Bevor der sprichwörtliche Teufel, in diesem allgemein kommentierten Fall "Französische Regionalwahl" die französische Teufelin Marine an die Wand malt, sollten wir realistisch analysieren, was wirklich in Frankreich aktuell während dieser Regionalwahlperiode vor sich geht und welche pragmatisch einzuschätzende Bedeutung sie für die Präsidentschaftswahl im Jahre 2017 haben kann oder haben wird. Zunächst sollte allen Diskutierenden klar sein, dass es in Frankreich bei jeder Wahlentscheidung um ein Mehrheitswahrecht geht und nicht wie bei uns um ein Verhältniswahlverfahren, was schon im Vorfeld der Wahlkampagnen die Möglichkeit von Koalitionen oder Bündnissen zwischen politisch ähnlich gestrickten Parteien deutlich erschwert. In einigen Regionen beispielsweise im Languedoc hat sich ein derartiges Bündnis gebildet und ist in diesen schon traditionell konservativ rechtspopulistischen Departements wahrscheinlich sogar das Mittel zur Wahl gewesen, auch wenn sich dieses linke Konglomerat hinter den beiden Rechtsgruppierungen um Le Pen und Sarkozy anstellen musste. Die Beobachtung, dass im Westen der Republik von der Bretagne bis zur Girondemündung, die Sozialisten mehrheitlich vor den Konservativen und der FN liegen, bedeutet zunächst keinen Vorteil für die PS, aber wenn man sich die Bevölkerungsdichte der einzelnen französischen Großdepartements genauer anschaut, bemerkt man, dass die Zahl von 113 Einwohnern pro/qkm in Frankreich nach statistischer Erhebung besonders die ländlichen Gebiete betrifft, in Paris, dem großen Ballungsraum Ile de France (Paris, Seine-et-Marne, Yvelines, Essonne, Hauts-de-Seine, seine et Saint Denis, Val de Marne, Val de Oise) lag die Wahlbeteiligung bei 45 Prozent und wird von der konservativen Union des Nicolas Sarkozy mit 30 Prozent angeführt, hier erreicht die FN lediglich 18%. Immerhin gab es im neuen Departement 7 Mio Wahlberechtigte. In Lyon, dem anderen größeren Ballungsraum entschieden sich 31% für die LUD, während die FN bei 25% und die PS bei 23% liegt. Die Wahlbeteiligung betrug immerhin 48% und man rief 5,3 Mio Menschen zur Wahl auf. Wenn man sich nun die Regionen anschaut, in denen die FN seit Jahren sehr stark ist und beispielsweise nach Norden Pas de Calais, Nord und Piccardie schaut, so sieht man bei 55% Wahlbeteiligung eine beängstigende Mehrheit des FN mit ihrer "Gallionsfigur" Marine le Pen von 40%, Konservative und Sozialisten erreichen gemeinsam gerade 42%. Ähnlich sind die Ergebnisse im Departement Provence-Alpes-Côte d´Azur für FN, PS/UG und UD. 3,5 Millionen Menschen waren zur Wahl aufgerufen. Hier stand die Nichte Marion aus dem Le Pen Clan an vorderster Front ihrer stramm rechten Front. Zusätzlich muss man in Betracht ziehen, dass die neue Gebietsreform in die neuen 13 Großdepartements (auf dem Kontinent) allein in manchen Landesteilen innerhalb der alten Departements zu erheblichen Spannungen und Akzeptanzproblemen geführt hat. So sind sich die führenden Politiker gleich welcher Couleur zwischen Alsace -Lorraine und Champagne-Ardennes einander aus regionalistischen Gründen nicht grün. In sehr dünn besiedelten Gebieten wie dem Pays de Loire mit knapp 2,6 Mio. eingeschriebenen Wahlberechtigten liegt der UD mit fast 34 Prozent vorn, während FN und PS (UG) 25 bzw. 21 Prozent erhalten. Diese Region war und ist traditionell konservativ, eine von Landwirtschaft geprägte Kultur, die auch aus religiös zu definierenden Gründen niemals ganz rechts wählen würden. In