Vermutlich Schoko-Muffin. Genau hier in der Tür zum Schlafzimmer, ein Pärchen aus Schweden war da. Die Bettwäsche hat Anja Schneider schon abgezogen, die Handtücher sammelt sie immer mit der Wäsche ein, das Bad putzt sie gleich. Jetzt aber erst mal die Muffin-Krümel zwischen den Dielen.
Anja Schneider schaut konzentriert, sie ist zierlich, ein wenig blass. Und sie heißt eigentlich anders. Diese Wohnung hat sie bestimmt hunderte Male geputzt und selbst lang hier gewohnt: Hinterhof, Erdgeschoss, 35 Quadratmeter, 310,42 Euro, so einen Vertrag bekommt man in Charlottenburg nicht mehr. Seit 2015 verdient sie mit der Wohnung Geld, bei Airbnb trägt die Wohnung das Catchword „Ku’damm“ im Titel, die Nacht 60 Euro, Endreinigung 30.
Schneider wird saugen, das reicht heute für die hellen Dielen, die Schweden haben die Wohnung ziemlich sauber hinterlassen. Sie wird in der Küche über Anrichte und Mikrowelle wischen, Kalkflecken wegrubbeln. Auch das Geschirr hat das Pärchen schon gespült. Nett.
Das Berliner Gesetz zur Zweckentfremdung vom 29. November 2013 stellt im Paragraf 2, Satz 1 fest: „Eine Zweckentfremdung (...) liegt vor, wenn Wohnraum (...) zum Zwecke der wiederholten nach Tagen oder Wochen bemessenen Vermietung als Ferienwohnung oder einer Fremdenbeherbergung, insbesondere einer gewerblichen Zimmervermietung oder der Einrichtung von Schlafstellen, verwendet wird.“ Juristen beschreiben das Prinzip als „repressives Verbot mit Genehmigungsvorbehalt“. Wer seit Jahren eine Zahnarztpraxis in einer Wohnung betreibt, kann bleiben. Für Ferienwohnungen gab es eine Übergangsfrist von zwei Jahren. Die lief am 1. Mai 2016 aus. Nun, ein Jahr später, gibt es die ersten richtigen Erfahrungen. Wie sehen sie aus?
In Touristenmetropolen wie Barcelona, Tallinn oder Budapest, in US-Medien und der größten Tageszeitung Finnlands, bei italienischen Maklern und russischen Investoren verfolgen sie die Berliner Regelung und die Vorgänge darum genau. Das Gesetz will Wohnraum schützen, schreibt vor, dass man dort nur wohnen, oder ihn nur dafür vermieten darf. Die Motivation ist, Verwaltungsdeutsch, die Wohnraum-Rückführung: Der Mietmarkt soll entspannt werden. Das Gesetz gilt als das schärfste in Deutschland. Als es beschlossen wurde, richtete das Verwaltungsgericht eine eigene Spruchkammer dazu ein – mittlerweile sind hunderte Klagen dort eingetrudelt. Fast alle wurden abgewiesen.
In der Summe ist klar: Was Anja Schneider macht, ist illegal.
Für den Müll in der Airbnb-Wohnung nimmt sie immer Supermarkt-Obstbeutel, es müssen ja keine Tüten aus dickem Plastik sein, jeder spart, wo er kann. Die Schweden werden später schreiben, dass sie sich wohlgefühlt haben.
Alte Regelung weggeklagt
Das Verhältnis vieler Berliner zu Besuchern ist ambivalent. Natürlich zeigte man in den 1990ern Besuchern gern den großen Spaß, die Ruinen, die besetzten Häuser, die illegalen Bars. Aber Touristen mischen dem Alltag einen Geschmack von Kulisse unter, Worte wie pittoresk oder authentisch tauchten auf. Begriffe, die schal schmecken. Genau zu der Zeit wurde auch die rechtliche Basis der alten Regelung zur Zweckentfremdung weggeklagt – der Immobilienmarkt war in sich zusammengefallen, die Mieten billig. Die Grundlage des staatlichen Eingriffs ist aber ein angespannter Wohnungsmarkt, amtlich festgestellt. Die Stadtpolitik half zudem, aus Ruinen teure Wohnungen zu sanieren und stellte den sozialen Wohnungsbau fast vollständig ein. Das trieb die Mieten hoch.
