Bush und Lula haben die Arche Noah im Blick

Kommentar Biosprit-Allianz USA - Brasilien

Wer geglaubt haben sollte, die jüngsten Besuche von George Bush in einigen lateinamerikanischen Ländern hätten unter dem Eindruck einer ungebremsten Aufheizung der Erdatmosphäre gestanden, unterlag einem Trugschluss. In diesem Metier ist Bush ein Analphabet, und bei seinem brasilianischen Pendant Lula da Silva fehlt es an Sensibilität. Vorrangig hat den US-Präsidenten ein Motiv in den Süden fliegen lassen, das sowohl geopolitischer als auch energiepolitischer Natur ist: der Reichtum an Biomasse auf dem Subkontinent, besonders im Amazonasgebiet.

Bush hat in Brasilia vorgesprochen, weil er nach Alternativen für den Energiespender Erdöl sucht, dessen Tage spätestens 2040 gezählt sein dürften. Es geht um das Blut des Weltwirtschaftssystems und die Frage: Welche Energie-Matrix wird es ersetzen? Bei der Antwort darauf hat Brasilien einiges anzubieten, weil es immerhin schon 29 Prozent seines Energiehaushalts aus Biomasse gewinnt (verglichen mit elf Prozent im Weltdurchschnitt).

Das freilich faszinierendste Experiment dieses Landes ist die Ethanolproduktion (Programa Proalcohol) aus Zuckerrohr, mit der 1975 im Sog der ersten großen Ölkrise begonnen wurde, um einen alternativen Treibstoff zu haben. Bis zu vier Fünftel der Fahrzeuge sollten mit dem aus Ethanol gewonnenen Alkohol versorgt werden - doch dann fiel der Ölpreis, das Projekt wurde eingefroren und erst vor wenigen Jahren reanimiert.

Derzeit produziert Brasilien jährlich 16 Milliarden Liter Biosprit, fast nur für den eigenen Markt. Das Multiantriebsauto Flex fuel, das sowohl mit Benzin als auch mit Alkohol fährt, ist eine eingetragene nationale Marke, die bereits nach Japan exportiert wird. Brasilien verfügt über etwa 90 Millionen Hektar nutzbaren Ackerbodens, tatsächlich aber werden im Augenblick nur 62 Millionen durch eine aktive Landwirtschaft in Anspruch genommen, davon sechs Millionen zum Anbau von Zuckerrohr, der wiederum zu gleichen Teilen für die Zucker- und Ethanol-Gewinnung verarbeitet wird. Das Potenzial ist also vorhanden, weitere Millionen Hektar der Ethanolproduktion zu widmen, ohne dass damit der Regenwald gerodet oder der Anbau von Nahrungsmitteln beschränkt werden müsste.

Die USA selbst bauen seit 2001 eigene Bio-Raffinerien mit dem Ziel, bis 2030 etwa 30 Prozent des heutigen Benzinkonsums zu ersetzen. Sie produzieren Ethanol auf der Basis von Mais und Weizen, allerdings - im Vergleich zu Zuckerrohr - mit einer deutlich geringeren Ausbeute pro Hektar. Die Subventionen pro Liter Biosprit liegen denn auch bei 30 Cents gegenüber 22 Cents in Brasilien.

Dies alles hat Bush bewogen, Lula ein bilaterales Bündnis anzubieten. Zwar wurde kein Vertrag unterzeichnet, aber es existiert ein von beiden Präsidenten signiertes Memorandum, das einen Technologie-Austausch für die Ethanolproduktion ebenso vorsieht wie gemeinsame technische Normen und den Bau von Biospritanlagen in Ländern Zentralamerikas und der Karibik.

Die Vereinten Nationen haben am 2. März in New York ein Internationales Forum für Bio-Brennstoffe veranstaltet, um Biosprit in den Rang eines weltweit handelbaren Rohstoff zu erheben und dafür neben Brasilien und den USA (die momentan 70 Prozent der Welt-Ethanolproduktion bestreiten) China, Indien, Südafrika und die EU zu gewinnen.

Jedenfalls haben Bush und Lula das enorme Potenzial dieser "sauberen Energie" für den globalen Energietransfer der Zukunft sehr wohl erkannt - beide scheinen entschlossen, ihre Länder als Global Players auf dem Markt für Bioenergie zu platzieren. Was bei all diesen Bestrebungen leider nicht gefragt wird: Brauchen wir nicht vor allem anderen eine Änderung des heutigen Zivilisationsmodells? Was Bush und Lula vereinbart haben, wetzt nur die Zähne des Wolfes, zähmt ihn jedoch nicht.

Als der US-Präsident wieder abgeflogen war, warnte Brasiliens früherer Staatschef Fernando Henrique Cardoso am 4. März in einem Artikel: "Die allergrößte Bedrohung der Menschheit ist der Glashauseffekt. Die Frage ist doch, ob die westlichen Muster, wenn sie sich generalisieren, überhaupt noch ein friedliches Zusammenleben der Menschen mit der Natur und letztendlich der Menschen untereinander erlauben." Der eklatante Klimawandel verlangt in der Tat tiefgehende Veränderungen, es wird diesmal keine Arche Noah geben, die einige wenige rettet, während alle anderen untergehen. Entweder retten wir uns alle oder niemand wird sich retten können.

Leonardo Boff, Theologe und Schriftsteller, ist Mitbegründer der Theologie der Befreiung.


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