Kann man sich gut vorstellen die Situation: Da steht er im Büro des Goethe-Instituts in Santiago, hat wohl schon den berühmten chilenischen Architekten erwähnt: ein guter Bekannter. Den Freund, bei dem er wohnt: ein unter Pinochet gefolterter Intellektueller. Vor dem Institutschef liegt sein großer, schwerer, bunter Katalog: Werkschau aus über dreißig Jahren. „Ach“, macht der Institutsleiter, „sind Sie der kleine Klaus Staeck?“ Logische Antwort: „Nein, ich bin der große Ernst Volland.“
Irgendwie ging das Gespräch trotzdem weiter. Besser wurde es nicht, im Gegenteil: geblättert habe der Institutsleiter, auf Unschärfebilder gezeigt und gesagt – Volland greift sich kurz durchs mittellange, längst weiße Haar, beugt sich vor, gibt seiner Stimme etwas Seifiges: „Ach, so eine Gerhard-Richter-Ausstellung würde ich hier schon gerne machen.“ In seinem nobel verwitternden Gesicht blitzen Augen, ein Zug um den Mund: So sieht einer aus, der Lust hat, gleich jemanden zu verprügeln. Da nichts Anderweitiges bekannt ist, muss der Institutsleiter überlebt haben. Kann knapp gewesen sein. Eines kam jedenfalls nicht dabei heraus: Eine Ernst-Volland-Ausstellung in Santiago de Chile.
Kinderbriefe an Politiker
Der Vielfachkünstler (Grafiker, Autor, Fotograf, Illustrator, auch Galerist, Herausgeber, Publizist, Satiriker) Ernst Volland, geboren 1946 in Miltenberg, Unterfranken, aufgewachsen in Wilhelmshaven, macht ein ernstes Gesicht: kleiner Hinweis darauf, warum einige Orte auf der Welt ohne Ernst-Volland-Ausstellung auskommen müssen. Und dass ihn da mindestens zwei einklemmen – der Großgrafiker und sozialdemokratiefähige Klaus Staeck sowie der Großkünstler und unschärfetreue Gerhard Richter. Sigmar Polke und ein paar andere kommen später noch dazu.
Ausgangsfragen vor der Fahrt zum Atelier nach Steglitz: Was macht das mit einem, wenn er lange gegen Mauern rennt, vielleicht eine ganze Weile mit irrwitzigem Spaß, mit der Lust an Debatte, Provokation, Herausforderung. Mit unbedingtem Willen zu zeigen, wie ungerecht das mit der Wand sei, aber wie hart auch der eigene Schädel? Der Lauf gegen Widerstände war Ergebnis einer ersten Ernst-Volland-Wandlung. Bis er mit der Studierendenbewegung zusammenkam, hätten ihm eigentlich – stellen Sie sich jetzt bitte einen lässigen Erzählton vor, übereinandergeschlagene Beine, leicht aufgekrempelte Ärmel eines fein gestreiften Hemdes – „die Türen offen gestanden“: Einzelausstellung in einer damals bekannten Westberliner Galerie, als er gerade mit dem Studium begann. Surrealistische Malerei.
Mit der Studierendenbewegung verdichtete sich etwas. Lesen, nachdenken, diskutieren: politische Kunst, Plakate, Fotomontagen, Comics, Agitprop. John Heartfield als Übervater und Bezugspunkt. Die Dinge standen so, Volland holt Luft, „dass ich da nicht surrealistisches Zeug pinseln konnte“. Ein alter Fahrensmann schreibt im opulenten Katalog über seinen Helden, dass der Genießer und Feinschmecker sei, sogar morgens frisches Brot beim Bäcker besorgt würde: „Er macht alles selber, von den kritischen Bildern bis hin zur Distribution, ein linker, widerständlerischer Einmannbetrieb, dem niemand was reinreden kann.“ Dazu gehören auch einige Stunts des Vor-Internet-Zeitalters: Volland erfand den französischen Künstler Blaise Vincent und versuchte, ihn als „heftigen“ Maler in den Kunstbetrieb einzuschleusen, ein lustiger, unbekümmerter Versuch, Institutionen, Presse, das Juste Milieu hochzunehmen. Der Versuch kam nicht besonders weit. Andere Fakes: Kinderbriefe mit provokanten Zeichnungen an Politiker oder Kirchenvertreter.