Aus keiner europäischen Stadt war aber auch so viel Industrie verschwunden wie aus Berlin. Der Tourismus versprach zumindest ein paar Jobs in Dienstleistungsberufen. Die Stadt legte sich Besuchern zu Füßen und Imagekampagnen auf. 2006 zählte das Amt für Statistik fast 16 Millionen Gäste-Übernachtungen, ein Drittel der Reisenden kam aus dem Ausland. Im vergangenen Jahr waren es über 31 Millionen Übernachtungen, fast 46 Prozent kamen nicht aus Deutschland.
Eine schwere Geburt – das Gesetz gegen Zweckentfremdung
Mit rot-roter Mehrheit beschloss das Abgeordnetenhaus im Frühjahr 2011, gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum, also gegen Abriss, spekulativen Leerstand und anderweitige Nutzung vorzugehen. Erst im Juni 2013 legte die Große Koalition dem Abgeordnetenhaus einen Gesetzentwurf vor, die Opposition hatte einen schärferen Gesetzentwurf eingebracht. Sie kritisierte vor allem den Umstand, dass zum Gesetz (das das Abgeordnetenhaus beschließt) eine Verordnung (die der Senat beschließt) getrennt und mit zeitlicher Verschiebung erarbeitet wurde. Die Verordnung regelt die genauere Umsetzung des Gesetzes und wurde erst im März 2014 verabschiedet. Damit ging weitere Zeit verloren.
Das Gesetz erlaubt außerdem lange Leerstände zwischen Vermietungen und vor Renovierungen. Vergleichbare Rechtsregeln in Hamburg waren entschlossener. Vor allem aber war die zweijährige Übergangszeit für das Geschäft der Ferienwohnungsbetreiber rätselhaft lang.
Auf Nachfragen in Parlamentsdebatten sagten Vertreter von SPD und CDU immer wieder, es gehe darum, das Gesetz „gerichtsfest“ zu machen – also das Ergebnis der Klagen gegen das neue Gesetz abzuwarten. Offensichtlich hatte die Große Koalition lange mit sich gerungen, dann wollte sie für die Umsetzung keine zentrale, bezirksübergreifende Einrichtung schaffen, die Bezirke aber auch nicht mit den nötigen Stellen für die Umsetzung ausstatten. So waren etwa Internetrecherchen zur Kontrolle zunächst nicht möglich: Datenschutz. Der Rat der Bürgermeister hatte mehrfach gegen die schlechte Ausstattung protestiert, nannte die Vorgänge „absurd“. LL
Schneiders Wohnung ist im Schnitt 27 Tage im Monat belegt. Sie findet, sie tue etwas für Nachbarschaft und Stadt, weil sie Gäste aus aller Welt einlädt. Die zahlen Eintritt, kaufen Essen, Souvenirs. Schneider, geboren 1989 in Berlin-Wedding, denkt an Gäste und sagt Networking und Community. Auf ihrem Airbnb-Profil schreibt sie: „Ich bin ein fröhlicher Mensch. Ich liebe das Leben und bin ein großer Fan von Airbnb. Ich reise selbst sehr, sehr gerne.“
Es ist nie ganz geklärt worden, ob wirklich besonders viele Ärzte und Anwälte aus Süddeutschland in Berlin Häuser kauften, aber es gibt über sie mehr Geschichten als über die gesichtslosen Investmentfonds. In manchem ähnelt die Figur des schwäbischen Hauskäufers dem Touristen: Beides sind Figuren, die von außen kommen.
Aber wir haben selbst auch immer mehr mit dieser Figur des Hauskäufers zu tun, indem wir ins Geschäft einsteigen, großen Plattformen Macht und Raum geben: Wir vermieten unsere Wohnungen, wenn wir nicht da sind, befördern Fremde in unseren Autos, liefern Krankenkassen Daten von digitalen Armbändern, um Monatsbeiträge zu senken. Firmen wie Airbnb hat das viel Risikokapital gebracht. Der Aktienwert des Start-ups wird heute auf über 31 Milliarden Dollar geschätzt.
