Wir sind also ein Gemälde

Bauhaus In Dessau wurde mit höchster Akribie das Meisterhaus restauriert, in dem die Ehepaare Klee und Kandinsky wohnten
Ausgabe 17/2019

Man muss die Kiefern besingen, steil aufragende Stämme, nie eben oder gleichförmig, mal schräg zur Mittelachse gekippt, obenauf plötzlich verwachsen, baumgewordener Eigensinn, wilder Kontrast zu scharfen Linien, zum frischen Weiß dazwischen, zu dem, was Architekten und Eingeweihte Kubatur nennen. Kiefern sind Pionierpflanzen, dass ein lichtes Kiefernwäldchen die vier Meisterhäuser in Dessau umfasst, passt ganz gut. Jedenfalls lassen sie die strengen, vertikal verschachtelten Fassaden hervortreten und werfen frischen Schatten in die schon kräftige Aprilsonne.

Im Bauhaus-Jubeljahr geht kaum eine Woche vorüber, ohne dass ein Event um Besuch bittet, die offizielle Feierwut strapaziert etwas. Bei all dem verbreit der weit ausgreifende Begriff „Bauhaus“ oft zum simplen Retro-Futurismus. Agenturen, Autoren und auch das Bauhaus in Dessau selbst kochen mit Veröffentlichungen, Ausstellungen und Eröffnungen kräftig am Alleinstellungsmythos – nur an den Rändern wird mal ans „Neue Bauen“ erinnert, mit dem in den frühen 1920ern in Städten wie Celle und Hannover, Frankfurt am Main (siehe der Freitag 13/2019), Hamburg oder Berlin eine goldene Zeit der Siedlungsprojekte eingeleitet wurde. Stadtplaner, Architekten, Baugesellschaften entwarfen, genehmigten, baubeherrten zwischen Währungsreform und Wirtschaftskrise rund eine Million Wohnungen (was natürlich die Frage aufwirft, wer da heute bremst und verhindert). Und übernahmen nicht wenige Experimente aus der Bau-Avantgarde, arbeiteten also dem Bauhaus zu. Bernd Polster fasst in seiner wunderbaren Haudrauf-Biografie über Walter Gropius zusammen, dass Dessau nicht Wiege des Neuen Bauens gewesen sei – „und sicher nicht die Wiege der Moderne überhaupt. Aber hier wurde ein neues Schönheitsideal kreiert. Und dieses Ideal, das mit Reinheit wie mit schockierender Nacktheit einherging, wurde zu einem modernen Mythos.“ So weit also der kleine Relativierungseinschub, denn bitte schön, wer der Ebertallee an der Trinkhalle vorbei folgt zur ehemaligen Wohnstätte der Familien Kandinsky/Klee sieht Kiefern und muss in jedem Fall denken: So sollten alle wohnen können.

Drinnen bringt ein Bauleiter noch fix Seife in die Toilette, es riecht nach Farbe. In den eben fertig restaurierten Räumen steht Philip Kurz, Geschäftsführer der Wüstenrotstiftung, freut sich sehr und spricht von „einer der größten baukünstlerischen Leistungen des 20. Jahrhunderts“. Kurz tut das als Bauherr einer Restaurierung, die eigentlich Grundlagenforschung und wunderbar nerdige Veranstaltung ist, meint aber nicht sein Werk, sondern das Spiel aus Architektur und Farbkonzepten, das im Doppelhaus mit fast ungehörigem Aufwand wiederhergestellt wurde.

Historisches Trinoleum

Im Haus wohnten die eng befreundeten Familien Kandinsky/Klee nach Fertigstellung 1926 und bis zum Rauswurf 1933; einerseits kann man durch die Verbindung aus Architektur und Farbgestaltung auf fundamentale Rationalisierungsdebatten und den Kern modernen Wohnens, also auf das größere Ganze blicken: Der Typenbau als Idee gegen die Wohnungsnot verwendet Steine, die ein einzelner Maurer auf der Baustelle verarbeiten konnte; neuere Vorstellungen von Hygiene trennten Bad und Toilette, Spül- und Arbeitsküche. Durchreichen, kurze Wege dachten schon an eine Gesellschaft, in der Dienstboten rar wurden. Im Farbspiel schimmern Fragen – was bedeutet Wohlfühlen, wie spielt die Umgebung in Innenräume? Farbspektren und Kontraste kehren aber auch einen Teil der Persönlichkeit von Nina und Wassily Kandisky, Lily und Paul Klee hervor. Wir sind also in ein Gemälde, eine Zeitschicht, eine Form der Handarbeit und Weltsicht eingetreten.