allen Departements fällt aber auf, dass die FN ihre Wählerschaft oder all diejenigen, die sich von den traditionellen Parteien enttäuscht fühlen, sehr stark mobilisieren konnten. Bei 50 Prozent Wahlbeteiligung insgsamt bleibt für den entscheidenden Wahlgang am Sonntag die Frage offen, wer kann aus der Hälfte, also den 49 Prozent Wahlberechtigten, die zuhause geblieben sind, diejenigen mobilisieren, die nun mit der Wahrheit konfrontiert werden, dass ein rechtes, nahezu undemokratisches Frankreich möglich sein kann und dass die Frontfrau Marine Le Pen unter günstigsten Umständen 2017 die Präsidentschaft gewinnen könnte. Wer aus den anderen politischen Lagern wie PS (UG) gibt sich einen Ruck und gibt seine heilige Stimme dem im Prinzip gegnerischen Lager, um FN-Oberhoheiten zu verhindern. Sarkozy, der in seiner gesamten politischen Ausrichtung prinzipiell nicht weit von der FN entfernt ist, weigert sich, seine Gefolgsleute in den Provinzen, wo seine Gruppe an zweiter Stelle liegt, aufzufordern, für die Sozialisten bzw. für die Union Gauche zu stimmen, weil er offensichtlich immer noch glaubt, dass seine konservativ liberal angehauchte Rechte im direkten Vergleich stärker sein wird als Le Pens rechte Hardcorepopulisten.
Gleichgültig wie der Wahlsonntag letztlich ausgehen wird, Frankreich wird nicht umhin können, endlich radikal strukturierte Reformen in fast allen Bereichen anzugehen und derzeit hat Monsieur le Vizekanzler, wie Le Pen den oft unglücklich agierenden Präsidenten genannt hat, noch die Macht und viele Chancen, alles daran zu setzen, bis 2017 zumindest ein ernst zu nehmender politischer Player zu bleiben. Wenn Sarkozys Rechnung am Sonntag nicht aufgeht, ist dessen politische Präsenz in Zukunft nicht mehr gefragt, denn da lauern andere, die zumindest mit moderateren und pragmatischeren Programmansätzen beim Volk punkten können. Auch Le Pen ist auf keinen Fall ungefährdet, denn nationalistische und rechtsextreme Parteien sind meistens zum Erfolg verdammt, wie die Geschichte es schon oft gezeigt hat, und solange sie nur durch Worte statt Taten auffallen, mögen sie von vielen Unzufriedenen geliebt werden, geschieht aber nichts, wird sich die Fahne überall dort drehen, wo die notorischen Wendehälse in ihrer eigenen Nichtverortung und Verantwortungsablehnung heute den Teufel und morgen den Papst anbeten.
Ein weiteres Thema für Frankreich und Europa dürfte pro toto das Thema Rechtslastigkeit sein. Wir erleben seit Jahren in Ungarn einen offen faschistoid handelnden Ministerpräsident Orban, der das Schengener Abkommen dieses Jahr schon einmal gebrochen hat, wir sehen nach Polen, wo Kaczinsky mit einer Marionettenregierung das Ruder weit nach rechts geworfen hat, wir sehen selbst in den klassischen sozialen Wohlfahrtsländern Skandinaviens wie die Rechte sich erhebt und politisch aktiv an Gewicht gewinnt und wir sehen eine Schweiz, die trotz vieler demokratischer Basisparameter auf den Populisten Blocher hereinfällt. Vergessen wir nicht die AfD, die sich nach dem Rauswurf des alerten Herrn Lucke zu einer hart am Grundgesetz vorbei lavierenden Partei entwickelt hat und in den Umfragen inzwischen bei 8 Prozent angekommen ist, wobei im Osten Deutschlands diese Zahl mancherorts zu verdoppeln wäre. Wir sehen überall in Europa, dem Europa, das ein "gemeinsames Haus" werden soll, nationalistische Tendenzen, die das europäische Projekt nicht nur in Frage stellen, sondern bewusst zu demontieren versuchen.