Task-Force im Amt
Eine Recherche zu Airbnb bringt einen in Berlin aber auch in angegilbte Räume am Ende langer Flure, abwischbare Tischplatten, Neonröhren. Die Bezirksverwaltung Friedrichshain-Kreuzberg residiert hier. Susanne Noack ist immer um sechs früh im Büro, sie will noch etwas vom Tag haben, wenn sie fertig ist: Noack strahlt Entschlossenheit aus, eine Lust an ihrer Arbeit. Sie sitzt meist stundenlang vor einem Bildschirm mit grauer Eingabemaske.
Beim Amt für Bürgerdienste hat sie die Task-Force der Abteilung Wohnungsamt mit aufgebaut, Verfahren entwickelt. Google: „Ferienwohnung Berlin“ – Treffer. Dann: Briefe an die Unternehmer im Geschäft, Genehmigungslisten, Absprachen mit anderen Bezirken. Man kann sagen, sie hat sich hineingefrickelt, nachdem sie von einer insolventen Krankenkasse zur Bezirksverwaltung wechselte.
Die graue Computermaske steht für ein Amtsverfahren. Ein Jahr, nachdem das Gesetz die Zweckentfremdung verboten hat, bekommt Noack weiter viele Hinweise, dass Wohnungen nicht zweckgerecht verwendet werden. Vom Ordnungsamt, oder Nachbarn melden sich anonym im Internet. Im besten Fall geben sie Adresse und Lage an. Über eine Wohnung in Friedrichshain, 2. Obergeschoss links, schreibt jemand: „Jede Woche machen andere Leute Party auf dem Balkon. Mitunter auch häufiger Wechsel. Im Schnitt 2-6 Besucher, sehr oft englischsprachig.“ Einer beschwert sich: „Dauerndes Klingeln von Touristen, besonders nachts, rücksichtslose Musik.“ In der Graefestraße vermutet jemand sehr viele Flüchtlinge in einer kleinen Wohnung.
Wer über das Airbnb-Portal Gesprächspartner für eine Reportage sucht, bekommt wenige Antworten. Ein paar Vermieter toller Wohnungen schicken schnelle Absagen. Anja Schneider antwortet da anders: „Ich bin ein lebensfroher, netter Mensch und gern hilfsbereit. In unserer heutigen Zeit ist aber die Frage, solange es nicht darum geht, ein Leben zu retten, was ich davon habe!?“
Sie vermietet noch eine Studiowohnung in Mitte, in der sie selbst lebt. Es gibt eine Poledance-Stange, an einer Wand hängt ihre Spitzenunterwäsche. Auf dem Dach gibt es einen Pool. Sie bezahlt 780 Euro Miete. Bei Airbnb kostet hier die Nacht 100, die Reinigung 40 Euro. Die Leute rennen ihr die Bude ein. Schneider könnte die Wohnung häufiger vermieten, aber irgendwo muss sie ja selbst hin. Den Hausbesitzer interessiert ihr Geschäft nicht. Der Steuerberater meinte, wenn man schlafende Hunde nicht wecke, schliefen sie weiter.
Eine Freundin hat die dritte Wohnung gemietet, die Anja Schneider anbietet. Sie organisiert, hat die Internetseite aufgesetzt, putzt. Bekommt pro Übernachtung 20 Prozent. Sie habe schon als Kind gerne Hotel gespielt: „Das liegt in mir.“ Gerade macht Schneider zwei Wohnungen auf Ibiza Airbnb-fit, die Besitzer hat sie im Flugzeug kennengelernt. Networking.
Spitzenwäsche an der Wand
Das Private kommerzialisieren: In der Linienstraße benehmen sich ihre Gäste meist gepflegt, lassen die Unterwäsche hängen. Einem Gast zersprang ein Weinglas, er kaufte ein neues Set. Manchmal schreibt einer, dass er sie gern mal in der Wäsche sehen würde. Kann sie ab. Wie ist sie darauf gekommen, ihre Wohnung zu vermieten? „Ich bin Geschäftsfrau“, sagt sie.