Provokationen, Ironie: Ernst Volland bewegt sich durch alle Kunstgenres, richtig zu Hause ist er im Spiel. Das hat Konsequenzen, irgendwann häufen sich vielleicht Zurückweisungen, kleine Verletzungen vernarben schlechter, legen sich in Schichten übereinander. Irgendwann muss er gesehen haben, dass andere nicht gegen Mauern schlugen, sie nie als Problem ausriefen. Türen bevorzugten, sie gewandt öffneten, hineinschlüpften. Kann man das einfach auch machen, wie jene, die vielleicht Staeck heißen, Richter, Polke? Oder lassen einen Wut, Witz, die Gewalt der alten Methode nicht so einfach los? Der Historiker Sven Reichhardt hat über linksliberale Milieus nach 1968 festgestellt, dass darin die „Inszenierung des Egos in der Gemeinschaft zur Pflicht (wurde) und überspannte, ja zerstörerische Züge annehmen (konnte).“
Kleine Episode vom Beginn des Treffens: Der Reporter ist noch keine fünf Minuten in Ernst Vollands sympathisch unaufgeräumten Räumen, helles Sonnenlicht fällt herein. Im Atelier lehnen großformatige Bilder auf dem Holzboden: vergröbert-gepixelte Stadtansicht, darüber Schichten von Buntstiftfarben. Wieder etwas Vorlehnendes in der Haltung von Ernst Volland, etwas, das sich mit Hemd und dem weit aufgeknöpften Kragen, den entschlossen krokoledernen Stiefeletten (rot!) vermengt: „Und, können Sie erkennen, wo das ist?“ Stimmlage tropft vor Antwort. Reporter: „Offensichtlich Hiroshima nach dem Abwurf der Atombombe.“ Da passiert etwas im Gesicht von Ernst Volland. Vielleicht, wenn man sich weit aufgeknöpft vorbeugt und da steht niemand, auf dessen Schulter man onkelhaft die Hand legen kann, kippt etwas ins Leere. Volland schaut enttäuscht. „Ach? Können Sie doch gar nicht wissen. Sie waren doch noch gar nicht da.“ Logischer Gedanke des Reporters: Wir kennen uns zwei Minuten, können Sie doch gar nicht wissen, wo ich schon war.
Also setzen wir uns, Volland erklärt noch das mit den Buntstiften („macht sonst keiner“), Reporterfragen: Was treibt einer, der Jahrzehnte gegen Ungerechtigkeit anmalte, ancollagierte, anaktionierte, heute? Der mit Kunst gegen so etwas wie Establishment, oft gegen einen weiten Begriff von Staat und überhaupt gegen alles Mögliche anagitierte. Dessen Jägermeister-Anzeigen-Ulk gefühlt ein Jahrhundert vor dem Begriff Adbusting daherkam. Der mit Witz, listigen Täuschungen oder auch mit grobem Keil der Gesellschaft, Politik und gerne dem Kunstbetrieb zeigen wollte, wie aufgeblasen, leichtgläubig, hinterwäldlerisch und banal es zuging. Vielleicht auch, wie schlicht Meinungen beeinflusst, hergestellt werden. Juckt es ihm also in einem Jahr mit Europa- und wichtigen Landtagswahlen, in denen entscheidende Politiker Trump, Putin, Jinping, kleinere Ausführungen Orbán, Bolsonaro, Kurz heißen, in den Fingern? „Äh, nein.“ Pause. Volland von der sympathischen Seite, man kann ihm beim Nachdenken zuschauen. „Also, ich reflektiere das schon. Ich habe einen taz-blog. Da schreibe ich Gedichte.“ Nächste Pause. Hinweis, dass dies auf keinen Fall bedeutet, dass er sich zurückgezogen habe. Nur bekäme zum Beispiel sein Donald-Trump-Youtube-Video kaum Klicks.
Eine zu einfache Antwort
Unabhängigkeit, sagt Ernst Volland, an der Wand Ausstellungsposter, Skizzen, Zeitungsausrisse, sei ihm das Wichtigste gewesen. Sicher, einige hätten gerne, dass er bei ihnen mittäte, Volland lässt Namen fallen, „Steinmeier, Gabriel“. Will er nicht. Und ärgert sich. Im Spiegel der Artikel über einen jungen französischen Künstler mit Leichenwagen. Warum keiner über ihn?
Und so schweben relativ schnell bei- und übereinander in heller Atelierluft schwer zu vermittelnde Gegensätze: Da sitzt einer, der sein Leben vor allem mit Stil und unabhängig verbringen wollte, dessen Kunst in alle Richtung strebte, Materialien, Techniken, Formen aufgriff, verfolgte, wieder verwarf. Der mithalf, den Fotografen Jewgeni Chaldei in Deutschland neu zu entdecken, Kinderbücher gestaltete und sich aktuell Gedanken macht, ob es eine Art von Zensur gebe, die sich aus Besitzstrukturen der Medien ergäbe. Sitzt und ist, man kann das nicht anders sagen: ein bisschen enttäuscht. Dem aufstößt, dass er nie so gut verkauft wie ein sicher anschmeißiger Staeck. Überhaupt niemals nie so gut wie ein sicher anschmeißiger Richter. Der denen und überhaupt dem Kunstbetrieb entgegenschmettert: „Aura ist wichtiger als Aussage.“ Der einige wirklich gute Ideen hatte, aber vielleicht kein ruhiges, konzentriertes, auf Strecke angelegtes Konzept. Volland-Arbeiten schauen oft nach außen, sind auf Effekt geeicht. Legen sich gleichzeitig wie unruhige Schichten übereinander, Sedimente, an denen man bundesrepublikanische Historie ablesen kann.
