Schorndorf als Sinnbild

Medien Warum ein Vorfall auf einem Volksfest zum Skandal aufgepumpt wird und ein Axtangriff keine Nachricht wert ist
Ausgabe 30/2017
Mit der Entfernung steigt die Drastik. Maximilian Krah lebt 480 km von Schorndorf entfernt
Mit der Entfernung steigt die Drastik. Maximilian Krah lebt 480 km von Schorndorf entfernt

Foto: Sven Ellger/Imago

Es gibt Strukturprinzipien in der deutschen Presse, stellt eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung fest. Journalisten machen Polit-PR. Sie reden am liebsten mit Bundespolitikern, recherchieren wenig und eher nicht auf unteren Ebenen, besuchen selten Betroffene, belehren Ossis von oben herab. Die Studie untersucht die Berichte über die angebliche „Flüchtlingskrise“ von 2015. Sie findet viel Meinung, wenig Information.

Es gibt ein Strukturprinzip bei Maximilian Krah. Er stellt sich im Netz als Deutscher vor, dann als Anwalt und Unternehmer, der in Dresden lebt. Krah bloggt, twittert, videobotschaftet, ist von der CDU zur AfD gewechselt, netzwerkt kräftig zwischen beiden, schätzt Papst Benedikt und Carl Schmitt. Das Strukturprinzip ist, dass er ganz offensichtlich gewaltiges Unheil heraufziehen sieht, durch Zuwanderer, offene Grenzen und Angela Merkel. Man meint, Oswald Spenglers „metaphysische Angst vor der Auflösung des Greifbar-Sinnlichen und Gegenwärtigen“ tropfe aus dem, was Krah so sagt. Maximilian Krah ist ein kleiner Filter einer AfD-Blase. Ihm folgen 5.724 Menschen.

Es gibt ein Strukturprinzip bei Volksfesten – Menschen trinken, verlieren ihre zivilisatorische Fassung. Manche verlieren zu viel davon. Seit Ende 2016 gibt es dafür wenigstens einen eigenen Straftatbestand, §184i StGB Sexuelle Belästigung. Vorher fiel das bloß ins Kapitel Beleidigung.

Auftritt Boris Palmer. Man muss zu ihm sagen, dass er im Remstal aufwuchs, und, weil es Missverständnisse geben könnte, dass er Politiker der Grünen ist. Er facebooked: „Mir völlig unbekannte Gewalt und Übergriffe ... Und wieder sehr junge Asylbewerber mitten drin.“ Da läuft das Volksfest in Schorndorf noch, ein ruhiger Sonntag, erzählen viele, die tatsächlich dabei waren. Die meisten fanden die Rangeleien aus der Nacht unerheblich. Palmer ist 73,4 Kilometer entfernt, Krah 480. Mit der Entfernung steigt die Drastik, Krah twittert: „1.000 Migranten randalieren, ziehen in Gruppen von 30-50 durch Kleinstadt, belästigen Frauen.“ Ein weiteres Strukturprinzip: Wenn auf einem Volksfest ein Glas Bier umfällt, nach §184i StGB Belangbares passiert, irgendjemand meint, Asylbewerber (sicherer: Muslime) seien dabei gewesen, meldet sich naturgemäß: Jens Spahn. Also die Bundespolitik, der Journalisten so gerne hinterherlaufen.

Upgrade zur Randalenacht

Schorndorf sei Sinnbild, sagt Spahn. Er meint nicht, dass es für ungenaue Pressemitteilungen der Polizei („1.000 Jugendliche und junge Erwachsene. Bei einem großen Teil handelte es sich wohl um Personen mit Migrationshintergrund“) stünde, nicht dafür, dass die dpa sie zu 1.000 Randalierern upgradete und man den Eindruck hatte, es seien alles Asylsuchende. Sondern dafür, dass die deutsche Gesellschaft Gefahr laufe, „antisemitischer, schwulenfeindlicher, machohafter und gewaltaffiner zu werden“. Die Nachricht, eigentlich ein Problem von Männlichkeit auf Volksfesten, in Schorndorf Randnotiz, pumpten Palmer und Spahn zum bundespolitischen Skandal auf. Vor jedem Gerichtsverfahren kennen sie Schuldige: junge, männliche Einwanderer. Sie agieren wie Krah, nur dass sie weit mehr Follower haben. Später recherchieren ein paar Journalisten vor Ort.

Anfang Juli greift in Oranienburg ein Mann in der Berliner Straße Ecke Adolf-Dechert-Straße mit einer Spaltaxt Passanten an. Er beschädigt Schilder, soll „Heil Hitler“ gerufen haben, attackiert Polizisten. Reizgas und körperliche Gewalt waren nötig. Kurze Meldungen in Lokalzeitungen. Krah, Palmer, Spahn, anybody?

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