Problemriesen

Essay Jetzt in der Corona-Krise und überhaupt in Demokratien sollen wir Helden brauchen. Lieber nicht
Ausgabe 15/2020

Am Anfang dieses Jahrhunderts meinten Leute noch, wichtige Dinge in krakeliger Schrift an Berliner Hauswänden klären zu müssen. Also prangte da an bröckeligem Altbau im Prenzlauer Berg der Satz „Je mehr Zivilcourage es gibt, desto weniger Helden brauchen wir eines Tages“. Das ist eine ausgebaute Wendung von Bert Brechts Grundsatzübung aus dem Leben des Galilei, der tritt nämlich nach Regieanweisung „aus dem Hintergrund“ hinzu und verbessert: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“

Damals blieb der allgemeine Systemfail des Jahres 2000 aus, die erfolgreichsten Filme waren Mission Impossible 2 und Gladiator. X-Men folgte mit Abstand. Klassisches Heroen-Alltagsgeschäft, Faustkampf, Schweiß, Weltrettung, männliche Erzählmuster. Sport als Produktionsschema von Helden erklomm neue kommerzielle Höhen, disziplinierte, auf Hochleistungen getrimmte Körper, deren Taten nicht im Verdacht sozialer Konsequenzen standen. Vor allem war der Held der frühen zweitausender Jahre als Projektion eine Figur des Eskapismus, sein Zuhause in der Gesellschaft zunehmender Singularitäten wurde unklarer. Und er musste sich für das Besondere immer stärker anstrengen: Die große Erzählung der Gemeinsamkeit einer industriellen Moderne als Spielfläche für die exzeptionelle Tat war zerbrochen.

In der Spätmoderne wollte sich längst jeder robuste Individualisierung und Besonderung selbst beweisen. Gleichsam Pflichtprogramm wurde, außergewöhnliche Abenteuer nachzuahmen und auf wechselnden Internetplattformen vorzuzeigen. Allerdings waren sich sowohl die Ballermann-Saufrunde, der Neckermann-Katalogreisende als au ch die Bali-Yoga-Fraktion klar darüber, dass sie nach der Rückkehr wieder eine durchgekärcherte Tagesordnung der liberalen Demokratie vor sich haben würden. Und die bewältigte man mit dem Drogenrausch am Wochenende oder vollkommener Selbstaufgabe, also mit Jogginghose auf der Couch und Blick auf den Carport in der Einfahrt.

Opferwillen? Achselzucken

Die Unbehaustheit des Helden zeigte sich auch, als die taz – öfter die gedruckte Version von Hanswandparolen – begann, ihren Alltagshelden-Preis auszuschreiben; so ruhige Zeiten schienen es, dass sogar gefühlslinke Publikationen einer im Grunde reaktionären Erzählung hinterherlaufen konnten. Postheroismus haben Theoretiker all das genannt, also Epoche und Region, in der die Opferbereitschaft auch wegen offensichtlicher Sinnlosigkeit zum Beispiel gegenüber hochgezüchteter Kriegstechnik gegen null sinkt. Noch heute scheitert selbst Terry Eagleton bei seinem Versuch, das Sacrificium irgendwie marxistisch, vor allem aber eschatologisch als Teil einer „Befreiung“ aufzuladen. Sicher ist, dass es Helden nicht ohne Opferwillen gibt, aber auch, dass der tragische Held, bereit, sich selbst symbolisch zu opfern, eine fremde Figur blieb.

Allerdings verflog zwischendurch die Ruhe abrupt, der Anschlag auf das World Trade Center markierte das Ende einer grandiosen politischen Selbstüberschätzung, die von einem endgültigen, globalen Sieg der liberalen Demokratie und stabilen Handelsbeziehungen geträumt hatte. Seitdem ist Krise, wenn nicht hier, dann eben auf dem Sonnendeck, also dort, wo wir eigentlich Urlaub machen wollten, oder im Maschinenraum, wo unsere Kleider vernäht und unsere Rechner zusammengeschraubt werden.