Man ahnt: bisschen Recherche und Malerarbeit haben nicht gereicht. Aber was Kurz, der Architekt Winfried Brenne und die Restauratoren um Peter Schöne erzählen, klingt nach einem erschreckenden Aufwand. Weder ist das Weiß der Außenhaut nur die aufgefrischte Variante dessen, was nach einer Renovierung Ende der 1990er Jahre strahlte, noch bedeutete es, kaputte Fenster zu ersetzen. Sondern mikroskopisch kleine, hintergründige Dinge, in die sehr viel Mühe verschwand. Und einige Kabbelei um die Frage, was für einen Zustand das fertige Haus abbilden sollte. Wohl nicht die Phase, als leitende Angestellte der Junkerswerke ab 1933 hier wohnten, die Atelierfenstersäulen durch Modelle ersetzten, die auch aus Heimatstil-Häusern gegenüber blicken. Oder die DDR-Epoche, als die Räume unterteilt, Decken abgehängt, Fassaden mit Heizungsschächten verändert wurden. Gröbere Änderungen hatte eine Renovierung ab 1998 bereits beseitigt, seitdem empfing ein Museum Besucher, hatte aber eine Klimaanlage eingebaut und Verteilerschlitze über Türstürze geschlagen. Eine Verbindung zwischen die Haushälften gebrochen, Spuren hinterlassen. Lässt sich beheben.

Wenn aber Schöne von Pigmentanalyse der Farbschichten, der Forschung nach der Oberflächenbeschaffenheit erzählt, klärt sich die Perspektive: Hier geht es um einen ganz genauen Ansatz. Denn Champagnerkreide und Kalk mischt nicht Farben-Schulze um die Ecke zusammen, auch kein Grau, das in den 1920er Jahren ohne schwarze Pigmente auskam. Sie mussten lernen, dass die weiße Farbe, die eine Salzburger Firma im Spezialauftrag herstellte, nur bei Plusgraden transportiert und verarbeitet werden konnte. Und darum ging es, Brenne und Schöne verwenden den Begriff „bauzeitlich“. Mit dem verwandelten sie das Doppelhaus vom Museum zum Ausstellungsstück: Jetzt kann man erfahren, dass Nina Kandinsky ihr eigenes Schlafzimmer in Rosa und Silber hielt. Aluminiumpartikel auf einen klebenden Untergrund hatte pudern lassen. Was für Geräte es dafür gab? Nebenschauplatz, aber relevant. Der historische Trinoleum-Belag hatte ein andere Farbe als das Ersatz-Linoleum der 1990er. Und lässt ihre Wände anders schimmern.

Philip Kurz macht schnelle Schritte ins tiefblaue Schlafzimmer des Ehepaars Klee. Die Pigmente waren so schwer, dass sie an der Wand hinabsanken, irgendwie haben sich die Handwerker schließlich beholfen. Aber Kurz will etwas anderes zeigen: die schmale Fläche neben dem Fenster ist uneben. Hier haben sich Spuren eingegraben, hier könnte eine Wand von Gropius’ Plan, über den NS, die DDR und Museumszeiten erzählen. Sie bildet keine Hierarchie zwischen künstlerischer Idee, ästhetischer Dimension und Materialität eines Baudenkmals ab. Hier wird kein spekulativer Urzustand herbeigekitscht. Solche Wände mag Kurz mehr als die neu verputzte Variante gegenüber.

Also schauen wir genauer hin, subtile Dinge weisen in die Vergangenheit – oder spielen in der Gegenwart eine Rolle: Die weiße Außenfarbe kommt ohne chemische Partikel aus, deshalb wird die Fassade nie so schlunzig altern wie durchgedämmte Investorenbauten. Heißt aber, dass man nicht mit einem Anstrich fertig würde, grinst ein Restaurator, „die Farbe ist ja nicht der Kostenfaktor, sondern die Arbeitszeit der Maler“.

Wieder hinaus, Wind in Kiefernwipfeln, ein Grüppchen Touristen hinter dem Haus, nette Leute, wie sich herausstellen wird, aber jetzt gerade etwas vergrämt, dass sie noch nicht eingelassen wurden. Blicke durchs Fenster, Maulen, Kopfschütteln: „Die schaffen es noch nicht mal, ein paar Möbel hineinzustellen, damit man mal versteht, wie die damals hier gewohnt haben.“

Info

Das Meisterhaus Kandinsky / Klee ist jetzt täglich von 10 – 17 Uhr geöffnet

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