Es gibt Tage, da schlägt einem die Stadt schon am Montagmorgen aufs Gemüt: In der Nacht ist einem wohl jemand ins Fahrrad gelatscht; also in die Tram steigen, die ist kurz nach neun bumsvoll mit Kinderwagen und Touristentrupps, die sich das Wochenende im superhippen Berlin gegegeben haben. Dazwischen wollen noch ein paar zur Arbeit, und dann lässt man die Frau am Fahrkartenautomaten vor, denn man muss sowieso gleich umsteigen zur Pressekonferenz im KW Institute for Contemporary Art. Stadt / Bild (Image of a City) heißt die Ausstellung, bei der außerdem die Berlinische Galerie, die Deutsche Bank KunstHalle und die Nationalgalerie mitmachen.
Weiter vorn verzweifeln Touristen am Automaten. Wo haben sie nur die absurde Idee her, ihr Ticket mit Bankkarte bezahlen zu wollen? Kevin Lynch, Stadtplaner und Theoretiker, hat in seinem Buch Das Bild der Stadt (1960) festgestellt, dass Bewohner einer Stadt eine visuelle Ordnung erstellen, kognitive Karten entwickeln. Von diesem Gedanken geht auch Stadt / Bild aus. Berlin kurz nach neun jedenfalls ist die Stadt derer, die an Kleingeld glauben.
Weil es weiter hakt, müssen wir das Ticket in der nächsten Tram kaufen. „Schöne Idee“, sagt der Fahrkartenkontrolleur am Umsteigepunkt, „nur können Sie das nicht belegen!“ Bis hierher also kostet der Montagmorgen 60 Euro, da laufen wir doch lieber direkt zum KW, rennen, kommen verschwitzt an, Pressekonferenz im dritten Stock, lauter frisch geduschte Künstlermenschen. „So, wenn Sie noch Fragen haben“, sagt die Moderatorin gerade. Derart gut eingestimmt also hinunter zu den Werken, Welcome to the Jungle heißt dieser Teil der Schau. Hinter dem Kellereingang warten ein paar Pappfiguren, ein paar lebende Figuren, einige im Schaumbad, irgendwie Mitte, irgendwie hip, irgendwie Oberlippenbart.
Dann öffnet sich der ordentlich vollgestellte Hauptraum der Ausstellung, und man denkt daran, wie der Songtext von Guns N’ Roses weitergeht, „… we’ve got fun and games / We got everything you want honey, we know the names.“ Thema getroffen, es geht wohl weniger um die Qualität der Werke als um fun and games und Dabeisein: Die Videos changieren zwischen illustrativ bis banal, manchmal tauchen Häuserlandschaften auf. Einzig Peter Pillers lustige Bilderserie von Männern vor Löchern und die Fotoserie Roundabout Monuments in the UAE machen Laune.
In seinem Essay Die Kunst und das gute Leben (Suhrkamp 2015) beschreibt Hanno Rauterberg die Rolle von Kunst und Künstler im postindustriellen Kapitalismus in zwei Bewegungen, die sich zu einer „Normalisierung der Kunst“ gefügt haben. Einerseits werfen sich Künstler, Architekten, Kuratoren zahlungskräftigen Sammlern und Unternehmen an den Hals, andererseits hat der Markt Widerständigkeit und ästhetische Rebellion als vermarktungsfähiges Gut eines „Authentizitätsreservoirs“ eingemeindet.
Mit diesem Gedanken setzt man sich in den Bus, der das Feigenblatt auf dem Gemächt der Deutschen Bank ansteuert. Und jetzt passiert etwas Überraschendes – in der KunstHalle steht die übersichtliche, aber genaue und außerdem politische Ausstellung Xenopolis. Vor allem der gut gedrehte, beinahe meditative Film Sounds of Blikkiesdorp ist eine Wucht: ein spröder Dokumentarfilm über eine Vertriebenenkolonie weit außerhalb von Kapstadt. Natürlich bedrückt der Film auch – ihn in einer privaten Kunsthalle der wegen Betrugs zuletzt häufig angeklagten Bank zu sehen, bedeutet auch, dass er für die Fernsehsender zu komplex ist. Einfache Bilder ohne Heckmeck und Erklärstimme.
„Ich komme ja aus Berlin“, sagt die junge Frau im Transferbus zum Hamburger Bahnhof, „und hier passiert gerade etwas, das ich nicht verstehe, Berlin fühlt sich einfach nicht mehr wie zu Hause an.“ Mit derart dörflichem Geschmack im Mund steigen wir dann am Hamburger Bahnhof aus – ein Allan-Kaprow-Happening wollen sie hier die Woche über wiederaufleben lassen. 1967 hatte Kaprow aus zwölf Tonnen Eis schmelzende Räume an unterschiedlichen Orten von Los Angeles aufgebaut. Fluids wurde seitdem in vielen Städten wieder aufgeführt. Zur Pressevorführung ließ sich das nicht bewerkstelligen, also verteilt Kurator Udo Kittelmann Wassereis und vertreibt so den Dorfgeschmack.
Die Berlinische Galerie dann wartet mit einem Kunstbegriff auf, der hintersinnig ist und auf die Stadt selbst verweist. Arno Brandlhuber hat eine Aufgabe der Institution aus den Tiefen der Archive ans Licht geholt. Die Katalogisierung von städtebaulichen Modellen, Ausschreibungsergebnissen und die bürokratischen Verfahren werden hier als langes Werkmodell in den Museumsraum gehievt – etliche Regalmeter Akten sind aufgereiht, gut verpackte Architekturmodelle dazu, bevor schließlich ein Arbeitstisch kommt, an dem man beobachten kann, wie die Modelle registriert und digitalisiert werden. Zuschauer können also das ungebaute Berlin beobachten, all den verpassten Chancen nachweinen und entdecken, dass man so viel genauer, eindrücklicher und spannender eine Kunstausstellung bestücken kann.
Info
Stadt / Bild (Image of a City) KW, Hamburger Bahnhof u. a. Berlin, bis 8. November
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