Eine Datenanalyse der FH Potsdam hat 2015 die Plattform untersucht und zählte in Berlin 11.701 Airbnb-Wohneinheiten und über 34.000 Schlafplätze. Über die Stadt gerechnet, waren das nur 0,4 Prozent aller Wohnungen. Manche Straßen in Mitte, Kreuzberg oder Neukölln hießen trotzdem Airbnb-Meile. Da bewiesen sich 19-Jährige ihre 19-Jährigkeit: laute Partys, nackte Hintern auf Balkonen, heftiger Sex hinter offenen Fenstern. Berliner Anbieter inserierten im Schnitt 1,3 Wohnungen, die Top-Ten-User zusammen 281 Wohnungen oder Zimmer.
Airbnb vermietet in 34.000 Städten, in 190 Ländern: In einer Imagekampagne halten sich Pärchen auf einem Dach bei den Händen, Sonnenuntergang, Flaschenbier. „Ferienwohnung“ klingt nach Schwarzwald, Airbnb ist technisch dasselbe, schmeckt aber cooler und nach verlängerter Adoleszenz. Business, sagt Anja Schneider dazu. Sie zuckt mit den Schultern.
Als die FH Potsdam die Zahlen eruierte, waren die illegalen Bars in Berlin lange fort, die Mieten sind seit 2009 um 68 Prozent gestiegen. Von symbolischen Kämpfen gegen Spekulanten zerfasern noch Transparente an ein paar Häusern, in Cafés liegen ab und an Petitionen. Abseits einiger Insel-Lösungen sind die Kämpfe aber gescheitert. Träume von Alternativen und der Versöhnung mit dem Kapitalismus im Überschuss billiger Wohnungen funktionierten nur kurz.
Die Hälfte der Hinweise sei Denunziantentum, schätzt Susanne Noack, viel Hass auf Ausländer erlebe sie da. Die andere Hälfte der Hinweise sei nützlich, nur oft nicht genau genug. Sie haben dazu hunderte Amtsverfahren begonnen, versucht Eigentümer zu ermitteln, fragt mit Standardsätzen, was da vor sich gehe, droht mit Zwangsgeldern – erst milde, dann bestimmter. Noack und ihre Kollegen schreiben Vermietern aus Westdeutschland, die oft nicht wüssten, was in ihren Wohnungen passiert. Sie antworten Menschen, die die Berliner Verwaltung verfluchen. Ehepaare, die nur ein kleines Nebengeschäft machen wollten, als sie in den Urlaub fuhren. „Das ist Beifang“, sagt Noack. „Es geht um die richtig bösen Buben.“
Sie könnte auch einfacher vorankommen: Gleich nachdem das Gesetz in Kraft trat, verbarg Airbnb die Vermieter online. Karten wurden vage, Adressen nur Mietern zugeschickt. Ihre Anbieter könne die Plattform nicht preisgeben, heißt es jetzt. Das irische Recht, mit dem Airbnb in Europa hantiert, verbiete das. Leider, leider.
Noack ruft eine Zahl auf: Bis Ende 2016 haben sie in Friedrichshain-Kreuzberg 1.094 Wohnungen dem Wohnungsmarkt rückgeführt. Die Zahl betrifft auch Fälle, in denen Menschen ihre Wohnung nun leer stehen ließen, wenn sie in die Sonne reisten. Immerhin 827 der Wohnungen im Bezirk waren für Touristen reserviert. Die Dunkelziffer sei aber hoch.
Für die Bezirksverwaltung ist das Gesetz ein gutes Instrument, auch wenn das Verwaltungsgericht ein Loch hineingebohrt hat: Es urteilte, dass Zweitwohnungen auch kommerziell vermietet werden dürften. Ein wenig Ärger mischt sich in Noacks Züge. Im Grunde müsste sie jetzt überprüfen, ob da eine Zahnbürste steht, der Besitzer vielleicht aus München pendelt. Eine unmögliche Aufgabe. Ein Schlupfloch. Nach dem Urteil im Herbst war die Stimmung mau im Amt. Im Frühjahr mussten sie 41 Zweitwohnungen genehmigen.
