Welche Form von Herrschaft ist die beste?

Philosophie Ein erfundenes Gespräch zwischen einer Fragerin, Karl Marx, Meister Eckhart und einem Utopier

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KARL MARX. Welche Form von Herrschaft die beste ist, hängt vom Entwicklungsstand der Gesellschaft ab. Sowohl die primitive als auch die höchstentwickelte Gesellschaft ist herrschaftsfrei. Zwischenzeitlich bestehen unterschiedliche Formen einer Klassenherrschaft: Sklaverei, Feudalismus, Kapitalismus und Diktatur des Proletariats.

FRAGERIN. Warum fehlt in dieser Aufzählung die Demokratie?

Diktat der herrschenden Klasse

MARX. Die Demokratie ist eine Staatsform, und der Staat fügt sich mehr oder weniger dem Diktat der herrschenden Klasse.

FRAGERIN. Und wenn bei demokratischen Wahlen die Mehrheit gegen die herrschende Klasse abstimmt?

MARX. In einer Demokratie steht dem Volk einiges zur Wahl, aber nicht die herrschende Klasse.

FRAGERIN. Ist die bestehende Klassenherrschaft denn die beste Herrschaft?

MARX. Wenn sie es nicht ist, setzt sich eine bessere durch.

FRAGERIN. Einfach so?

MARX. Nein, im Zuge einer sozialen Revolution.

FRAGERIN. Gibt es dafür ein Beispiel?

MARX. In der Französischen Revolution hat sich die Klasse der Kapitalisten gegen die Klasse der Feudalherren durchgesetzt.

Die bessere Herrschaft

FRAGERIN. Und die bessere Herrschaft ist einfach die, die sich durchgesetzt hat?

MARX. Ja, denn das Wesen von Herrschaft ist, sich durchzusetzen – mit aller Macht.

MEISTER ECKHART. Alle Macht ist bei Gott. Es gibt keinen Herrn außer Ihm.

FRAGERIN. Gibt es Gott überhaupt?

ECKHART. Nichts ist offenbarer.

FRAGERIN. Wie zeigt er sich denn?

ECKHART. Er ist das Sein in Fülle, alles in allem.

Kein Herr außer Gott

FRAGERIN. Auch alles Gute und alles Böse?

ECKHART. Es scheint so.

FRAGERIN. Scheint es nur so, oder ist es auch so?

ECKHART. In den vielen Seelen spiegelt Gott sich unterschiedlich wider.

FRAGERIN. Sind etwa Gut und Böse Ansichtssache?

ECKHART. Bei den Menschen ist das der Fall. Sie können alles so oder so sehen.

FRAGERIN. Und das hat Gott so gewollt?

ECKHART. Menschen sind Wege zu Gott, jeder Mensch ein anderer.

FRAGERIN. Führt kein Weg woanders hin?

ECKHART. Alle Irrwege sind nur Umwege.

FRAGERIN. Warum lässt Gott Irrwege zu?

Herr und Knecht

ECKHART. Gott will nicht nur, dass alle Menschen Ihm folgen, Er will auch allen Menschen folgen.

FRAGERIN. Ist Gott etwa Herr und Knecht in einem?

UTOPIER. Das ist eine Idee, auf die Menschen gekommen sind.

FRAGERIN. Nur eine menschliche Idee?

UTOPIER. Der gottgläubige Mensch verwechselt Gott mit sich selbst.

FRAGERIN. Ist nicht jede Gleichsetzung von Gott und Mensch Größenwahn?

UTOPIER. Der Mensch ist nicht ohne weiteres Gott; er braucht zur Gottwerdung viel Zeit.

FRAGERIN. Reicht dazu die Zeit aus?

UTOPIER. Wer hätte sich noch vor wenigen Jahrhunderten träumen lassen, was heute alles menschenmöglich ist! Auch heute wird die Zukunft unterschätzt.

FRAGERIN. Alle Menschen werden Götter?

Herrschaftsfreiheit

UTOPIER. Das ist die Zivilisationsstufe, die wir in absehbarer Zeit erreichen können. Kein Mensch mehr wird über andere herrschen, sondern jeder wird jedem mit den Künsten dienlich sein, die er beherrscht.

MARX. Anders gesagt: Für die Ablösung der Klassengesellschaft durch die klassenlose Gesellschaft wird bald die Zeit reif sein. Mit dem Kapitalismus wird jede Form von Herrschaft vergehen und die eigentliche Weltgeschichte anbrechen: die des herrschaftsfreien Kommunismus.

ECKHART. Der eigentlichen Kommunion, nämlich der Vereinigung mit Gott, können wir jederzeit in der Seelentiefe innewerden.

FRAGERIN. Zieht nicht doch die Natur all diesen Vorstellungen Grenzen?
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Leo Allmann

M.A. Philosophie

Lesefreudiges Nachkriegskind

Leo Allmann

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