Unschärferelation

Fotografie Im Rheinland hat sie Tradition. Und in Leverkusen kann man jetzt neueste Positionen auf sich wirken lassen
Ausgabe 07/2019

Made im Rheinland“ galt in der Fotografie jahrelang als größtes Qualitätssiegel. An der Düsseldorfer Kunstakademie wurde 1976 die erste Klasse für Fotografie in Deutschland ins Leben gerufen, mit Bernd Becher als Professor. Seine Frau Hilla und er prägten nicht nur Generationen von Fotograf*innen, sondern wurden selbst zum Label, ihre konzeptuellen Architekturaufnahmen von Fachwerkhäusern und Industriebauten sind weltbekannt und die „Becher-Schule“ ein Begriff für fotografische Wertarbeit. Aber wie steht es heute um die Fotografie aus dem Rheinland? Wie geht die nächste Generation mit dem Erbe der fotografischen Tradition um? Das fragt aktuell eine Ausstellung im Museum Morsbroich in Leverkusen und zeigt 18 Künstlerinnen und Künstler, die in den 70er und 80er Jahren geboren sind und an den Akademien im Rheinland studiert haben. Einige von ihnen bei den Becher-Schülern Andreas Gursky und Thomas Ruff, deren Werke heute neben denen ihrer Mitschüler*innen Axel Hütte, Candida Höfer oder Thomas Struth in Museen auf der ganzen Welt hängen.

Als Düsseldorf in den 1990ern den Ruf als Fotostadt verfestigte, machte sich Köln daran, zum Mittelpunkt der Medienbranche in Deutschland zu werden. 1990 wurde dort die Kunsthochschule für Medien gegründet, mit dem neuartigen Diplom-Studiengang „Audiovisuelle Medien“, aber auch einer Professur für künstlerische Fotografie, die heute Beate Gütschow innehat. Auch einige ihrer Schüler*innen zeigt die Ausstellung, auch sie treten in große Fußstapfen. Was auf der einen Seite als Verkaufsargument zieht, kann gleichzeitig erdrückend sein. Wie schafft man es, sich davon freizuschwimmen und heute noch etwas Neues zu machen, wo jeder Mensch stets die Kamera seines Smartphones zur Hand hat, Fotografien im Sekundentakt in Umlauf gebracht werden und jedes technische Experiment bereits gemacht wurde? Antwort: zunächst einmal durch eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Medium.

Huch, Duracell!

Muss es überhaupt noch Fotografie sein, oder ist sie nur ein Mittel zum Zweck? Wie viele verschiedene Formen fotografisches Arbeiten heute annehmen kann, zeigt die Ausstellung eindrücklich. Das klassische Schwarz-Weiß-Foto mit Passepartout muss man lange suchen, findet es aber in der Belle Etage bei Owen Gumps Luftaufnahmen amerikanischer Landschaften, die radikale Eingriffe des Menschen in die Natur als abstrakte Zeichen zeigen, oder in Berit Schneidereits Fotogrammen, die ebenfalls mit den Gegenpolen Natur und Kultur spielen.

Auf dem Weg dorthin, im Entrée des herrschaftlichen Barockschlosses, schmiegt sich ein großer Print des in Köln lebenden Künstlers Alwin Lay an die runde Treppenhauswand. Wie eine Skulptur steht eine Kleinbild-Filmrolle fast schwebend vor einem grauen Hintergrund, balancierend auf dem zum Ende hin schmaler werdenden Schnipsel des Filmstreifens, den man früher so mühsam in die Spule der analogen Kamera fummeln musste. Bei genauerem Hinsehen fällt auf: Die Filmpatrone ist nur scheinbar ein Relikt der manuellen Fotografie, ihre rechte Seite entpuppt sich als Pluspol einer Mignon-Batterie – wo Kodak draufsteht, ist Duracell drin. So bekommt der Aufdruck „36 exp.“, was für Exposures, also Aufnahmen steht, plötzlich einen zweiten Sinn. Expired, also abgelaufen? Hat die Fotografie ihr Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten? Dass Kodak, einst Marktführer im Fotogeschäft, ausgerechnet in Leverkusen, Sitz des größten deutschen und inzwischen insolventen Konkurrenten Agfa, so prominent gefeatured wird, ist ein weiterer Kniff von Lays doppeldeutiger Kunst.

Die Vielfalt fotografischer Ausdrucksformen offenbart sich dann gleich im ersten Raum der Ausstellung, wo Peter Miller ein „Atelier“ eingerichtet hat. Das Sofa aus Kamerastativen hat als Sitzfläche eine Hohlkehle, auf der der Künstler selbst als zweidimensionales gedrucktes Abbild Platz nimmt. Miller spielt mit den Aspekten des Fotografischen, Unschärfe und Perspektive, Belichtung und Distribution, sein Raum ist eine Wunderkammer der Möglichkeiten und ein facettenreiches Selbstporträt. Das Selbstporträt als eins der ältesten Themen der Kunst überhaupt beschäftigt auch Morgaine Schäfer, allerdings eher als Reflexion über das Betrachten von Bildern und die Erinnerungsfunktion von Fotografie. In Posen, die berühmten Porträts der Kunstgeschichte entnommen sind, setzt sie sich selbst und ein Stück ihrer Familiengeschichte ins Bild, als Dia aus dem Archiv ihrer Eltern, das sie in die Kamera hält. Darauf sind Momente, die ihre Biografie beeinflusst haben könnten, festgehalten, aufgenommen vor ihrer Geburt. Wie sehr unsere Erinnerung durch Fotos beeinflusst wird und wie wir uns in ihnen in Szene setzen, sind zwei der Themen, die sie anschneidet.

Die sehenswerte Ausstellung erhebt nicht den Anspruch, ein vollständiges Abbild der Szene zu geben oder sie unter ein kuratorisches Thema zu pressen, stattdessen zeigt sie die Vielfalt fotografischer Ansätze und einen Ausschnitt aktueller künstlerischer Produktion: Fotografie nach der Fotografie, made im Rheinland.

Info

Next Generations. Aktuelle Fotografie made im Rheinland Museum Morsbroich Leverkusen vom 27. Januar bis 5. Mai 2019

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