Wir müssen die inhaltliche Aktualität in der klassischen Demokratiefrage im Neoliberlismus auf die Probe stellen und untersuchen, alle demokratisch gesinnten Menschen sollten im eigenen Interesse ihre Staatsgebilde und die herrschenden Wirtschaftsysteme hinterfragen, ob es nicht schon lange überfällig ist, im 21. Jahrhundert, wo es für die global agierende Finanzwirtschaft und alle Global Player schon lange keine Grenzen mehr gibt, nicht unabdingbar ist, die Macht all dieser kartellartigen Gebilde und Verfelchtungen zu beschneiden oder zu zerstören. Wenn wir die Grundwerte des menschlichen Seins über die Zeit des 21. Jhdt. retten und den Begriffen Freiheit und Gleichheit einen Sinn geben wollen, der nicht durch Meinungen verfälschende Wahlen oder neoliberale Unterdrückungs- und Ausbeutungsinstrumente direkt in einen Abgrund führen, haben wir nur eine Chance, wenn eine gerechte überstaatliche, ja globale Balance aufrecht erhalten wird, die weder arm noch reich, weder oben noch unten kennt oder zulässt. Wenn die Schere weiter auseinanderklafft und Hunger, Armut und Kriege nicht besiegt werden, haben wir endgültig versagt.
Ohnehin erscheint der Kampf gegen die Klimakatastrophe für unsere gemeinsam bewohnte Erdkugel viel wichtiger zu sein als alle anderen auch aktuell deprimierenden, zerstörerischen und schwer auf uns lastenden Krisen. In diesem Zusammenhang erscheint alles andere als sehr klein, wenn wir daran denken müssen, dass die tödliche Brisanz steigender Meeresspiegel, versteppter Kontinente und vertrockneter Landstriche die wahre Herausforderung über allen anderen Herausforderungen ist. Regeln wir das Erdklima im positiven, menschlichen Sinne, regeln wir auch die weltumspannenden Gefahren, die uns täglich das Gruseln lehren.
LeNoir
Kommentare 3
Regeln wir das Erdklima im positiven, menschlichen Sinne, regeln wir auch die weltumspannenden Gefahren, die uns täglich das Gruseln lehren.
hinter diesem satz könnte gut ein fragezeichen stehen. ich sage mal, das fragezeichen ist richtiger als der punkt. dafür sprechen nicht nur die aktuellen wahlen in europa. über den eigenen engen horizont hinaus zu denken, ist den allermeisten menschen unmöglich. darum dürften sie durch ihr kreuzchen auch nicht die politik zu bestimmen versuchen. es ist doch durch analysen hinreichend erforscht, wie das wahlvolk entscheidet. sprüchen und köpfe werden gewählt, nicht aber programme.
die gewählten sind nicht nur in polen und im übrigen europa national und parteiisch. gleich wie sie heißen und welcher partei sie angehören. es handelt sich um machtkranke im machtkampf. ihre entscheidungen sind seltenst sachlich begründet.
bei fragen wie der erwärmung der lufthülle der erde dürften gar keine politiker entscheiden, weil klimafragen keine machtfragen sind, aber von den mächtigen in parteien und konzernen zu machtfragen gemacht werden. wie sollte das auch anders gehen? die machteliten sind keine klimatologisch versierten fachleute. sie können gar nicht kompetent mitreden oder gar entscheiden.
was fürs klima gilt, ist exemplarisch für alle politischen fragen. wo der sachverstand fehlt, kann die entscheidung der partei- und konzernoberen nicht sachgerecht ausfallen. selbst bei fragen, die irrtümlich entschieden wurden wie die einrichtung der sogen. sommerzeit, gibt es offensichtlich keinen weg zurück. das system kann sich nicht einmal bei erwiesenem unfug korrigieren.
die athenische demokratie gilt noch immer als modell, obgleich doch bekannt sein dürfte, dass athen nicht gut damit gefahren ist.
die zentralisierung der entscheidungsmacht wurde nach der abschaffung des ancien régime nicht aufgegeben, sondern weiter entwickelt. die hauptstädte paris, london und berlin demonstrieren, wie vorteilhaft die zentralisierung ist. übrigens auch die akw und anderen großkraftwerke. verschwendung ist die devise. umweltzerstlörung auch. hauptsache, die gewinnrechnung geht vorläufig auf.