Politiker wie George W. Bush und Wladimir Putin traten auf, breitbeinige Typen, mit schlichten Kopien der carlschmittschen Weltvorstellung von Freund und Feind bewehrt, jedenfalls gewillt, die gesellschaftlichen Freiheiten mit Verweis auf äußere Bedrohung zusammenzuknüppeln. Nur die Handelsbeziehungen sollten nicht beschädigt werden.

Kurzfristig also war der Held weniger unbehaust, er trug die Uniform des NYPD, Tarnfleck oder Feuerwehrhelme, verrichtete schwere handwerkliche Tätigkeiten, die den Alltag bewahren und auf den Notfall reagieren sollten. Bald aber zeigte sich im Angesicht der nächsten Krisen auch die Begrenztheit heroischen Wirkens: Schon gegen die rabiate Selbstbereicherung von Banken, die zum Schluckauf ab 2008 führte, den Zusammenbruch der griechischen Staatsfinanzen, oder die Aufnahmekrise, mit der ein weitgehend desinteressiertes Europa auf Geflüchtete reagierte, schienen Helden machtlos und traten in den Hintergrund. Sicherlich haben Menschen Stofftiere gespendet und Butterbrote geschmiert, aber auf so massenhafte oder systemische Phänomene gibt es keine heroische Antwort – Angela Merkels „Wir schaffen das“ nach Jahren der Ignoranz gegenüber den offensichtlichen Problemen, die zur Flucht geführt hatte, genügt kaum als heroischer Akt.

All das kann man anders sehen, wie man einem Buch von Dieter Thomä entnehmen kann. Gegen Heros-Skepsis gewandt, macht schon sein kontraintuitiver Titel gute PR: Warum Demokratien Helden brauchen argumentiert für den appellativen Charakter, Lenin hätte das als Avantgarde-Masse-Beziehung umrissen. Also, Held erzeugt Einsicht und Nachahmung: „Ein Held ist genau dann ein demokratischer Held – oder einer von uns –, wenn er uns zu jenem Vergleich anregt und anstiftet. (…) Über die elementare Fähigkeit, zu handeln und loszulegen, verfügen auch wir, wenn wir nur Menschen sind. Bloß lassen wir diese Fähigkeit im Alltag verkümmern, während Helden die Gelegenheit am Schopf ergreifen, ihre Handlungsfähigkeit entfalten und ihren Tatendurst löschen. Demokratische Helden stoßen uns darauf, dass auch wir bei Gelegenheit so sein können wie sie. Ein Anfang ist gemacht, wenn wir spüren, wie das geht: Aufstehen, Aufbrechen, Anzetteln.“

Thomä übersieht, dass auch Attentäter wie der von Oslo und Utøya, aus dem Bataclan, vom NSU, in Christchurch, Hanau oder bei den periodischen Amokläufen in den USA genau diese Propaganda der Tat im Sinn haben. Und er geht kurioserweise davon aus, dass das Demokratische tief in uns verwachsen ist und der Held Dinge in diese Richtung vorantreibe. Die offen antidemokratische Haltung von AfD-Wählern nimmt er nicht zur Kenntnis, auch nicht, dass Unterstützer von Viktor Orbán, PiS, Trump, Bolsonaro, Erdoğan und etlicher mehr dazu süffisant grinsen: Gerade rechte Ideologen bemühen gerne das Heros-Prinzip als Avantgarde-Formel. Zudem bedienen sie sich aus dem Instrumentenkasten der Identitätspolitik, stellen sich als benachteiligt, ausgegrenzt und zurückgesetzt dar und schaffen es sogar, über die Opferidentität moralische Ressourcen zu mobilisieren.

