Besuch bei Horst Seehofer

Deutschland/Afghanistan Die Initiative Luftbrücke Kabul gibt Einblick in ihre durch Spenden realisierte Rettungsaktion – und spart nicht mit Kritik an der Bundesregierung
Die von einem Bündnis von Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen getragene Aktion Luftbrücke Kabul hat ihre Kritik am Vorgehen der Bundesregierung während des Evakuierungseinsatzes in Kabul erneuert
Die von einem Bündnis von Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen getragene Aktion Luftbrücke Kabul hat ihre Kritik am Vorgehen der Bundesregierung während des Evakuierungseinsatzes in Kabul erneuert

Foto: Imago / Epd

Der Ort der Pressekonferenz ist bewusst gewählt: An den Rand eines Parks gegenüber des Bundesinnenministeriums hat die Organisation „Kabul Luftbrücke“ an diesem Mittwochvormittag geladen. Eine Gruppe um den Grünen-Europaabgeordneten Erik Marquardt hatte im Internet um Spenden geworben und mit diesen einen Charterflug organisiert, mit dem am vergangenen Samstag 18 gefährdete Ortskräfte aus Afghanistan ausgeflogen wurden. Einen Tag später konnten mithilfe des US-Militärs weitere 189 Menschen in Sicherheit gebracht werden. Tausende Kilometer vom Geschehen in Kabul entfernt flackert nun auf dem Podium das Banner der Initiative im Wind. Drei Aktivisten vor Ort und eine per Video aus Doha zugeschaltete Aktivistin berichten über die Hintergründe der Aktion.

Hinter den Aktivsten ragt das Bundesinnenministerium in die Höhe. Dass Horst Seehofers Haus eine zentrale Rolle beim „Multiorganversagen“ der Bundesregierung hinsichtlich der Rettung aus Afghanistan spiele, macht Aktivist Ruben Neugebauer klar: Das Bundesinnenministerium sei sehr viel eher Verursacher des Fiaskos der vergangenen Tage gewesen als das Auswärtige Amt. Die Wurzel des Problems läge im Wegducken der Bundesregierung in den vergangenen Monate. Diese sei frühzeitig gewarnt worden, daran erinnert Neugebauer. Er vermutet, dass man aus Angst vor der Bundestagswahl und einem „zweiten 2015“ mit der Rettung warten wollte, mitunter im Gegensatz zu anderen westlichen Besatzungsmächten in Afghanistan.

Siebenstellige Spendensumme

Begonnen hatte für die Aktivisten alles mit der Idee, Freunde und Bekannte aus Kabul zu retten. Die Gruppe um Marquardt, der seine Reichweite bei Instagram und Twitter nutzte, der jetzt aus Doha zugeschalteten Theresa Breuer, Mattea Weihe sowie Neugebauer, der sich bei der Seerettungsinitiative Sea Watch um die Luftaufklärung kümmert, und anderen konnte eine Summe im kleinen siebenstelligen Bereich sammeln und damit einen Charterflug organisieren. Breuer war mit an Bord und weiß vom Chaos am Flughafen der afghanischen Hauptstadt zu berichten: Statt von deutschen Kräften vor Ort unterstützt zu werden, sei die Gruppe bei den Briten untergekommen; diese hätten ihrer Verwunderung Ausdruck verliehen, dass die Bundeswehr so früh abgezogen war.

Dass das Charterflugzeug am Samstag mit nur 18 Ortskräften ausfliegen musste, falle auf die Bundesregierung zurück: Das Auswärtige Amt habe Listen mit den Namen Ausreisewilliger nicht übermittelt, sodass die Menschen nicht in den Flughafen gelangten. Das Auswärtige Amt warnte, die Listen brächten die Gefahr mit sich, der Taliban Namen von Schutzbedürftigen zu liefern – dem widerspricht „Kabul Luftbrücke“. Die Listen hätten schlichtweg an die Tore des Flughafens übermittelt werden müssen, dies sei nicht geschehen.

Schließlich schafften es die Organisatoren, mithilfe des US-Militärs weitere 189 Menschen, darunter viele Ortskräfte, nach Riad und Doha und nun weiter nach Ramstein und Spanien auszufliegen. Da wirken die 138 ehemaligen Ortskräfte samt Familien, die die Bundesregierung gerettet hat, wie ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. Die Aktivisten kritisieren, dass der Fokus zu sehr auf der Rettung von Deutschen gelegen habe. Auf dem Podium in Berlin wies Fridays-for-Future-Mitstreiterin Luisa Neubauer auf Klimaaktivisten hin, die in Kabul in Gefahr seien und auf keiner Liste stünden.

Marquardt, Breuer, Neugebauer & Co. wollen nicht aufgeben, weitere Menschen aus Afghanistan zu evakuieren. Es werde geprüft, inwieweit hierfür Landrouten genutzt werden könnten. Der eine organsierte Charterflug war mit mehr als 300.000 Euro zwar teuer, es verblieben aber Ressourcen, um weiter aktiv zu bleiben. Dass noch viele Menschen schutzbedürftig sind, zeigen Berechnungen des Auswärtigen Amtes, das mit weiteren 50.000 Menschen, Ortskräfte inklusive ihrer Familien, rechnet.

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