Nach seinem Bilde

Fotografie Gordon Parks’ Bilder von Muhammad Ali zeigen die Boxlegende fast so, wie er sich selbst sehen wollte
Ausgabe 05/2020

Sport ist eine paradoxe Feier. Ein monomanes Ereignis, ein Rausch von Ausgelassenheit und Kommerz, ein Verschmelzen zu Gemeinschaft und Gegnerschaft. Ein Bilderreigen, der an soziale Konventionen gebunden ist und in seinen besten Momenten über sie hinaustritt. Der Zufall als dramatischer Akt wird bekämpft und beklatscht. Heben Sportler das Vorhersehbare auf, gewinnt ein Underdog; übersteht, sagen wir, die Fußballnationalmannschaft Islands – Menschen, die verstreut auf einer Insel aus Vulkanen, Fisch und Schnee wohnen – die Vorrunde einer Weltmeisterschaft, ist das eine weltweit beachtete Nachricht. Von den Rängen werden Grenzen besungen und ihre Suspendierung bejubelt. Dass Rekorde gebrochen werden, ist die Erwartung von Zuschauern und Trainingsziel der Athleten. Gelingt es, wächst Sportlern Heldenstatus zu. In den USA wurde Sport nach dem Zweiten Weltkrieg zur Religion. Damit öffnete sich auch eine Tür zur sozialen Relevanz.

Heroen wurden oft zu Clowns

Wenige Disziplinen boten Zufall und Heroik, sozialem Aufstieg und Fall eine größere Bühne als das Boxen. Der Kulturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht hat im Boxer der 1920er ein Emblem der Modernität gesehen, „aufgrund seiner Konzentriertheit, seiner Sachlichkeit und seiner Professionalität“. Der Blick gilt einer einzelnen Person, schwitzende Archaik, dem zivilisierenden Regelwerk, Schmerz und Taktik, daneben lauert die Möglichkeit, selbst übermächtige Gegner mit einem „lucky punch“ zu besiegen. Die aufgeregte Begleitung durch Radio, Zeitung, Fernsehen verlieh Boxern eine mythische Aura, sie wurden „größer als das Leben selbst“. Und fielen im nächsten Moment in sich zusammen, entsprachen privat gesellschaftlichen Konventionen, regredierten nach dem Ende ihrer Laufbahn zu traurigen Clowns, zum Zerrbild des ungebildeten Wilden, der mit Rauschmitteln nicht umgehen kann. Bis Muhammad Ali kam.

Kein Athlet hatte eine größere ästhetische, psychologische, vielleicht wirtschaftliche, auf jeden Fall aber politische Wirkung. Dafür boten die 1970er den fruchtbaren Grund, aber vor allem tänzelte ein schwarzer Sportler seinen Ali-Shuffle darauf: Mit spielerischen, lautmalerischen, exzentrischen Gesten veränderte er die kulturelle Gemengelage. Ali war auch konzentriert und sachlich, aber er wurde mit Poesie und Tanz, den gesenkten Fäusten im Ring, dem Aufbegehren gegen sportliche und gesellschaftliche Orthodoxie zum Ikonoklasten: Er untergrub soziale Erwartungen an einen Schwarzen. Die New York Times fand ihn vor dem Weltmeisterschaftskampf gegen Sonny Liston 1964 „irritierend selbstbewusst“ und im Nachteil: „Er kann nicht so gut kämpfen wie reden.“

Bald ließ Cassius Clay seinen „Sklavennamen“ zurück, konvertierte zum Islam, verhöhnte Gegner lächelnd, tanzte, reimte und behauptete sich gegen Kritik: „I don’t have to be what you want me to be.“ Und wurde Vorreiter für selbstbestimmte Vertragsverhandlungen als „free agent“, dessen astronomische Vertragssummen ab den 70ern Alltag wurden. Die Stimmung kippte, als er den Einsatz in Vietnam verweigerte, nicht einsah, warum er auf Arme schießen sollte, auf Vietcong, weißen Studenten entgegenhielt: „Meine Feinde sind höchstens Weiße.“

