Traumjob Autokrat

Österreich Ist Sebastian Kurz einer wie Viktor Orbán oder Wladimir Putin? Peter Pilz warnt vorm schleichenden Aushebeln der Demokratie
Ausgabe 34/2021
Sicherheit, Ordnung, Durchgreifen und gut gekämmte Schwiegersohn-Attitüde: Sebastian Kurz
Sicherheit, Ordnung, Durchgreifen und gut gekämmte Schwiegersohn-Attitüde: Sebastian Kurz

Foto: Sammy Minkoff/Imago Images

Irgendwie gehört es auch zum Bild der vom Absurden unterspülten Gegenwart, wie sich Peter Pilz nach einer Dreiviertelstunde Telefonat verabschiedet: Er stünde an einem Kärntner See, auch dort hätten sich Menschen mit seinem Buch eingefunden, denen werde er nun den Band signieren, gerne sogar, seine Stimme klingt beschwingt. Das Buch aber: Etwa das genaue Gegenteil von beschwingt, eher nicht Sommerfrische am See. Sondern eine faktensatte Recherche über politische Zustände in Österreich, die volle Kapelle: Parteibuchwirtschaft, Korruptionsverdacht, sinistre Gestalten, politische Steuerung von Polizei und Ermittlungsarbeit, Organisation der Staatsanwaltschaft nach Parteifarbe. In vielem der Versuch der Aufhebung von Gewaltenteilung. Kurz. Ein Regime ist all das überschrieben, zentrale Hypothese: Sebastian Kurz und etliche loyale Spezln der ÖVP folgen einem Plan, um sich in einzelnen Schritten Staat und Medien gefügig zu machen, den Strickmustern von Viktor Orbán und Wladimir Putin ähnlich.

Selbst für jemanden, der gröbere Zusammenhänge und einzelne Skandale mitbekommt, liest sich Pilz’ Blick auf die österreichischen Zustände wie ein Albtraum, der sich noch einmal verfinstert, weil nach der FPÖ die österreichischen Grünen inzwischen bei all dem mitmachen: Nachdem die ÖVP ihre schwarze Parteifarbe ins Türkis kippte, die national-vulgäre Politik der Freiheitlichen übernahm, stützen nun die Grünen sie in der Regierung. Wenn man fragt, wie das sein kann, zögert Peter Pilz das einzige Mal am Telefon, seufzt. „Das ist wirklich schwer zu verstehen.“ Pilz hatte die Partei einst mitgegründet.

Dass Österreich in Europa eine Avantgarde-Rolle bei der Renaissance rechter, anti-etatistischer und Identitätspolitik spielt, wird spätestens seit Jörg Haider politikwissenschaftlich diskutiert. Auch Sebastian Kurz festigt seine Popularität nach außen mit Anti-Einwanderungs-Populismus, dröhnender Verwechselung von Islam und Islamismus, sehr einfach gestrickter Rhetorik über Sicherheit, Ordnung, Durchgreifen. All das inklusive allzeit gut gekämmter Schwiegersohn-Attitüde. Er kann sich auf Boulevardzeitungen wie Kurier und Krone, in Deutschland auf die Speichellecker der Springer-Fraktion verlassen. Der Umstand, dass er einer alten konservativen Staatspartei vorsteht, sie komplett entkernte, lässt ihm eine besondere Rolle zukommen.

Pilz beleuchtet das Innenleben, zitiert aus Ermittlungsakten. Dabei kommt ihm zupass, dass er selbst lange Abgeordneter im Nationalrat – dem Bundesparlament – war und bei der Aufdeckung handfester politischer Skandale mithalf, bizarren Vorgängen wie dem versuchten Versicherungsbetrug beim Versenken des Frachters Lucona im indischen Ozean (sechs Tote; 16 Politiker, Juristen, Spitzenbeamte mussten zurücktreten) oder illegalen österreichischen Waffenlieferungen an die Kriegsparteien Iran und Irak (1989 musste der SPÖ-Innenminister zurücktreten und wurde verurteilt).

Über die Maßen beliebt hat Pilz das nicht gemacht, aus seiner Partei wurde er „hinausgemobbt“, wie der Standard zusammenfasst, „durch eigene Schuld (sexismus-verdächtiges Verhalten), aber auch, weil er manche spüren ließ, dass er sie für Schwachmatiker(innen) hielt.“ Nachdem er 2019 mit seiner eigenen Liste die erneute Wiederwahl ins Parlament verpasste, gründete er die Journalismus-Plattform ZackZack; viele Recherchen, sagt er, könnten in Österreich nur noch hier, abseits der klassischen Medien, veröffentlicht werden.

