Energiekrise, Pandemie, Klimakatastrophe: Die warenproduzierende, wachstumsorientierte Wirtschaftsform zerstört Lebensgrundlagen, beutet Menschen und Umwelt aus, produziert hohe Renditen und grassierende Armut. Nicht neu, auch nicht, dass es darauf kaum eine politische, intellektuelle Antwort von Linken gibt. Die politische Mitte versucht, Krisen von Wirtschaft und Gesellschaft zu moderieren, Rechte präsentieren einfache Antworten, fordern Abschottung, militarisieren Verteilungskonflikte, wollen Elendsgrenzen bewehren. Etliche Linke sind davon nicht mehr weit entfernt.
Es gibt keine politische Partei, der man abnehmen könnte, eine emanzipatorische Alternative zum Kapitalismus glaubhaft zu vertreten – und in ein politisches System überführen zu wollen. Eine Per
. Eine Person, die viel zu diesem Mangel bei den Linken beigetragen hat, ist Sahra Wagenknecht. Und damit sind wir beim Artikel Christian Barons, in dem er die Linkspartei-Politikerin verteidigt (der Freitag 40/2022).Baron hält Sahra Wagenknecht für die beliebteste Linke im Land und in der Partei für ihre „fundamentaloppositionelle Strategie“ meistgehasst. Der erste Listenplatz der NRW-Linken sichert Wagenknechts Bundestagsmandat ab, ihre Wahlkreise Dortmund und Düsseldorf hat sie nie gewonnen. Als Kommunistische-Plattform-Sprecherin grübelte sie über eine „positive Haltung“ zum Stalinismus, ansonsten sind da viele „Hartz-IV-muss-weg“-Parolen. Ihre Zeit im Vorstand von Partei und Bundestagsfraktion waren weniger geprägt von glänzenden politischen Entwürfen als von kleingeistigen Streitereien, Eitelkeiten. Strategisch an ihrer Haltung war, dass sie ihre Partei darauf verpflichten wollte, in einer betonierten Oppositionsrolle zu verharren.Nun gibt es gegen Opposition nichts zu sagen – außer vielleicht, dass Haltung und Argumentationsmuster der Linken strukturell oft der AfD vorausgriff. Das Muster funktioniert nach einer ähnlichen Dichotomie: Die da oben = dumm & korrupt. Wir hier = urschlau & das Volk. Die Linkspartei und ihre Vorgängerinnen haben damit vor allem Menschen in Ostdeutschland angesprochen. Die sahen sich der DDR und ihrer Möglichkeiten darin beraubt, kamen im Neoliberalismus der 1990er-Jahre unter die Räder. Die neue Bundesrepublik zeigte sich oft als arrogante Gesellschaft, nicht selten rassistisch: Viele im Westen bliesen ihren vermeintlichen Leistungsbegriff zum Popanz auf, der die eigenen Privilegien verdecken sollten. Sie schauten nach Osten, wenn sie hinabblicken wollten. Viele im Osten spiegelten diese Arroganz: Ostdeutsche als eine Neo-Ethnie, anders, schlimm unterdrückt. Der Rassismus, wenn nicht schon da, wuchs dann von alleine.Empörung, nicht PolitikSahra Wagenknechts Linke wollte diese Menschen „vertreten“, also Entrüstung, Empörung und Enttäuschung organisieren, um ihre Stimmen zu bekommen. Was sie genau damit wollte, blieb unklar: Wer für Zusammenarbeit mit anderen Parteien an Sachfragen unempfindlich ist, sie hintertreibt, kann schlecht für sich in Anspruch nehmen, Interessen zu vertreten.Seit sich immer mehr Parteimitglieder von dieser Haltung abwendeten, politische Krisen, wie die Emanzipation von Geschlechterrollen, die Klimakatastrophe und die geänderte internationale Lage in den Blick rücken wollen, eskalieren die inneren Konflikte. Wagenknechts Versuch, französische Gelbwestenproteste zu übersetzen („Aufstehen“), sollte Kohorten für ihre Linie mobilisieren, gegen andere Positionen in der Partei. Sie gegen „Linksliberale“ stärken. Das offenbart eine mechanische Weltwahrnehmung: Da, wo Protest ist, ist unten, sind wir, müsste was für uns zu holen sein.Wie fest so ein