Nomen est Clatura

Debüt Ist „Guter Mann im Mittelfeld“ noch mehr als ein eindrücklicher Roman über den Ceaușescu-Terror?
Ausgabe 47/2015
Nicolae Ceaușescu und seine Frau als Wandgemälde in Bukarest (1987)
Nicolae Ceaușescu und seine Frau als Wandgemälde in Bukarest (1987)

Foto: Bonn-Sequenz/Imago

Zwei Arten gibt es, das Debüt des Autors Andrei Mihailescu zu lesen, eine buchstäbliche und eine metaphorische. Die buchstäbliche geht so: 1965 in Bukarest geboren, kam Mihailescu 1981 in die Schweiz. Mit seinem Protagonisten Stefan Irimescu kehrt er zurück nach Rumänien: Sommer 1980, Ceaușescu-Jahre. Am Anfang steht Stefan gründlich verprügelt in einem Bus und schaut sich um. Die Fahrgäste „wirkten irgendwie vergiftet, obwohl sie in den letzten Tagen bestimmt ihr normales Leben geführt hatten. Ihre Alltagssorgen bedrücken diese Menschen nicht weniger als mich die Angst, wieder verhaftet zu werden.“

Guter Mann im Mittelfeld beschreibt also den Alltag in der Ceaușescu-Diktatur. Das gelingt eindrucksvoll in den Episoden um die Hauptfigur Stefan, Journalist einer linientreuen Zeitung, dessen Alltag zerfällt. Stefan verliebt sich in die Architektin Raluca. Sie ist die privilegierte Frau eines hohen Parteikaders. Geschildert wird das repressive Rumänien der frühen 1980er Jahre mit diesen beiden Hauptfiguren: einmal mit dem Journalisten Stefan, der sich gegenüber Staat und Partei zunehmend unbeliebt macht. Andererseits mit Raluca. Beide eint eine überraschende, auch irritierende Naivität: Stefan und Raluca sind verblüfft, wie wenig das System, in dem sie leben, mit der schönen Propaganda zu tun hat. Wenn beide dann ein Leben suchen, wo Worte noch Bedeutung haben, dann wirkt das wieder naiv.

Auf einem Familienfest degradiert der Parteikader Ilie seine Frau zur Empfangsdame, eingeladen ist sein provinzieller Clan: „Raluca schäumt innerlich vor Wut, je mehr sie darüber nachdenkt. Warum können sie nicht für einmal vergessen, dass sie keine aus Albeni oder Umgebung ist, wie sie alle? Ist es wirklich so schlimm, dass sie ein Universitätsdiplom hat und wie eine Bukaresterin tönt?“ All das müsste Raluca jedoch nicht überraschen. „Die ganze Parteispitze stammt ja vom Land, schon seit den Anfängen.“ Oft drängt es den Erzähler ins Geschehen, holprig wirft er seinen Urteilen dann ein literarisches Gewand über.

Bedrohlich

In der zweiten möglichen Lesart des Romans muss man das Setting als Metapher verstehen. Der harmlose Stefan gerät in einem grauenvollen System in Schwierigkeiten, der Sicherheitsapparat schnappt zu, er ist eingeschlossen in einer apathischen Gesellschaft. Der Gedanke, dass Journalisten wenig überschauen, ist sympathisch. Zumal in einem System, bei dem sich die innere Bedrohung in Rastlosigkeit übersetzt. Selbst eine Raluca hat wenig Überblick. Sie ist viel zu beschäftigt mit ihren „Projekten“ und dem Versuch, ihrem Mann zu gefallen.

Heute, in postdemokratischen Zeiten, ist der Druck zu Anpassung und Disziplin viel subtiler. Zynisch gesprochen braucht es keine Securitate mehr: Sparziele und freie Mitarbeiterschaft genügen bei steigenden Mieten und wachsender Abwehr gegen intellektuellen Anspruch für Existenzängste. Vielleicht sind die Referenzen in diesem Buch, die über die Ceaușescu-Diktatur hinausweisen, dann aber doch zu dünn.

Es gibt einige Episoden in Guter Mann im Mittelfeld, durch die eine Didaktik schimmert. Inzwischen getrennt von ihrem Mann, lernt Raluca das einfache Leben kennen. Stefans Mutter Ecatarina muss immer aus dem Vorraum der Wohnung die Waschmaschine ins Bad schieben, was mühsam ist. Ein Bekannter montiert ihr Räder unter das Gerät. „In Ilies Umfeld wäre das undenkbar gewesen. Dort war zwar immer wieder von der glorreichen Arbeiterklasse die Rede. Man wusste jedoch, wo man in der Parteihierarchie stand. Es kam nicht in Frage, dass sich ein Bezirksparteisekretär bei einem einfachen Arbeiter auch nur bedankte.“ Hätte sich Raluca lieber mit dem System arrangiert? Kann man solche Szenen ins Heute übertragen?

Andrei Mihailescu konzentriert sich auf den Rahmen, der die Liebe zwischen Raluca und Stefan unmöglich macht. Leider degradiert er seine Protagonisten oft zur Illustration. Weil sie häufig überrascht sind, es aber nicht sein müssten, macht Mihailescu sie klein. Vielleicht ist das aber verzeihlich. Eindrücklich bleibt dieses Debüt in seiner Schilderung von Willkür und Gewalt im dunklen Rumänien der 80er Jahre.

Info

Guter Mann im Mittelfeld Andrei Mihailescu Nagel & Kimche 2015, 352 S., 22,90€.

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