Im Buch Kurz. Ein Regime bündelt Pilz parlamentarische Einsicht und journalistische Arbeit. Wenn man ihn am Telefon mit theoretischen Einordnungen lockt, antwortet er mit einer Skizze zur ÖVP, die kompromisslos auf Machterhalt und Festigung zielt, ohne politisch-programmatischen Begriff, wohl aber mit hoher Bereitschaft, die Rechtsregeln einer Staatskonstruktion zu unterlaufen. Pilz’ Blick auf die Regierung Kurz, die Art, mit der dieser die Industriebeteiligungen des Staates in eine GmbH mit parteibuchtreuer Leitung überführte, das Wechselspiel aus Investoren und politischen Entscheidungsebenen lassen ihn bei Begriffen wie Oligarchie landen. Putin und Orbán also. Pilz zählt auf, wie großes Geld die Kurz-Ambitionen unterstützt, etwa das des vorbestraften Immobilieninvestors René Benko, das von Siegfried Wolf (unter anderen bei Frank Stronachs Magna-Konzern) oder das des Finanzinvestors Alexander Schütz. „Österreich“, sagt Pilz am Telefon, „ist ein Land am Scheideweg. Wer studieren will, was hier 2022 möglich ist, muss nach Budapest fahren. Was er da sieht, droht uns.“

Mit Schüssel ging es los

Der Vergleich wirkt zunächst ein wenig schlicht. Tatsächlich aber destilliert Pilz aus den österreichischen Vorgängen ein Drehbuch vulgär-populistischer Autokraten: Unterordnung von Nachrichtendiensten, Polizei, Justiz, schließlich der Medien unter spezifische Interessen von Partei und führenden Politiker*innen. Er zeigt Fälle auf, bei denen die Polizei nach politischen Vorstellungen ermittelte, Hausdurchsuchungen wurden an Parteikollegen verraten, Datenauswertungen von Telefonen oder Rechnern so nachlässig organisiert, dass man leicht auf Motivationen schließen kann: Beweismittel gegen ÖVP-Apparatschiks sollten nicht zusammengetragen werden. Verfahren, die dem illegalen Spendensystem der ÖVP und damit Bundeskanzler Kurz nahekamen, wurden von Staatsanwaltschaften und dem Justizministerium abgebogen. Dazu neutralisieren Parteigänger die Parlamente, andere Parteien wirken fahrig, unsortiert, unsexy.

Steckt dahinter eine Dekadenzgeschichte des Konservatismus? Orientiert sich die ÖVP unter Kurz an der illiberalen Demokratie? Sicher ist, dass schon Wolfgang „falls wir Dritter werden, gehen wir in die Opposition“ Schüssel dazu den Weg ebnete – nach den Nationalratswahlen im Oktober 1999 wirklich an dritter Stelle hinter SPÖ und FPÖ, dann mit Haider in der Regierung. Peter Pilz geht es nicht um Theorie, wir lernen wenig darüber, warum Menschen solche Parteien und Politiker*innen wählen, viel aber über spezifische Prozesse, Auseinandersetzungen in Staatsorganen: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft rappelte sich auf, nachdem sie herbe politische Niederlagen über Zuständigkeiten und Besetzungen von Ibiza-Ermittlungs-SOKOs eingefahren hatte, sicherte Beweise, arbeitete Anklagen aus. Gegen ein System, das vom Kanzler ausgeht, das einen Umbau des Staates auch gegen die Verfassung vorantreibt.

Und Pilz schaut über Österreich hinaus, richtet den Blick auf konservative Parteien in Europa: „Die Gefahr des österreichischen Experiments liegt darin, dass die Zustände infektiös sind“, sagt er, „und wenn das autoritäre österreichische Experiment gelingt, dann kann es in einem Nach-Merkel-Deutschland zur Ansteckung kommen.“ An dieser Stelle folgt eine kurze Diskussion, stehen nicht unterschiedlich ausgeprägter Föderalismus in Deutschland dagegen, konservative Milieus, die anders auf einen Adabei wie Sebastian Kurz reagieren würden? Ist die identitäre Haltung von ÖVP-Wähler*innen, denen eigene, dünne Wahlprogramme egal sind, die aber niemals eine andere Partei wählen würden, in Deutschland seltener? Schließlich, die Verantwortung für den Faschismus, in Österreich so gründlich mit dem Gerede vom „ersten Opfer“ wegdelegiert, kurz, der Rezensent ist unsicher, ob er die etwas vollmundig formulierte pandemische Wirkung des „österreichischen Experiments“ teilt.

„Die Stärke des Kurz-Projekts liegt nicht in seinem Führer“, schreibt Pilz im letzten Kapitel. Sebastian Kurz hat er als einen an Sachkenntnis desinteressierten „Kanzlerdarsteller“ umrissen, dem aber bislang weder Bräsigkeit noch ein halbkriminelles Umfeld oder Strafverfahren schadeten. Die Stärke seines Regimes sieht Pilz „in dem Umstand, dass es für viele eine Alternative zum demokratischen Rechtsstaat ist“. Das ist eine Schlussfolgerung mit gewaltigem Hall, vorderhand erzählt sie einiges über Österreich. Die grundsätzliche Haltung ist aber auch in Deutschland verbreitet. Sagts, verabschiedet sich, geht zum See.

Info

Kurz. Ein Regime Peter Pilz Kremayr & Scheriau 2021, 255 S., 24 €

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