung von Geschlecht fällt weg, damit sollen eine Menge einengender Kategorisierungen verschwinden. Es strahlt Wärme aus, Zugewandtheit. Sie haben gelernt, wie man Wunden mit Sekundenkleber schließt, Fingerkuppen gegen erkennungsdienstliche Behandlung verändert, sich in einbetonierte Schlösser zu verbarrikadieren: Härte gegen sich selbst und die Polizei.Die Viertel haben dünne Seile als Traversen zwischen Häusern und Bäumen gespannt, hoch geht es über Strickleitern. Alles soll ein Geflecht werden, sich stützen wie ein Spinnennetz. Für den Moment, sagt einer, wenn der Boden zu ist. Er meint: Wenn geräumt wird. „In dem Moment“, ein Glanz überzieht jetzt Jules Gesicht, „wird das alles hier noch einmal aufblühen.“ Sie zeigt zum Abschied auf ein Baumhaus weit oben, ein Zimmerchen mit rotem Dach, dorthin will sie sich zurückziehen.Die Macht des Strom-KonzernsEine halbe Stunde südlich stehen Sternsinger-Segnungen in Reihen neben der Tür einer Doppelhaushälfte in Kerpen-Buir, Antje Grothus öffnet. Sie kennt die Macht von RWE über Informationen, den Einfluss auf Vereine und Politik besser als viele in der Region. Und sie hat ein Jahrzehnt gegen die Rodung des Hambacher Forsts gekämpft, saß in der Kohlenkommission. Jahrelang hatte RWE erzählt, wenn der Hambacher Forst stehen bliebe, gäbe es keinen Tagebau mehr. Sie zuckt mit den Achseln, der Wald steht, der Abbau läuft.Nun ist sie Landtagsabgeordnete der Grünen, stemmt sich gegen Räumung und Lützerather Kohle. Vielleicht werde die später gebraucht, jetzt aber nicht. Der Polizeieinsatz im Hambacher Wald ist für sie eine bedrückende Erinnerung. Es ging um politische Zeichen, um Stärke. „Dabei starb ein Mensch.“ Die neue Räumung sei unnötig, eine Konfrontation, die die Region nicht brauche. Seit Monaten grübelt sie, wie all das aufzuhalten sei. „Wie man alle an einen Tisch setzen kann. Damit sie sich als Menschen begegnen können.“ Alle, die sie fragte, sagten ab.In Lützerath gehen die Besetzer oft an die Abbruchkante, schauen lange auf Bagger 261 und das aufgerissene Loch. Vermummte stehen dann neben Rentnern in Funktionsjacken, Besuchern aus der Region. Das Loch reicht fast an den Horizont, Ockergelb fällt in graue Schatten, weiter unten graben andere Bagger, höher und schwerer, in schwarzem Grund. Ihre Bewegungen verströmen etwas Bedrückendes, Faszination, von Fatalismus durchwebt. Lärm liegt dick über der Landschaft. Die Meisten kommen mit schweren Schritten zurück, klettern über den rutschigen Wall, Hände hinter dem Rücken verschränkt. Schweigen.
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