Aus dem Gedächtnis
Einen Überblick über das vielfältige Werk von Ernst Volland bietet der fast 600 Seiten starke Band Eingebrannte Bilder, Plakate, Cartoons, Buntstiftbilder, Fakes und Dokumente, der 2018 im Hirnkost-Verlag erschienen ist. „Eingebrannte Bilder“, so nennt Volland seine Unschärfe-Fotos: Willy Brandts Kniefall in Warschau, der tote Uwe Barschel in der Badewanne, das bekannte Porträtfoto von Anne Frank – viele dieser Motive sind zur Chiffre geronnen, werden den Betrachtern auch deshalb bewusst entfremdet.
Einfache Frage, wieso die Abkehr vom Agitprop, von Spiel und Ironie, wieso die nächste Wandlung? Lange nach studentenbewegten Zeiten reproduziert er ikonische Fotografien als Unschärfezeichnungen, spekuliert darauf, dass im Zuschauerkopf ein Re- und Dekonstruktionsprozess, auch ein Lerneffekt stattfindet. Daneben Buntstifte. Einfache Antwort: „Gab keine Abnehmer mehr.“
Volland setzt auf Aussagen, manche nicht besonders schwer zu entschlüsseln. Und es nimmt ihn, auch wenn er das überhaupt nicht zeigen will, hart mit, dass er jetzt Plakate im Café am Eck aufhängt. Immerhin kommen Leute und erinnern sich an alte Drucke über ihren studentenbewegten Nachtlagern. Der Galerist aber will ihn nicht auf einer Kunstmesse ausstellen, mehr noch, er lässt ihn stehen mit Worten wie kleinen Messerchen, die schneiden und ritzen am Narbengewebe: „Du hast dreißig Jahre den Kunstbetrieb ignoriert und jetzt willst du ihn aufrollen? Da fehlt mir die Verlässlichkeit!“ Ernst Volland macht eine Handbewegung. Erzählt schnell, dass man als Künstler halt ein Label kreieren und verfolgen müsse, sonst würde das nichts.
Und dann kommt der Punkt im Gespräch, an dem das Atelier – das lange schon zu flackern scheint – abhebt, sich geräuschlos mehrfach um offensichtlich schräg verbaute Achsen dreht. Eine Erklärung ist es, die alles zusammenfassen soll, aber Farben in die Luft wirft, Kataloge, Ausrisse, Gläser, Anekdoten. Dazwischen Sonnenstrahlen wie Heugarben, die vielen Versuche, sich vom Staeck-Richter-Polke-Business abheben, aber doch gerne etwas von ihrem Erfolg haben zu wollen. Buntstifte und Krokoleder wirbeln hindurch: Volland hebt an zu etwas, das wie ein Generalschlüssel für allerlei Lebenssituationen aussieht, Brustton: „Ich bin als politischer Künstler verfemt.“
Das ist eine zu einfache und zugleich zu komplizierte Antwort für ein Ende. Volland, der mit bewunderungswürdiger Sturheit an seiner Unabhängigkeit festhält, kann das wissen. Kann Banalisierung und Konsumkultur kritisieren, aber auch wissen, dass all die linksalternativen Mühen seit den 1960ern genau diese beförderten. Dass der breite Mahlstrom Kapitalismus manche wie Treibholz am Rand hinterlässt, auch wenn die sich eben noch weit oben mit breiter Männerbrust auf tosenden Wellen wähnten. Die um ihre Existenz kämpfen müssen, weil alte Milieus und Netzwerke verschwunden sind, auch wenn sie gerade noch mit „bedeutenden Persönlichkeiten“ (Volland sagt so etwas gerne) speisten. In Randlage haben sie dann gute Sicht darauf, dass die meisten Gefährten ihren antibürgerlichen Furor verstauten, selbst Neubürgerliche wurden. Vielleicht Mauern umtänzelten. Weniger Narben sammelten.
Es ist eine Weile still, das Atelier renkt sich ein. „Dann hätten wir wohl alles besprochen“, echte Freude über den Besuch in Vollands Gesicht, bisschen Marketing trotzdem noch: Der Reporter soll unbedingt erinnern, dass er nicht bitter, jammerig wirken will. „Entschlossen, ja? Mutig, ja?“ Ruft’s durch Treppenhaus und Steglitzer Ruhe, „und beim nächsten Mal gibt’s Wein“.
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