Werkschau Wayne Thiebaud ist für seine cremigen Bilder von Eistüten und Kuchentheken bekannt. In Basel ermöglicht eine große Einzelausstellung jetzt den Blick hinter dieses Sahnehäubchen
Es gibt so viele Gründe, in Museen zu gehen. Um Werke zu bestaunen, die einen aus unruhigen Zeiten, Hektik und Erschöpfung herausreißen, aus windigen Städten, Winterfadheit, trostlosen Landschaften, dem Crescendo überreizender Gleichzeitigkeit all der Gegenwartskrisen. Wer für einen halben Tag Telefon und Internet beiseitelässt, kann langsam durch Räume gehen, die Geschichten erzählen und Bezüge herstellen.
Zum Beispiel kann man in Riehen bei Basel die Fondation Beyeler besuchen und auf das lebensgroße, strenge Porträt Student von 1968 zulaufen. Und nach jedem Schritt lange Pausen machen, dabei zuschauen, wie die konzise Form in komplexe, fast widersprüchliche Einzelheiten zerfällt. Das Porträt hängt an der Stir
Gründe, in Museen zu gehen. Um Werke zu bestaunen, die einen aus unruhigen Zeiten, Hektik und Erschöpfung herausreißen, aus windigen Städten, Winterfadheit, trostlosen Landschaften, dem Crescendo überreizender Gleichzeitigkeit all der Gegenwartskrisen. Wer für einen halben Tag Telefon und Internet beiseitelässt, kann langsam durch Räume gehen, die Geschichten erzählen und Bezüge herstellen.Zum Beispiel kann man in Riehen bei Basel die Fondation Beyeler besuchen und auf das lebensgroße, strenge Porträt Student von 1968 zulaufen. Und nach jedem Schritt lange Pausen machen, dabei zuschauen, wie die konzise Form in komplexe, fast widersprüchliche Einzelheiten zerfällt. Das Porträt hXX-replace-me-XXX228;ngt an der Stirnwand des ersten Raums der großen Wayne-Thiebaud-Schau. Wayne who? Allerdings: Thiebaud, Schweizer Vorfahren, 1920 in eine Mormonen-Familie in Arizona hineingeboren, wuchs in Long Beach, Kalifornien, auf, zog nach dem Zweiten Weltkrieg 1949 zum Studium nach Sacramento, starb dort am 25. Dezember 2021. 70 Jahre malte er, ringsum zogen abstrakter Expressionismus, Pop-Art und Minimalismus auf und vergingen wieder, postmodern zersplitterte Wiederbelebungen, Zitate und Sampling – Thiebaud malte. Meist in Öl, aber auch mit Kreide und Skizzenstift. In Europa blieb er weitgehend unbekannt – das ändert sich jetzt mit der großartigen Ausstellung in der Fondation.Placeholder image-1Bevor Sie jetzt abwinken – ach Gott, weißer Mann und Ölmalerei –, können Sie sich auf Student konzentrieren: Eine hinreißende Eröffnung, man kann sich dem Abbild einer aufmerksamen Studentin mit einem ganzen Rucksack von Kunstgeschichte nähern. Sie sitzt in einer dieser Stuhl-Aufklapptisch-Kombinationen, die eine Person immer ein wenig infantilisieren, hier verdecken das Möbel und der Zwang zur Haltung fast die zart angedeuteten Elemente einer klassischen Pose: Ihr Blick paraphrasiert Herrschaftsporträts, er scheint uns als Gegenüber zugleich intensiv wie auch distanziert zu mustern, in seiner Ambivalenz ist er nicht zuzuordnen. Der selbstbewusst vorgeschobene linke Fuß unterstützt die Haltung, die rechte Hand liegt stiftlos, aber schreibbereit da, das regungslose Gesicht spiegelt das leere Blatt, vor dem sie sitzt.Revolutionär in der WanneNichts an ihr ist extravagant, der blaue Pullover, die grauen Hosen lassen sie in einer Gruppe Studierender vermutlich verschwinden, Thiebaud deutet keine Themen der Zeit an, keine Studierendenunruhen, kein sexuelles Aufbegehren. Und doch legt sich die linke Hand schamhaft auf ihren Schoß – formt einen Kelch, der ihr Geschlecht eher betont, als es zu verbergen, eine Haltung, die einer Pietà ähnelt.Mit jedem Schritt auf die Studentin zu wächst, was man nur der Malerei zuordnen kann und nur im Original erkennt – die psychologische Unrast des farbwilden Oskar Kokoschka ist hier in Linien gebannt, sie begrenzen den scharfen Schattenriss auf dem Boden (wir müssen unwillkürlich die Mittagsstunde auf der Uhr hinter ihr überprüfen), lassen kühles Kadmiumblau unter der leicht gehobenen Fußspitze leuchten, umspielen Gesicht und Schultern auf der lichtzugewandten Seite mit warmem Orange und hellem Gelb. Wayne Thiebaud hat das „naturwissenschaftliche Prinzipien“ genannt, er markiert Schatten, Möbelkanten und Ränder seiner Figuren mit hart gegeneinandergestellten Primärfarben. Hier verbergen sich Verweise auf gestische Malerei und abstrakten Expressionismus, surreale Unterströmungen. Der pastellblaue Schatten zu ihren Füßen erhält so einen Lichtschleier, der ihn scharf vom Boden abhebt – eine Komposition, die uns durch viele