Wohnen ist ein Geschäft
Susanne Noack fasst ihre Erfahrungen in einem Satz zusammen. Einem, der entsteht, wenn man Wohnungen begeht, in denen Menschen Flüchtlinge für horrende Tagesmieten unterbringen. Wenn man Fernsehsternchen erwischt, die Lofts für größere Party-Gruppen vermieten und Amtsvertreter mit den Worten begrüßen: „Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?“ Noacks Satz hat etwas damit zu tun, dass sie Geschäftsleuten nachspürt, die weiter viel Umsatz machen und über Klagen von Nachbarn und Zwangsgelder vom Amt grinsen. In dem Satz liegt auch die Ahnung, dass die Stadt mit Amtsverfahren und grauen Computermasken einem Unternehmen gegenübersteht, das mehr Software-Entwickler und Anwälte bezahlt, als die Bezirksverwaltung Mitarbeiter hat. Susanne Noack sagt: „Wohnen ist immer auch ein Geschäft.“
Man kann Anja Schneider fragen, ob sie ein schlechtes Gewissen hat, weil sie günstige Wohnungen dafür nutzt, Touristen unterzubringen. Hat sie nicht. Wer sich bemühe, bekomme trotzdem eine günstige Wohnung, sagt sie. Seit einer Weile macht sie noch einen Escort-Job, reiche Kunden, tolle Hotels, darauf hatte sie schon länger Lust. Wenn man sie fragt, ob sie das Gefühl hat, privat etwas zu verlieren, wo nun alles mietbar ist, alles einen Preis hat, sagt sie: „Manchmal ist man etwas allein.“
In anderen Berliner Bezirksverwaltungen gibt es auch andere Meinungen zum Gesetz: Es sei hastig geschrieben, mit falschem Eifer durchgepaukt. Bürger könnten nun mit ihrem Eigentum nicht umgehen, wie sie es für angebracht hielten. Viel Kritik gab es für die Art, wie die Senatsverwaltung sich die Umsetzung dachte – nämlich indem sie den Bezirken das Ganze überließ, statt eine zentrale Stelle einzurichten. Deshalb war der Beginn holprig: Strukturen, Arbeitsformen, Schulungen fehlten, kamen spät oder vereinzelt.
Bei der „Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen“ kann man mit dem Fahrstuhl in den 16. Stock fahren. Von dort gibt der Modernismus-Bau einen weiten Blick über die Stadt frei. Der Himmel ist grau, Wind zerreißt Wolken. Hier oben, in der Abteilung für Wohnungswesen, Wohnungsneubau, Stadterneuerung, Soziale Stadt treffen Zahlen zusammen. Rund 4.500 Wohnungen seien im vergangenen Jahr auf den Wohnungsmarkt rückgeführt worden. Das ist nicht viel, wenn man über die ganze Stadt schaut. Aber fast ein Drittel, gemessen an den rund 15.000 Neubauten.
In der 16. Etage kommen Verbandsvertreter vorbei, erwähnen, dass Touristen Geld bringen, klagen, dass andere Städte in Deutschland erlauben, Wohnungen 180 Tage im Jahr an Besucher zu vermieten. Von hier oben im 16. Stock kann man auch über die Airbnb-Geldgeber nachdenken, die grundsätzlich gegen Regulierungen wettern und aus einem digitalen Geist schöpfen, der den Staat auflösen und den Unternehmer ins Zentrum setzen will.
Von hier oben blickt Jochen Lang aus seinem Bürofenster über die Stadt. Er kennt die Probleme und die Interessen, das Gesetz hält er für entscheidend: „Die angespannte Wohnungssituation gilt für die ganze Stadt. Wir sind da im Schmerzbereich. Das ist in Spandau zu spüren, genauso wie in Kreuzberg oder Mitte. Vielleicht unterschiedlich ausgeprägt, aber der Schmerz ist überall spürbar.“
Der Schmerz der Tschöpes ist aber ein anderer. Maria und Bernhard Tschöpe sitzen in ihrem Wohnzimmer und warten. Alte Möbel, Parkett, weiße Blumen, weiße Gardinen. Die Wohnung wirkt leer, daran ändern auch Zierkissen mit Igelmotiven nichts, aber das Fenster blickt auf ein grünes Karree, das Maria Tschöpe „unser Paradies“ nennt. Die Tschöpes warten darauf, wie ihre Klage gegen das Zweckentfremdungsgesetz entschieden wird.