Zugleich arbeitete Ali daran, sein eigener Bildgestalter zu werden, wollte sich nicht mit der passiven Rolle des von anderen Inszenierten begnügen. Und damit sind wir bei dem 30 Jahre älteren Fotografen und Autor Gordon Parks, der Ali 1966 und 1970 für das Life Magazine begleitete. Die Bilderserien markieren eine Phase, in der Alis öffentliche Wahrnehmung zum Problem wurde. Parks’ Texte und die Bilder, die in der Gesamtschau weit über die ausgewählten Fotos der Life-Magazine-Artikel hinausgehen, zeigen einen zugänglichen, lustigen, konzentrierten, sozialen Athleten. Der mit Kindern albert, in der Nation-of-Islam-Gruppe betet. Vor Arbeitern spricht, seine Rolle kennt. Trainiert und wieder trainiert, ruht.

Parks geht geradezu väterlich mit ihm um, vergleicht Ali mit seinem eigenen Sohn, der einberufen wurde. Schilt ihn in loyalen Tonlagen. Arbeitet daran, das öffentliche Bild geradezurücken, komplexe Facetten herauszustreichen, während ringsum mit schlichten Stereotypen gehandelt wird, Medien oder Politiker in einem schwarzen Athleten noch immer vor allem einen Schwarzen sehen wollten. Parks, selbst aus einer bitterarmen Familie, erkannte, dass das weiße Establishment sich von Ali herausgefordert fühlte. Denn Ali leuchtete die Ambivalenz der Moderne in den USA aus: nur langsame Aufhebung der Rassentrennung, Armut, tiefe Risse im zivilisatorischen Firnis, der oft noch so dünn schien wie 50 Jahre zuvor. Parks widmet sich der Kehrseite: wohl schmerzhaft geschwollene, vernarbte Knöchel. Rasch aufeinander folgende Kämpfe forderten ihren Tribut, Alis Legitimität stützt sich noch auf die Kraft seiner Fäuste. Auf einem ikonischen Bild sind sie wieder neu bandagiert, in der Vorbereitung zur nächsten Auseinandersetzung sitzt er in Trainingshose, den nacktem Oberkörper vornübergebeugt, Arme stützen sich, den Kopf gesenkt, vielleicht in stiller Erschöpfung, ein Sisyphus vor dem nächsten Aufstieg.

Wer hätte gedacht, schrieb die Box-Expertin Joyce Carol Oates, „dass Muhammad Alis aufsässige Ablehnung der US-amerikanischen Außenpolitik, ein Akt, der zur Mitte der 1960er geradezu als landesverrätisch galt, im nächsten Jahrzehnt zu einer weitverbreiteten und überaus respektablen politischen Position wurde? Wer hätte gedacht, dass der einsame schwarze Athlet, von einigen Medien geradezu verfemt, sinnbildlich für die ,neue‘ Ära ... stehen würde?“

Parks begleitete Ali durch die paradoxe Feier des Sports, die im älteren Athleten die verblassende Kraft verabscheut. Er verhandelte sensibel zwischen Anteilnahme und Distanz, ästhetischer Klarheit und sozialer Wachheit. Seine Texte und Bilder halfen dabei, aus Muhammad Ali eine Figur werden zu lassen, die sich einfachen Zuschreibungen widersetzen, aus der monomanen Enge des Sportlers heraustreten und in den Raum einer sozialen, politischen Relevanz hinübergleiten konnte. Und die sich, wie Gerald Early in seinem Essay zum Band feststellt, auf diesem Wege derart veränderte, dass sie im öffentlichen Streit darüber, wie sich ein schwarzer Mann öffentlich geben konnte, zentrale Bedeutung erlangte.

Info

Muhammad Ali Gordon Parks Peter W. Kunhardt Jr., Paul Roth, April Watson (Hg.), Steidl 2019, 216 S., 48 €

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