Essay über Tätigkeiten

UNIVERSALGESCHEHEN Ohne irgendeinem Aktivismus das Wort zu reden, kann vom "Sein" gesagt werden, dass es sich im weiteren wie tieferen Sinn um 'Tun' handelt.

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Wenn es beim Thema Tätigkeiten um die Bedeutungen von Wörtern ginge, die auf "-tätigkeit" enden, dann ließen sich folgende Tätigkeiten aufzählen:

Agenten-, Arbeits-, Bau-, Beratungs-, Berufstätigkeit,
Erwerbs-, Forschungs-, Geschäfts-, Gewalt-, Haupttätigkeit,
Hilfs-, Kontroll-, Konzert-, Lehr-, Mildtätigkeit,
Missions-, Neben-, Regierungs-, Reise-, Spionagetätigkeit,
Streifen-, Trainer-, Un-, Vereins-, Verstandestätigkeit,
Verwaltungs-, Vorstands-, Wirtschaftstätigkeit
und viele weitere mehr.

Zu dieser hier früh abgebrochenen Aufzählungstätigkeit hat das Wortschatz-Portal der Universität Leipzig reichlich beigesteuert. So gekennzeichnete Tätigkeiten gibt es einige Tausend. Das besagte Portal hält noch einen entsprechend zahlreichen Rest auf Lager.

Aber beim Thema Tätigkeit muss es nicht auf diese Anzahl von substantivischen Bezeichnungen wie etwa den soeben erwähnten abgesehen sein. Umfassender lässt sich die Vielzahl der Tätigkeiten, zumal auch der nichtmenschlichen, vor Augen führen, wenn man diejenigen Wörter heranzieht, die ausdrücklich Tätigkeitswörter genannt werden, also alle Verben, sowohl die einfachen als auch deren präzisierend erweiterte.

Am einfachsten, übrigens auch am kürzesten, und zugleich allumfassend ist das Tätigkeitswort tun. Welches Tun näherhin gemeint ist, benennen Wortergänzungen wie abtun, antun, auftun, umtun, vertun und zutun. Aber mit diesen wenigen, um eine Vorsilbe erweiterten "tun"-Varianten ist es natürlich längst nicht getan. Erst die Unzahl weiterer Verben und deren Ableitungen benennt alles, was das Reich der Tätigkeiten ausmacht. Wer darüber hinaus noch welche vermutet, hat gewiss das eine oder andere Verb dafür schon auf der Zunge liegen.

Die Liste am Anfang dieses Beitrags führt unter den Bindestrich-Tätigkeiten auch die Un-Tätigkeit auf. Ob es sich dabei ebenfalls um eine Tätigkeit handelt, kann bezweifelt werden. Dann müsste man auch das Nicht(s)tun für ein Tun halten. Immerhin konnte Laotse so verstanden werden, dass bei ihm das Nicht(s)tun, sogar "das höchste Tun" sei (Richard Wilhelm im sechsten Teil seines Kommentars zum Tao de King).

Ferner ist etwa bei dem Wortpaar Tun und Lassen gewöhnlich von einem Gegensatz die Rede. Indessen sind zumindest mehr oder weniger aktive Weisen des Lassens zu unterscheiden: belassen, einlassen, entlassen, erlassen, hinterlassen, loslassen, nachlassen, überlassen, veranlassen, verlassen, zulassen. In der Ethik pflegen "Tun und Unterlassen" (so ein Titel von Dieter Birnbacher) als Handlungsweisen aufgezeigt zu werden.

Sprachlich zulässig, wenn auch auf höherem stilistischen Niveau verpönt, ist es ja durchaus, jedem Verb ein "tun" voranzusetzen, um den Tätigkeits-Wort-Charakter zu betonen: "Wir tun essen, tun fernsehen, tun schlafen, tun träumen" und so weiter und so fort. Dass dem tatsächlich auch so ist, liegt weniger an der Sprache, als dass diese davon entsprechend angesprochen ist. Der Schnabel ist uns sozusagen passend zum Allerweltsgeschehen gewachsen.

Und wird das Tätigsein nicht allenfalls gewechselt und nie vollkommen beendet? Wir können zum Beispiel einerseits sagen, dass mit dem Leben auch jede Lebenstätigkeit endet. Andererseits aber tut sich auch in einem verwesenden Körper noch Verschiedenes. Selbst eingeäschert steckt in allen verbleibenden Bestandteilen irgendwie, also auf irgendeine Weise des "es tut sich was", noch ein Tätigsein.

Lebewesen als tätige Subjekte mögen aus dem Nichts hervorgehen und schließlich wieder zunichtewerden, aber die metaphysisch inthronisierte Subjektivität ist eher etwas bloß Sagenhaftes: ein Inbegriff leitender Betätigungen, die man "beseelten" Gegebenheiten, allen voran den Menschen, andichtet. Den derart aufgetakelten "Überbau"-Tätigkeiten liegen mannigfaltig Weisen des Tuns zugrunde, die sich auf physischer Ebene nachweisen lassen.

Das sogenannte Nichts – verbal: das Nichten – ist von daher quasi ein ewiger Tatendrang, aus dem jederlei Tun erwächst, vom materiellsten bis zum spirituellsten, vom durchgängigsten bis zum flüchtigsten oder gar eingebildetsten. Unser Tätigkeitswortschatz ist die eigentlich philosophische Enzyklopädie. Das sei mit diesem Umdenkversuch zur Diskussion gestellt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Leo Allmann

M.A. Philosophie

Lesefreudiges Nachkriegskind

Leo Allmann

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