Bernhard Tschöpe, Brandschutzsachverständiger, geboren 1949, spricht von existenziellen Ängsten. Maria Tschöpe, geboren 1952, arbeitete in Hausverwaltungen. Man kann hören, dass sie empört ist. Die Tschöpes kauften das Haus 1987, hinter Ziegelstein-Wänden hat es vier Wohnungen. Die Tschöpes haben einen Sohn, der fand seine Liebe auswärts, zog weg. Als die Mieter oben links ins Altersheim gingen, dachten die Tschöpes: Ferienwohnung. Da können wir ein wenig Geld verdienen, und wenn der Sohn kommt, schläft er hier. Maria Tschöpe organisierte den Papierkram, machte die Buchhaltung, meldete die Wohnung dem Finanzamt. Seit 2009 vermieten sie an Familien, an Handwerker, als Umsetzwohnung. Mal kommt der Sohn, hilft bei Dingen, die es zu tun gibt: Seine Eltern gelten als schwerbehindert.
Ihre Empörung hat damit zu tun, dass die Bezirksverwaltung Tempelhof-Schönefeld ihnen im vergangenen Jahr keine Genehmigung mehr gab. Vielleicht drei Monate im Jahr vermieten sie die Wohnung – nicht über Airbnb, das war ihnen zu jugendlich. Jetzt sollen sie die Wohnung fest vermieten. Man sagte ihnen, der Sohn könne doch ins Hotel gehen. Sie verloren in erster Instanz, ärgerten sich sehr, dass ihre Gesundheitssituation keine Rolle spielte, gingen in Revision.
Tschöpes Schmerz
Der Schmerz der Tschöpes stammt auch daher, dass sie in der Nachbarschaft Leerstand sehen, und dass sie finden, der Herr von der Bezirksverwaltung trete sehr arrogant auf. Bei ihnen hat sich der Eindruck verfestigt, dass die verfolgt würden, die sich an die Regeln halten, den Papierkram ordentlich machen. Und die vor Gericht zu hören bekommen, sie könnten ein Fitnessgerät in die Wohnung stellen, Privatnutzung deklarieren: Dann wäre alles kein Problem. Außer einem kaputten Rücken hat Bernhard Tschöpe noch den Eindruck kaputter Gerechtigkeit. Dagegen will er bis vor den Europäischen Gerichtshof: „Wir wollen einen fairen Prozess, bei dem unsere Lage berücksichtigt wird. Das war bisher weder bei der Verwaltung noch bei der Justiz der Fall. Wir wollen gar nicht tricksen.“
Der Schmerz der Tschöpes hat also auch mit Anja Schneider zu tun. Der Innenhof von Schneiders Wohnung in Charlottenburg glänzt jetzt nass. Es ist kühl, Schneider trägt einen weißen Mantel, die blonden Haare lose zusammengebunden, in der Hand eine Tasche von Yves Saint Laurent. Sie hat von ihren Krisen erzählt, davon, dass sie irgendwann dachte: Ein Leben ohne Gucci ist Mist.
Als wir in den Innenhof treten wollen, trägt sie noch die Mülltüte und die blaue Ikea-Tasche mit der dreckigen Wäsche. Sie stockt. Da schleicht eine Nachbarin bei den Abfalleimern herum. Schneider wartet mit dem Tür-Aufstoßen, blickt durch die Scheibe. In ihrem Gesicht passiert etwas, sie ist genervt. „Die zickt jedes Mal rum, dass ich das hier nicht dürfte. Der pure Neid. Ist nicht meine Schuld, dass die so ein Leben hat und so einen Mann.“ Es ist ein seltsames Bild: Die Geschäftsfrau versteckt sich eine Weile im kühlen Treppenhaus.
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