Motive verfolgen wird.Noch deutlicher wird der Verweis auf das Handwerkszeug der Malerei und ihre klassischen Motive im nächsten Raum, das breitformatige Bild Woman in Tub von 1965 dominiert die Stirn, wir sehen einen Frauenkopf – tatsächlich ist es der von Thiebauds Frau Betty Jean –, der sich in einer Art Wanne zurücklehnt. In einer Vorlesung erklärte Thiebaud, dass er versucht habe, La Mort de Marat, Jacques-Louis Davids berühmte Darstellung des erstochenen Revolutionärs in der Badewanne von 1793, eben nur zu paraphrasieren und nicht zu zitieren: Dafür übermalte er einen heraushängenden Arm seiner Frau, tauschte die Wanne gegen ein großes Tablett, ganz ähnlich denen, die auf seinen Gemälden oft Cupcakes oder Donuts tragen – ein Arrangement, das ihn zu Tränen anregte. Er musste ihr zurück in die Wanne helfen.Placeholder image-2Davids Marat ist eine erste Übersetzung politischer Vorlagen in die Kunst, in Thiebauds Arbeit ruht der Frauenkopf schließlich auf einer Komposition, die nah an der Abstraktion siedelt: Fünf Linien trennen Wandfläche, Badewanne und Boden. Wenn wir nah herantreten, sehen wir, dass die Wanne selbst mit kräftigem Impasto aufgetragen ist, als gleite hier ein fast konturloses Vehikel durch Zeit und Widerstände, als fließe hier alles von links nach rechts, während obenauf sich der fast fotorealistische Kopf mit viel zärtlicherem Farbauftrag zur Lichtquelle wendet. Ist sie erschöpft, vom Leben ermattet, gemeuchelt wie der französische Revolutionär? Oder ruht sie sich aus, von all der Hektik, dem Lärm der Welt, der hier, im fließenden Weiß der sich weit ziehenden Wanne, in all der Wärme und Ruhe, ausgeschlossen ist? Oder schließlich: Lehnt der Frauenkopf so neutral, wie auch die Studentin dreinblickt? Beiden Frauen nähert man sich wie einer Fremden, einer Person, die wir zum ersten Mal sehen und an der uns Kleinigkeiten auffallen. Deren Gesichtszüge aber unsere Haltung spiegeln, weil wir noch kein Gefühl für die Person gegenüber aufgebaut haben.Eine interessante Hängung testet unser Verhältnis zu Blicken, Körpern und Objekten: Im nächsten Raum schauen zwei kniende Frauen in Badeanzügen, Hände in den Hüften, derselbe vage Gesichtsausdruck, auf Gemälden mit viel später gemalten Glücksspiel-Automaten. Das Gegenüber stellt die Neutralität, mit der wir den Figuren gegenübertreten, auf die Probe: Reihen wir die gleichförmigen Frauenkörper unter Objekten ein? Denken wir uns den Blick der Knienden auf die bunten Versprechungen von Zeitvertreib? In der Körpersprache der Frauen fehlt jede Regung, jede Laune, hier verbergen sich kein Spiel und keine Hinweise auf Sexualität. Die einarmigen Banditen aus Plastik und Mechanik sind ganz Form und Farbe, ihr dudelndes Glück, das Lachen über gewonnenes Kleingeld, die Versprechen von Rausch und Sorgenfreiheit, die eine Welt aus Arbeit umgehen kann, müssen wir uns dazudenken. Wenden wir uns den Frauen zu, bleibt unklar, was sie darüber denken.Wayne Thiebaud hat immer wieder etliche Zuordnungen für sich ausgeschlossen, er sei kein Künstler, wiederholte er in Interviews, er mochte es nicht, der Pop-Art zugeschlagen zu werden. Dabei scheinen seine spielerischen Motive aus der Kulinarik darauf zu drängen – Kuchentheken, Salatschüsseln, Eistüten, Lutscher, kräftig aufgetragenes Impasto, gleichzeitig ein Verweis auf Sahnecreme und Malmittel selbst. In alldem verbergen sich auch politisch lesbare Motive der Überflussgesellschaft: All diese Dinge sind süß, nach dem flüchtigen Glück verderben sie einem den Magen, versauen die Zähne. Sie sind einfache geometrische Formen, aus einer industriell geordneten Welt, überall in den USA anzutreffen.Ihre Produktion hat einen Preis, den sehen wir in landwirtschaftlich vernutzter Welt, die Thiebaud mit weiten Aufsichten und kippenden Perspektiven malt – in ihnen spiegelt sich die strenge Ordnung der Pies aus den Auslagen in straff geordneten Feldern. Überhaupt, Landschaft: Die surreal fallenden Straßen von San Francisco, Autobahnkreuze und bis zum Rand verbaute Hänge lassen nur dünne Streifen von Natur übrig. Eher Bauerwartungsland, Abstandsgrün, eine heillos besiedelte Welt. Dazwischen rückt eine andere Motivgruppe so etwas wie Natur von uns weg: Klippen, ins Blau der Ferne fallend, der Küstendunst verschleiert ihre Konturen. Sehnsuchtslandschaften, nie zu erreichen. Auch ihnen nähern wir uns langsam, schauen dabei zu, wie sie in einzelne Elemente der Malerei zerfallen.Placeholder infobox-1
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