von den königreichen haben die demokratisch verfassten staaten die kriegsgesellschaft geerbt, mit allem, was dazu gehört. haben die demokratien weniger aufgerüstet und weniger kriege geführt? nein, im gegenteil.
wollen die führungen der großen konzerne und staaten etwas anderes als wachstum? nein. und das heißt umweltzerstörung. die berliner regierenden müssen von brüssel ermahnt werden, luft und grundwasser im grünen bereich zu halten. doch die belastung ist in beiden bereichen längst zu hoch. haben die damen und herren etwa geschlafen oder wie ist das fehlverhalten zu erklären? der finanzminister feiert die schwarze null seiner unzureichenden bilanzen.
die entscheidungen der regierenden und ihrer geldgeber sind grundfalsch. das system versagt jeden tag. aber das klima der erde sollen diese tunichtgute retten???
Wenn Berlin weiterhin die Franzosen zu Austeritäts-"Reformen" zwingt, hat Le Pen 2017 beste Chancen. In Polen und Ungarn sehen wir doch schon, wohin die deutsche wirtschaftliche und politische Dominanz führt - genau vor diesem nationalistischen Backlash wurde seit den 90ern gewarnt.
Yuren. Smukster.
Das ist mir alles bewusst und das wurde von mir gar nicht thematisiert. Auch wenn es schwer fällt, man muss sich mit der Realität und dessen Auswirkungen beschäftigen. Ich würde Ihnen sogar in vielen Passagen Ihrer Suada oder Streitschrift recht geben, aber Sie hauen alles nur in die Pfanne, als wenn ich nicht wüsste, wie die Zusammenhänge unserer Gesellschaft zu begreifen und zu bewerten sind. Auf alles draufhauen ist im Prinzip die gleiche Methode wie sie von rechts praktiziert wird. Die Wirklichkeit ist aber leider so, wie Sie es so niederschmetternd beschreiben, aber was hilft das Ätzen und Jammern, wenn alles so ist, wie es eben von Nord nach Süd und Ost nach West so läuft. Das klingt völlig banal, aber wir leben weltweit in einem zerstörerischen und Menschen verachtenden Neoliberlismus und ich sehe keine Perspektive, dass sich daran in absehbarer Zeit was ändern wird.
Oder soll es die große Weltrevolution sein? Ich habe mich in meinem Text mit den Ursachen und möglichen Folgen der Wahl in Frankreich beschäftigt und die Fakten und Zahlen untersucht, die meines Erachtens eine deutliche Sprache sprechen. Es ging mir nicht um die Makroökonomie in Frankreich oder Deutschland oder anderen EU-Staaten oder um die Auswirkung der deutschen Exportwirtschaft im Zusammenhang mit Lohndumping und Sozialeinschnitten.
Wem es gleichgültig ist, was rechts ist und wie sich rechts ausbreitet und gebärdet, was rechts anrichten wird und warum gerade wir uns mit rechts beschäftigen müssen, der muss zumindest in Alternativen denken und möglicherweise auch praktizieren. Mit Tiraden und Schimpfkanonaden wird weder das Klima gerettet oder zumindest verbessert, noch wird die Umverteilung von unten nach oben gestoppt.
Das ist Realität in Portugal wie in Polen, in den USA wie in Ungarn. Aber um etwas verändern zu können, muss man zunächst wissen, wie alles zusammenhängt und was wir aus Verhältnissen der Gegenwart wie der Geschichte lernen können.
Frau Hermann schreibt in der taz über die Probleme, Ursachen und Folgen der europäischen Ökonomie und die deutsche Verantwortung für vieles, was in Europa und in der Welt aus dem Ruder läuft. Das kann ich alles unterstreichen. Aber ich halte nichts davon, nur alles mies zu sehen und schlecht zu machen. Es ist viel zu simpel, alles negativ zu beurteilen, in einen Topf zu schmeissen, auf den heissen Herd zu stellen und solange zu warten bis die ganze Brühe überkocht oder in die Luft fliegt.