Greta Thunberg

Progressiven Figuren wird Heldenstatus nur von halb ernsten Medien zugeschrieben: Greta Thunberg etwa wächst als couragierte Demonstrationsführerin höchstens die Rolle zu, mit Blick auf offensichtliche Umstände junge Menschen am Freitag zu versammeln. Ob ihre Reden vor Politikern anders wahrgenommen werden als exotische, vergnügliche Ausnahmen, ist noch unklar. Den Klimawandel wird Thunberg nicht verhindern. Aber sie lässt uns einen Blick darauf werfen, dass die Erzählung, nach der unsere Probleme privat seien und durch beherzte Taten lösbar wären, nur mythopoetischer Teil einer Propaganda ist, die uns ein ruhiges Gewissen verspricht. Und wenn wir diesen Erzählungen deshalb gerne folgen: Das Narrativ der heroischen Tat, hat die gerne bewegungspathetische Aktivistin Rebecca Solnit in einem Essay erkannt, „schützt den Stillstand, indem es sich an Ungleichheit gewöhnt, Armut oder Umweltverschmutzung. Unsere größten Probleme werden nicht von Helden gelöst. Sie werden, wenn überhaupt, von Bewegungen, Koalitionen, der Zivilgesellschaft gelöst.“ Heldengesänge bieten also Raum zur Kompensation für unsere Faulheit, Heroen sollen an unserer statt die Dinge wuppen. Denn wir schaffen es kaum, unseren Lebensstil zu ändern und schauen nach der Freitagsdemonstration schnell noch bei Zara oder Primark vorbei.

Genauer und umfangreicher diskutiert der Soziologe Ulrich Bröckling in einem vergnüglich zu lesenden Bändchen die verschiedenen Spielarten und -felder des Heros. Einerseits weist er in Postheroische Helden auf den Fortbestand seiner Entertainment-Funktion hin, auch auf die hierarchische Disposition, die Helden insgesamt ausmacht. Das erklärt vielleicht den Reiz der dramaturgisch schlichten Avengers-Filme, die unter den finanziell erfolgreichsten Filmen der letzten Dekade die Ränge 1,3,6 und 9 einnehmen.

Aber Bröckling diskutiert auch die Heroisierung der Alltagshelden als „Problemanzeiger“. Und spätestens da kommt Sars-Cov-19 ins Spiel. Auch gegen eine Pandemie hat die einzelne Tat wenig Wert, auch hier braucht es einen Staat, ein Gesundheitssystem, politische Direktive. Während staatliches Handeln und Austeritätspolitik gerade scharf beleuchtet werden, bekommen die Gesänge über Alltagshelden einen muffigen Geschmack. Er kann zudem kaum noch den Rückbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen überdecken. Nicht wenige Krankenschwestern haben vielleicht deshalb gebeten, sich den Abendapplaus dorthin zu stecken, wo die Sonne niemals scheint. Bröckling schaut immer wieder auf die Funktion solcher Riten, Heldenzuschreibungen, die von anschmeißigen Politikern, Springerpresse, aber auch tatsächlichen Journalisten, überraschend gern gedichtet werden: „Sozialheldinnen und Sozialhelden braucht es dort, wo es den organisierten Hilfesystemen an Geld und Personal fehlt oder sie in anderer Weise defizient sind. Was das Amt nicht zuwege bringt, soll das Ehrenamt kompensieren. Symbolische Gratifikation erspart angemessene Bezahlung.“

Wenn sich Heldengesänge jetzt zu Alltagsfiguren hinunterbeugen, bleiben sie gegenüber dem Alltag struktureller Ungerechtigkeit oder Ausbeutung blind. Die Zuschreibung des Heroischen hinter Supermarktkasse und im Krankenschwesterkittel ist nett gemeint und dient kurz dazu, das Pathos einer niederschwelligen Gemeinsamkeit aufzuwärmen. Dann wenden sich alle wieder ihrer eigenen Exzeptionalität zu.

Info

Postheroische Helden. Ein Zeitbild Ulrich Bröckling Suhrkamp 2020, 277 S., 25 €

Opfer. Selbsthingabe und Befreiung Terry Eagleton Promedia 2020, 176 S., 19,90 €

Warum Demokratien Helden brauchen Dieter Thomä Ullstein 2019, 272 S., 20 €

12 Monate für € 126 statt € 168

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