mechanistisches Bild sein kann, zeigt sich auch anderswo: Im Weltbild vieler Linker trägt der Begriff des Imperialismus die Farben der US-Fahne. Dass ein post-sowjetisches Russland einen imperialen Feldzug führt, zu imperialen Bestrebungen neigt, kann nicht sein. „Wir können“, meinte eine bekannte Politikerin der Linken im Februar, „heilfroh sein, dass der Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird, nämlich ein durchgeknallter russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben. Wenn das so wäre, wäre Diplomatie hoffnungslos verloren.“ Die das sagte, war Sahra Wagenknecht.Ähnlich zu ihrer Haltung forderten Linke die damals noch unzerstörte Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen. Nur so könnten es Ärmere im Winter warm haben. Als weigere sich Wirtschaftsminister Robert Habeck, die Ventile zu öffnen.Das ist eine kuriose Idee: Sicherung, wenn nicht Rückkehr zu einer dauerhaft günstigen Versorgung mit fossiler Energie aus Russland. Lassen wir kurz die Ausbeutungsverhältnisse dieses Wirtschaftsmodells unbeachtet, die Klimakatastrophe könnte anzeigen, dass die Lebensspanne dieser Art zu wirtschaften abgelaufen ist. Aber auf die Ressource Zeit zu bauen und über eine Verlängerung des Status quo politischen Raum zu erkämpfen, funktioniert nicht mehr. Die Klimakatastrophe entwertet diesen Raum, wenn dabei das alte Wirtschaftsmodell weiterläuft.Wagenknechts Linke haben auch ein Problem, moralische Wirkung einzuordnen. Sie unterscheiden lieber mit düsterem Furor zwischen Gut und Böse, links und linksliberal. Konkrete Politik spielt keine Rolle dabei: Nachdem sie sich von ihrer Februareinschätzung erholt hatte, forderte Wagenknecht, „den Konflikt einzufrieren“ und, Überraschung, zur Diplomatie zu greifen.Kurz darauf veranlasste Wladimir Putin die Teilmobilmachung. Kälte verströmt höchstens ihre Empathielosigkeit zur Ukraine. Während Ortsnamen wie Butscha und Irpin längst für das Grauen eines Vernichtungskrieges stehen, ahnen manche Linke offensichtlich nicht, wie moralisch deplatziert es wirkt, wenn eine Politikerin wie Wagenknecht Vorschläge unterbreitet, auf dass es daheim behaglicher werde. Weit über die Ukraine hinaus wird die Haltung, mit dem Aggressor Geschäfte zu machen, als unmoralisch verstanden. Dass Wagenknechts Parteifreund Dieter Dehm Teile des Massakers von Butscha für ukrainische Inszenierungen hält, etliche Linke herumlaufen und „aber die Nato, aber die Nato“ krakeelen, ist dramatisch verrutschte Folklore. Wagenknechts Gegenerzählung zur Aggressionsfolge, die deutsche Regierung habe einen Wirtschaftskrieg gegen Russland „vom Zaun gebrochen“, passt da hinein. Schwach erinnern wir uns, dass sie sich schon früher von einem linken Universalismus abwendete, Grenzen für Flüchtlinge und Einwanderer schließen lassen wollte, um Arbeiter*innen in Deutschland zu schützen. Forderungen nach der Auflösung der Nato zeigen, wie wenig Teile der Partei bereit sind, sich der Gegenwart zuzuwenden. Dafür, sich nicht um Realisierbarkeit ihrer Ideen zu mühen, steht Sahra Wagenknecht. Für Menschen in täglichen Existenzkämpfen, kommentierte der Jacobin, sei die naheliegendste Strategie zum Umgang mit Ausbeutung eine individualistische: „Eine Kultur der Solidarität stellt sich nicht von selbst ein, sie muss immer wieder neu geschaffen werden – durch eine Linke, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt als Wert propagiert.“ Diese Entwürfe müssten konkret sein, dürften Wünschenswertes nicht einfach aufzählen. Dazu gehört ein moralisches Verständnis. Und auch, mal den Mund zu halten.
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